Ihr Film „Das Licht” erzählt von Generationenkonflikten in einer modernen Familie in Berlin. Wie unterscheiden sich diese Generationenkonflikte von denen, die Ihre Generation mit den eigenen Eltern ausgetragen hat?
TOM TYKWER: Die deutsche Kinogeschichte ist gepflastert mit Filmen über die Konflikte, die meine Generation mit ihren Eltern hatte. Diese Auseinandersetzungen zwischen Kriegs- und Nachkriegsgeneration haben unüberwindbare Gräben gezogen, sodass man daraus für einen Film auch ein sehr drastisches, dramatisches Potenzial ziehen konnte. Generell sind intergenerationelle Konflikte quasi genetisch in uns angelegt. Zum einen durch das Abgrenzungsbedürfnis der Kinder gegenüber den Eltern, zum anderen aber auch durch die wachsende Fremdheit der Älteren gegenüber dem, was nachwächst. Sie verlieren den Zugriff auf das, was da kommt - und das führt zu Gefühlen von Unsicherheit, Angst und auch Wut. Und dann stehen den Eltern die gelassenen, fast schon gelangweilten jungen Leute gegenüber und sagen: „Du verstehst das halt nicht. Du hast den Zug verpasst.“ Oder aber: „Was hast denn du uns für eine Welt hinterlassen, die uns jetzt um die Ohren fliegt!“ Letzteres ist der Ruf, der gerade am lautesten schallt. Der hat mich interessiert, aber auch bestürzt.
Warum bestürzt?
TYKWER: Weil ich ja versucht habe, ein sehr bewusstes und kritisches Leben zu führen, aber dennoch habe ich entscheidende Entwicklungen verpasst. Der markanteste politische Einschnitt, an dem ich und meine Generation partizipiert haben, waren die frühen Neunziger, die Nachwendezeit, das Erstarken des demokratischen Konzepts und die Abkehr vom Totalitären mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Damals sind viele hoffnungsvolle Impulse gesetzt worden, und genau darauf hat sich meine Generation ausgeruht. Wir haben nicht gesehen, wie sich die globalen Märkte Ende der Neunzigerjahre – befeuert durch die Digitalisierung – entfesselt und radikalisiert haben. Wir stecken heute in einer ökonomisch komplett neu strukturierten Welt, welche von immer weniger Beteiligten kontrolliert wird, die neben den Demokratien in ihrem eigenen Hochgeschwindigkeitszug fahren. Und wir sitzen im Bummelzug und verstehen die Welt nicht mehr. Eine relativ kleine Gruppe von Menschen der Big-Tech-Branche bestimmt, wo es lang geht, und uns fehlt das Know-how, um dem entgegenzuwirken. Genau das werfen uns unsere Kinder vor.
Sie stellen eine dysfunktionale Familie ins Zentrum, die nebeneinanderher lebt und nach einer neuen Verbundenheit sucht.
TYKWER: Die intergenerationelle Situation heute ist, dass wir uns zwar entfremdet gegenüberstehen, aber auch ähnlich sind. Wenn heute meine Kinder Erwachsene anschauen, gibt es natürlich schon eine Abgrenzung, aber sie empfinden uns nicht als wertebestimmtes Fremdmodell. Die Teenager im Film gehen genauso in einen Club tanzen, wie es ihre Eltern getan haben und auch noch tun. Umgekehrt sind die Eltern zum Beispiel mit dem politischen Aktivismus ihrer Kinder einverstanden. Trotz einiger Reibungspunkte gibt es das Gefühl von Verbundenheit.

Ihr Film bringt das Leben einer grün-bürgerlichen Familie in Kontakt mit einer Frau, die aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist. Was hat Sie an diesen beiden Lebenswelten interessiert?
TYKWER: Diese beiden Sphären bringen in der Wurzel ganz verschiedene Erlebniswelten mit sich. Die ersten zwanzig Jahre einer syrischen Frau sind vollkommen anders verlaufen, aber dennoch hat sie vielleicht mittlerweile in Deutschland ein Leben entwickelt, das unserem mehr ähnelt, als wir es wahrhaben wollen. Es ist faszinierend Menschen zu treffen, die aus Syrien kommen, schon mehr als zehn Jahre hier leben, unsere Sprache sehr gut sprechen, mit denen man auf Augenhöhe tiefe Freundschaften eingehen kann - bis man zu dem Punkte kommt, wo man über seine Wurzeln spricht. Dann hört man Geschichten, die einen aus der Umlaufbahn werfen, und man fragt sich: Wie konnten wir glauben, dass wir eine ähnliche Zugangsweise zum Leben haben, wo unsere Lebenswege doch so drastisch verschieden sind? Dieser Mensch hat in einen Abgrund geblickt, den ich gar nicht kenne. Die Antwort, die ich dann darauf bekomme, lautet: „Das trage ich in mir und nicht vor mir her.“
Die Familie und die syrische Haushälterin geben einander, wie es im Film heißt, „Geleit“. Was ist mit diesem Begriff gemeint?
TYKWER: Geleit ist ein schönes, fast schon sakrales Wort, das Hilfe, Stütze, Sorge und Zugewandtheit impliziert. Geleit meint: Ich bleibe bei dir und führe dich dorthin, wo du hin willst. Geleit gibt es im Krankenhaus, im Hospiz und dort, wo Benachteiligte Hilfe brauchen. Geleit ist das humanistisches Grundprinzip, auf das dieser Film hinausläuft. Wir müssen uns wieder finden, zusammenhalten und uns gegenseitig helfen. Im Film gerät die dysfunktional dargestellte Familie an diese Haushälterin aus Syrien, die die einzelnen Mitglieder der Familie wieder zusammenbringt, um dann selbst von der Familie Geleit einfordert für eine Aufgabe, die sie nicht allein bewältigen kann.
Und dann gibt es noch eine Art Wunderlampe, die den Zugang zur verkrustete Psyche öffnet…
TYKWER: Das haben wir uns nicht ausgedacht. Diese therapeutische Lampe gibt es wirklich. Das ist ein hochtechnologisches Gerät, das mithilfe von Lichtfrequenzen die menschliche Seele öffnet und uns starke Gefühle erleben lässt. Genauso wie das Kino ist diese flackernde Lampe eine Maschine, die das Irrationale entfesselt.

Sie arbeiten gerade an der letzten Staffel von „Babylon Berlin“. Haben Sie geahnt, dass dieser historische Stoff eine solche politische Aktualität entwickeln könnte?
TYKWER: Historische Filme sind ja nur dann interessant, wenn sie sich auch in der Gegenwart spiegeln. Bei „Babylon Berlin“ ist das nun besonders drastisch geschehen. Als wir 2012 mit der Arbeit an der Serie anfingen, gab es noch keine AfD, keinen Brexit, Europa war noch ein stabiles Bollwerk der Demokratie. Innerhalb der letzten zehn Jahre, in denen wir an „Babylon Berlin“ arbeiteten, hat sich die Gegenwart auf eine unheimliche Weise auf uns zubewegt. „Babylon Berlin“ zeigt ja, wie die Generation meiner Großeltern diese Zeit erlebt hat. Die Parallelen zwischen Geschichte und Gegenwart sind überdeutlich. Jedoch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Wir sind nicht wie unsere Großeltern. Diese Generation hatte ihre Kindheit in der Kaiserzeit und wurde von der Grausamkeit des Ersten Weltkrieges traumatisiert. Das sind die Kinder, wie sie in Michael Hanekes „Das weiße Band“ gezeigt werden. Im Vergleich dazu kommen wir aus 30 Jahren Bullerbü und müssten dem, was auf uns zukommt, eigentlich stärker und robuster gegenüberstehen.
Tom Tykwer
Der gebürtige Wuppertal zählt zu den markantesten deutschen Filmemachern seiner Generation. Zu seinen bekanntesten Arbeiten gehören „Lola rennt“, „Das Parfum“ und „Cloud Atlas“ sowie - als einer von drei Regisseuren - die TV-Serie „Babylon Berlin“. Der neue Film des 59-Jährigen, „Licht“ mit Nicolette Krebitz und Lars Eidinger in den Hauptrollen, startet an diesem Donnerstag in den Kinos.
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