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Foto: Anna Niedermeier
Foto: Anna Niedermeier

Peter Brötzmann bei seinem letzten Auftritt im Rahmen des Berliner Jazzfests im Oktober 2022.

Tod von Peter Brötzmann
24.06.2023

Jazz-Musiker Peter Brötzmann: "Das 'Brötzen' habe ich als Kompliment empfunden"

Von Reinhard Köchl

Exklusiv Der Saxofonist ist mit 82 Jahren gestorben. Unser Autor hat das letzte Interview mit ihm geführt. Statt eines Nachrufs ein Gespräch über Musik und Politik, freien Jazz und einen guten Schluss.

Eigentlich beginnt man so kein Interview, aber die Frage sei angesichts Ihres Gesundheitszustandes erlaubt: Wie geht es Ihnen? 

Peter Brötzmann: Ich plage mich seit etwa 20 Jahren mit COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung; eine nicht heilbare Lungenkrankheit, bei der sich die Atemwege entzünden und anhaltend verengen) herum. Im Laufe der Covid-Jahre ist das schlechter geworden, was dazu geführt hat, dass ich vor einigen Monaten nach Konzerten in Warschau und London einen Totalzusammenbruch mit Intensivstation und all dem Scheiß erlitten habe. Seither bin ich zu Hause und versuche, mich davon zu erholen. Bloß wie die Zukunft aussieht, das weiß der Teufel. Um realistisch zu sein, habe ich im Augenblick keine. 

Wie meinen Sie das?

Brötzmann: Na ja, so wie es aussieht, ist es mit dem Spielen ist es wohl vorbei. 

Gesetzt den Fall, Sie behalten Recht, dann dürfte "Catching Ghosts", das Album, das Sie im Oktober 2022 gemeinsam mit Majid Bekkas und Hamid Drake beim Jazzfest Berlin aufgenommen haben, das Finale eines bewegten Musikerlebens gewesen sein … 

Brötzmann: … Da kommt noch was von meinem Konzert im Café Oto in Warschau. Aber ja: Das, was wir da in Berlin gemacht haben, ist schon ein ganz guter Abschluss. 

2018 sagten Sie anlässlich der Veröffentlichung eines Albums mit Jazz-Standards, Sie hätten genug davon, immer "that same old free jazz shit" zu spielen. Was ist da im Laufe der Jahre passiert?

Brötzmann: Das habe ich ja nicht erst 2018, sondern schon lange vorher und immer wieder gesagt! Was heute so alles unter der Bezeichnung "Freejazz" verkauft wird, das ist wirklich ganz furchtbar und schrecklich! Das, was meine Freunde und ich in jenen Jahren ausprobiert haben, wurde von den nachfolgenden Generationen gründlich missverstanden. Wie sehr die Sache aus dem Ruder gelaufen ist, beweist doch der Umstand, dass auf den Hochschulen inzwischen Freejazz als Lehrfach angeboten wird. Da krieg ich schon zu viel! Den Namen "Freejazz" mochte ich sowieso nie, das war nie mein Favorit.

Welchen wollten Sie denn?

Brötzmann: Darüber hatte ich mir nie ernsthaft Gedanken gemacht, das ist auch nicht Sache von uns Musikern. Der Name hatte in den 1960er Jahren sicherlich seine Berechtigung, vor allem natürlich aus politischen Gründen. Aber dann warʼs auch schon wieder damit vorbei. Der Terminus "Freejazz" hat zu so vielen Fehlinterpretationen geführt, dass ich es am liebsten ungeschehen gemacht hätte.

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Es ging nie ums Kaputtspielen, wie Ihnen gebetsmühlenartig unterstellt wurde?

Brötzmann: Natürlich nicht! Das mit dem Kaputtspielen hat der Musikjournalist Joachim-Ernst Berendt erfunden, und viele andere haben es übernommen. Ein totaler Unsinn! Sowohl Amerikaner wie Europäer waren immer schon konstruktive Musiker, die etwas entstehen lassen und es nicht zerstören wollten. Es ging lediglich darum, Ballast abzuwerfen. Und damit schafft man Platz für Neues. Wir sahen unsere Aufgabe darin, ein anderes Fundament für die Musik zu errichten.

Sie stehen längst als Synonym für dieses vermeintliche Kaputtspielen, da gibt es sogar ein Verb, das alles auf den Punkt bringt und das man keinem Insider mehr erklären braucht – das "Brötzen". Stört Sie das eigentlich?

Brötzmann: Ahhh …! Wenn man anfängt, sich darüber Gedanken zu machen, wie das eigene Tun in der Öffentlichkeit ankommt, dann sollte man besser gleich wieder damit aufhören. Das "Brötzen" habe ich schon als kleines Kompliment empfunden. Aber die anderen, seriöseren Betrachtungsweisen kamen mir schon als sehr oberflächlich, mitunter albern vor. Neben dem Kaputtspielen haben sie mich in England zum Beispiel "den Teutonen" genannt. 

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Foto: Estela Silva, dpa
Foto: Estela Silva, dpa

Musikalisch wollte er nie Kompromisse machen. Peter Brötzmann 2012 bei einem Konzert in Portugal.

Woher kam eigentlich ihre Motivation, sich allen Konventionen derart massiv in den Weg zu stellen?

Brötzmann: Das kann ich mir auch nicht so ganz erklären. Ich stamme aus einer mittelbürgerlichen Familie aus Remscheid im Sauerland, alles ganz ruhig, ohne persönliche Schicksale oder andere Bezüge. Aber schon als Kind habe ich mir viele Gedanken über den Krieg und seine Folgen gemacht. Dazu kam, dass ich in jungen Jahren viel umhergereist bin, nach England und Holland. Dort traf man eine Menge Menschen jüdischer Abstammung, die einem als Deutschem pausenlos die gleichen Fragen stellten: Warum nur? Weshalb? Obwohl es darauf nie eine richtige Antwort gab, entgegneten wir vor allem: Nie wieder! Zur gleichen Zeit zettelten die großen Moralapostel in Amerika, die uns erklären wollten, wie wir in Frieden und Freiheit leben sollten, den Koreakrieg und die Invasion in der Schweinebucht in Kuba an. Hinzu kam dann noch die Rassendiskriminierung, ohne die es den Blues und den Jazz nie gegeben hätte. Meine holländischen Kollegen Willem Breuker, Han Bennink und ich haben recht schnell gemerkt: Wir müssen jetzt die gottverdammte Welt verändern! Von Mitte der 1960er Jahre bis etwa 1970 gab es so etwas wie eine gemeinsame westeuropäische Bewegung, wir wollten alle dasselbe. Und das hörte man eben in unserer Musik.

Der echte Freejazz existierte also nur ein paar Jahre?

Brötzmann: Mir war spätestens Mitte der 1970er Jahre klar, dass wir uns auf dem Holzweg befanden. Jeder hatte bis dahin genau gewusst, dass es darum ging, nämlich Verantwortung zu übernehmen oder diese einzufordern, wenn man auf eine Bühne ging. Genau dadurch entstand unsere Freiheit. Aber die Zeiten hatten sich schneller verändert, als wir dachten.

Wäre so eine kulturelle Gegenbewegung auch heute noch möglich?

Brötzmann: Kaum. Ich habe ja immer noch Kontakt zur Generation der 20-Jährigen. Aber die Art und Weise, wie die ticken, wie die über Konflikte denken, die Musik, die sie hören, und nicht nur die Musik, sondern auch das "kleine" Geschäft drumherum, das ist alles furchtbar geworden. Wenn ich noch einmal jung wäre und vor der Entscheidung stünde, was ich machen sollte, würde ich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr auf die Musik setzen.

Zur Person: Peter Brötzmann, geboren am 6. März 1941 in Remscheid, galt als einer der Pioniere des Freejazz. Mit seiner kompromisslosen Art, bestehende Konventionen in der Musik aufzulösen, suchte er ganz bewusst die Provokation. Brötzmann starb am Donnerstag, das Gespräch mit ihm fand in der ersten Juniwoche statt. Das Album "Catching Ghosts" ist beim Label ACT erschienen.

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