Eine Schauspielerin von der Delicatesse einer Sunnyi Melles verpflichtet man nicht für eine Opernproduktion, um sie am Ende des Stücks lediglich ein paar Sätze aufsagen zu lassen. Eben das sieht Gaetano Donizetti eigentlich vor für die Rolle der Herzogin von Crakentorp. In der Neueinstudierung der „Regimentstochter“ aber ließ sich die Bayerische Staatsoper die Gelegenheit nicht entgehen, der fabelhaften Melles gehörig den Teppich auszurollen. Und so wurde, weil man die französische Urfassung mit Dialogen spielt, für die Schauspielerin eine Erzählerrolle kreiert, die nun anstelle der Dialoge die Handlung vorantreibt. Die Melles als blasiert-tüttelige Adelige, die auch 1815 noch (in diesem Jahr spielt die Oper) dem untergegangenen Ancien Régime hinterherträumt, eingezwängt in ein schreiend überkandideltes Stoffgebausche und mit wankendem Perückengesteck obenauf, Melles, die französelnd und auch mal jodelnd (!) über den Dégout sich verflüchtigender Standesgrenzen lamentiert: Das ist hinreißend gegeben und streckenweise nahe daran, dem singenden Personal den Rang abzulaufen.
Weshalb Donizettis 1840 uraufgeführte Oper „La fille du régiment“ ebendiesen Titel führt, das wird jedoch nicht erzählt, sondern zu den Klängen der Ouvertüre - Stefano Montanari dirigiert das Bayerische Staatsorchester zügig, fallweise auch ein wenig derb - gezeigt. Ein französischer Offizier legt im verschneiten Wald ein eingewickeltes Neugeborenes ab, Frucht einer Liebesnacht zwischen ihm und der Marquise de Berkenfield (Dorothea Röschmann). Soldaten des 21. Regiments der Franzosen, angeführt von Sulpice (Misha Kiria etwas zu bassbuffonesk), finden das Bündel und nehmen es unter ihre Obhut, sodass mit den Jahren, voilà, die „Regimentstochter“ Marie herangewachsen ist, ein Mädchen in Soldatenuniform (zeittypisch: die Kostüme von Agostino Cavalca). Bis Mutter Berkenfield doch noch ein Anrecht reklamiert, die Tochter zu sich holt und standesgemäß verheiraten will.
Die Regimentstochter lässt sich nicht so einfach umerziehen
In dieser „Opéra comique“, als die Donizetti sein Werk verortet, akzentuiert die Regie von Damiano Michieletto lustvoll die humorvollen Aspekte, nicht selten hart an der Grenze zum Klamauk, was die Balance mit den Momenten der Besinnung schon auch mal ins Kippen bringen kann. Gleichwohl ist Michielettos Inszenierung gelungen, weil temporeich, in sich schlüssig und nicht nur wegen der Melles-Auftritte originell. Was nicht zuletzt für jene szenische Findung gilt, wenn die Soldaten aus dem Wald-Hintergrundbild des ersten Akts (Bühne: Paolo Fantin) ein Stück als Andenken für Marie herausschneiden, welches dann im Folge-Akt als Sehnsuchtsbild an der Wand von Schloss Berkenfield prangt, wo Marie ihre (vergebliche) Umerziehung erfährt.
Pretty Yende in der Titelrolle, unangestrengt sich fortbewegend in höheren Soprangefilden und zu anrührender Wärme fähig in Momenten des Nachsinnens, lässt sich, wo die Inszenierung das Komische in den Vordergrund stellt, leider allzu sehr davon mitreißen bei der Bildung ihrer Gesangslinien. Dann werden - wie in der für Marie fehlschlagenden Bildungsarie zu Beginn des zweiten Akts - Töne bewusst unschön angesungen in einem Maße, das des Guten zu viel ist, weil es Donizettis Kunst, der Maries Unvermögen schon einkomponiert ist, außer Kraft setzt.
Tonios Arie folgt langer Szenenapplaus
Xabier Anduaga als Tiroler Bauernbursch‘ Tonio, den wechselseitige Zuneigung mit Marie verbindet, hat es umso leichter, sich sängerisch an die Spitze zu setzen. Auch wenn seine Tenorstimme sehr wohl Spuren schwereren Metalls enthält, vermag sie bravourös die Anforderungen der Partie zu bewältigen. Nicht nur, aber eben vor allem den Schlussteil der Cavatina „Ah, mes amis“ mit seiner berühmten Abfolge hoher Cs: Anduaga hängt alle neune lässig in den Tenorhimmel, das letzte lang ausgehalten. Danach in der als Tonio eingenommenen Bewegungspose zu verharren, dürfte den jungen Tenor fast mehr Kraft gekostet haben, wollte die Applaus-Salve doch erst nach geraumer Zeit ein Ende nehmen.
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