So beginnt kein Konzertfilm. Erst sind da obskure Schattenspiele, dann tauchen ein paar weiße Tennisschuhe auf. Der Typ mümmelt „Hi“, stellt einen Kassettenrekorder auf den Boden und erklärt, dass er nun ein Tape abspielen wolle, das wie ein Metronom klingt. Dazu schlägt er seine akustische Gitarre an. Die Menschen kreischen, klatschen, als die ersten Takte von „Psycho Killer“ erklingen, des mithin berühmtesten Titels der Talking Heads. David Byrne torkelt, bewegt den Kopf wie ein Specht und lässt seinen Adamsapfel gefährlich ruckeln.
Das alles und noch viel mehr trug sich 1984 zu und wurde filmisch von einem damals noch unbekannten Regisseur namens Jonathan Demme verewigt, der später mit „Das Schweigen der Lämmer“ weltweite Bekanntheit erlangen sollte. Gruselig? Byrne war 32 und strahlte eine finstere Magie aus, so als wäre er ein bedrohliches Insekt, das aus irgendeinem Labor ausgebrochen ist und nun vor sich selbst warnt: „I can’t sleep ’cause my bed’s on fire / Don’t touch me I’m a real live wire.“ Damit er selbst nicht merkt, was er Schlimmes vorhat, spricht der Killer mit sich französisch: „Ce que j’ai fait, ce soir là ...“. Burn, Baby, Byrne!
Auch beim zweiten Song klampft David Byrne noch allein
Die Bühne ist nackt und leer. Leitern und Gerüste stehen herum, Menschen arbeiten scheinbar teilnahmslos weiter. Auch beim zweiten Titel, dem traurigen „Heaven“, klampft der Kopf der sprechenden Köpfe noch allein, bis die Bassistin dazustößt und im Hintergrund das Schlagzeug hereingerollt wird. So setzt sich das fort. Von Akt zu Akt kommen immer mehr Menschen und Equipment dazu, bis alles wie ein Orffsches Schulwerk anmutet, das die allmähliche Erweiterung der Gruppe symbolisiert. Irgendwann steht die Bühne, auf der an die 15 Menschen grooven, springen und joggen (!) nach einer irren, kalorienzehrenden Choreografie zu „Life During Wartime“, einem Jahrhundertsong auf der Schnittstelle zwischen Funk und Rock, zum kultigen „Burning Down The House“ oder zum schrulligen „Girlfriend Is Better“. Die einst für ihren Minimalismus gerühmte vierköpfige Studentengruppe hatte sich hin zu einer vielköpfigen Weltmusik-Combo entwickelt. Oder besser: einer Kultband, deren Name heute noch die Augen glänzen lässt.
Der Streifen trug den Titel „Stop Making Sense“, was so viel bedeutet wie „Hör auf, vernünftig zu sein“, lockte scharenweise Menschen ins Kino, weil Demme mit seinem an drei Abenden im Pantages Theatre in Hollywood gesammelten Material ein grandioses Wechselspiel zwischen Bildern und Musik gelang. Er erzählte eine Geschichte, die auch hinter die Fassaden der Gruppe, vor allem von David Byrne blicken ließ. Inzwischen gilt „Stop Making Sense“ als der beste Musikfilm aller Zeiten, weil er die Talking Heads in Höchstform und mit einem bahnbrechend originellen Bühnenkonzept in Szene setzte. Auch 40 Jahre danach ist er ein singuläres Kunststück dieses eher schwierigen Genres mit wenigen Überraschungsmöglichkeiten geblieben. Klar, von den Rolling Stones bis zur omnipräsenten Taylor Swift zeigen sie alle in Bühnenfilmchen ihre Muskeln, aber meistens ist das nur eine bemühte Bebilderung von Live-Momenten. Das Demme-Meisterwerk ist anders. Allein der Oversized Suit von Byrne hält die Erinnerung an den Film bis heute wach.
Bald danach zerstritten sich die Talking Heads
Für die „Heads“ war es definitiv der Zenit, ihr ultimatives „Sgt. Pepper“. Danach folgte noch eine Studioplatte, aber allmählich zerstritten sich David Byrne (Gesang, Gitarre), Chris Frantz (Drums), Jerry Harrison (Keyboards) und Tina Weymouth (Bass). Die Auflösung erfolgte 1991, doch schon lange zuvor hatten sich die Bandmitglieder nichts mehr zu sagen. Die folgenden Jahre glichen einem Rosenkrieg mit subtilen gegenseitigen Spitzen. Aber die Zeit heilt bekanntlich Wunden, lässt einen milder und versöhnlicher werden, vor allem, wenn der 40. Geburtstag eines gemeinsamen Babys, nämlich „Stop Making Sense“, ansteht. Aus diesem Anlass durchbrachen Byrne, Frantz, Harrison und Weymouth endlich die Mauer des Schweigens, verabredeten sich im vergangenen Herbst für Talkshows und schwelgten dort lachend in Anekdoten und Erinnerungen. Man mag sich augenscheinlich wieder.
Wenn der Film nun am heutigen Freitag in restaurierter A24-Form auch in deutschen Kinos zu sehen sein wird, dann geht es darum, mit allen Sinnen in eine zeitlose Welle aus Musik einzutauchen, aber auch um die nach wie vor schwelende Frage nach einem möglichen Comeback. Das dürfte allerdings Wunschdenken bleiben. Die Talking Heads lehnten sogar ein 80-Millionen-Dollar-Angebot für sechs Festivalauftritte ab. Denn alles Wichtige ist längst gespielt und gesungen. Und in diesem Fall sogar noch in einem Film für die Ewigkeit festgehalten.