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Stadtbücherei Augsburg: Eine zutiefst berührende Ausstellung über das kurze Leben der Gabi Schwarz

Augsburg

Eine zutiefst berührende Ausstellung über das kurze Leben der Gabi Schwarz

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    Ein lachendes Kind: Gabi Schwarz vor dem Bauernhof in Stiefenhofen (Westallgäu).
    Ein lachendes Kind: Gabi Schwarz vor dem Bauernhof in Stiefenhofen (Westallgäu). Foto: Archiv Leo Hiemer

    Das geht ans Herz. Ein kleines Mädchen und ihr Alltag im Allgäu, Aufnahmen, die sie beim Älterwerden zeigen. Gabi als Baby, Gabi beim Spielen mit Bauklötzen, Gabi gemeinsam mit ihrer Mutter Lotte Eckart auf einer Decke in der Wiese. Alles schwarz-weiß, schon lange her. Vergangenheit. Gabi wächst in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren auf dem Aichele-Hof in Stiefenhofen (Westallgäu) auf. Man sieht, wie sie auf dem Hofhund Frischle reitet, man sieht sie mit einem Kälbchen oder einem Truthahn. Eine glückliche Kindheit in Bildern. Die Weltpolitik, die Nationalsozialisten, der Krieg, das alles taucht nicht auf. „Geliebte Gabi“ heißt diese Ausstellung. Und gäbe es nicht den Untertitel, man würde durch die Bilder nicht vorbereitet darauf, welches Schicksal Gabi droht. „Geboren im Allgäu - ermordet in Auschwitz“.

    Leo Hiemer hat die Erinnerung an Gabi zu seiner Lebensaufgabe gemacht

    Die Sonderausstellung, die durch die jahrzehntelange Forschungsarbeit des Allgäuer Filmemachers Leo Hiemer und die Kuratorin Regina Gropper möglich geworden ist, ist bis zum 23. November im 1. Stock der Stadtbücherei Augsburg angekommen. Sie zeigt Außergewöhnliches, nämlich das kurze, glückliche Leben eines Mädchens, das von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Im Regelfall blieb von den Millionen Opfern nämlich fast nichts mehr auf Erden zurück. Der Vernichtungswille war maximal, betraf auch die vielen Dinge der Erinnerung: Briefe, Fotos, Tagebücher, so wenig ist erhalten geblieben.

    Diejenigen, die selbst Opferschicksale erforschen, wissen, wie wenig manchmal über das Leben der Opfer überliefert ist. Und noch viel weniger ist von den Kindern erhalten geblieben, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Wer das im Hinterkopf hat, sieht die Sonderausstellung mit anderen Augen. Entstanden sind die vielen Bilder von Gabi, weil auch ihre leibliche Mutter Anteil am Leben ihres Kindes haben wollte. Sie, Lotte Schwarz, eine Jüdin, die sich kurz vor der Entbindung katholisch taufen ließ, kaufte eine Kamera an, mit der die älteste Tochter der Aicheles Gabis Älterwerden festhielt - für die Mutter.

    Hiemer gibt Einblicke in die Mordmaschinerie der Nationalsozialisten

    Gabi ist ein uneheliches Kind. Und weil die Mutter nicht weiß, wie sie das im Nazideutschland als Jüdin 1937 allein mit dem Kind schaffen soll, bittet sie um Hilfe - und bekommt sie. Ihre Tochter wird von den streng katholischen Aicheles in Stiefenhofen großgezogen - fünf Jahre lang. Die Mutter, die in Augsburg lebt, kommt so oft wie möglich zu Besuch.

    Bei der Ausstellungseröffnung erzählt Hiemer, wie der Verwaltungsapparat und die Mordmaschinerie der Nationalsozialisten arbeiteten. Die Mutter Lotte kommt 1941 in Augsburg in Haft; Hiemer vermutet, weil sie öffentlich keinen Judenstern getragen hat, kann das aber nicht sicher sagen. Sie wird anschließend im November 1941 ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück gebracht und dann 1942 in der NS-Tötungsanstalt Bernburg/Saale mit Kohlenmonoxid vergiftet. Hiemer erklärt, dass das SS-Standesamt Ravensbrück später gefälschte Sterbeurkunden verschickt hat. Eine habe die Hausbank von Lotte Eckart erreicht. Dort hatte die Frau zwei Daueraufträge eingerichtet, einer ging an die Pflegeeltern ihrer Tochter Gabi. Die Bank fragte bei der Finanzaufsicht nach, wie sie damit zu verfahren habe. Die Gestapo schaltete sich im Winter 1942 ein, rief im Allgäu an, wies an, dass Gabi Schwarz den Pflegeeltern Aichele entzogen und in ein jüdisches Heim überführt werden müsse. Widerstand war zwecklos, auch wenn die Aicheles dagegen aufbegehrten. Beim Abschied geben die Pflegeeltern Gabi ein Bild als Andenken mit. Und Gabi sagt: „Gell, Mama, Du betest für mich und ich bete für euch.“ Sie werden sich nie wieder sehen. Alle Versuche der Aicheles, das Mädchen zurückzuholen, scheitern. Gabi wird auf einem der fürchterlichen Transporte nach Auschwitz deportiert und dort am 16. März 1943 in der Gaskammer des Krematoriums II ermordet.

    40 Jahre hat man in Stiefenhofen nicht über Gabi gesprochen

    In Stiefenhofen spricht man 40 Jahre lang nicht über das Mädchen, das ein Opfer des nationsozialistischen Judenhasses und Genozids geworden war. Der Pfarrer erwähnt Gabi 1983 in der Dorfchronik und würdigt ihren Pflegevater Josef Aichele als Ehrenbürger der Gemeinde. Gernot Römer, damals Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, widmet in seinem Buch „Für die Vergessenen“ Gabi ein ganzes Kapitel. Danach schaltet ein Erinnerungskreis Todesanzeigen für Gabi, lässt Messen für sie lesen, will eine Gedenktafel für sie aufhängen. Aber weil man sich im Dorf nicht einigen kann, wird sie erst 30 Jahre später im Jahr 2020 an der Pfarrkirche in Stiefenhofen angebracht.

    Leo Hiemer hat bei der Vernissage auch berichtet, wie er 1987 das erste Mal von Gabi gehört hat. Er habe seine Mutter gefragt, ob sie, die wie Gabi in Stiefenhofen aufgewachsen ist, sie gekannt habe und sich an sie erinnere. Die Antwort: „Natürlich.“ Und warum hatte sie nie etwas von Gabi erzählt? „Niemand will mehr etwas davon hören“, sagte die Mutter. Seitdem arbeitet Hiemer mit unermüdlichem Einsatz am Gegenteil. Ein Lebenswerk, das erschüttert.

    Die Ausstellung „Geliebte Gabi“ ist bis zum 23. November in der Stadtbücherei zu sehen. Am Dienstag, 12. November, gibt es um 18 Uhr eine Lesung und ein Gespräch mit Leo Hiemer. Am Dienstag, 19. November, zeigt Leo Hiemer seinen Film „Leni muss fort“, der nach den ersten Recherchen zu Gabi entstanden ist. Der Eintritt ist frei.

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