Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Staatstheater Augsburg: Wenn eine Ballerina ihr Duett mit einem Roboter tanzt

Staatstheater Augsburg

Wenn eine Ballerina ihr Duett mit einem Roboter tanzt

    • |
    Eine Balletttänzerin des Staatstheaters Augsburg tanzt in "Kinesphere" ein Duett mit einem Roboterarm.
    Eine Balletttänzerin des Staatstheaters Augsburg tanzt in "Kinesphere" ein Duett mit einem Roboterarm. Foto: Jan-Pieter Fuhr

    In der riesigen, grauen Reinigerhalle des Augsburger Gaswerkareals ist er ein Blickfang, der Roboterarm in grellem Orange. Modernste Technik des 21. Jahrhunderts und karger Industriecharme aus dem letzten Jahrhundert, das geht wunderbar zusammen für eine Liaison von Mensch und Maschine. Denn in „Kinesphere“ von Ballettdirektor Ricardo Fernando wird der Kuka-Roboter zum Tanzpartner für Solistin Gabriela Zorzete Finardi und ihre 16 Kolleginnen und Kollegen des Ballett Augsburg. Es ist die neueste Produktion des Staatstheaters für die VR-Brille und wird zur Eröffnung der nächsten Spielzeit im September herauskommen.

    Die Begegnung Mensch und Maschine ist seit jeher eine, die an zentrale Fragen des Menschseins reicht und damit auch die Kunst beschäftigt. Was macht den Menschen aus? Aber auch: Wird dieTechnik zur Gefahr für den Menschen? Ist also die Maschine sein Partner oder Feind? Themen, die mit fortschreitender Technisierung immer drängender wurden, und denen sich Künstler auf unterschiedlichen Wegen näherten – zunehmend auch mit Hilfe der Robotik. Zum Thema machten dies die Musiker der deutschen Band Kraftwerk, die 1978 mit Elektronik-Sound und automatisiert wirkendem Auftreten proklamierten „Wir sind die Roboter“. In jüngerer Zeit gab es unter anderem Projekte wie die digitale Komposition einer zehnten Beethoven-Sinfonie, die malende KI-Frau Ai-Da, eine Performance mit Robotern auf der Biennale in Venedig. Das Theaterkollektiv Rimini Protokoll experimentierte mit einem digitalen Doppelgänger des Schriftstellers Thomas Hettche auf der Bühne.

    Staatstheater Augsburg experimentiert verstärkt mit digitalen Projekten

    Interessante Akteure sind Roboter auch für Choreografen, können sie doch mit den wiederholbaren exakten Abläufen die Möglichkeiten der Bewegung im Raum ausloten. Avantgardist William Forsythe etwa inszenierte seine Installation „Black Flags“ mit zwei Industrierobotern, deren Algorithmus schwarze Fahnen schwenken ließ. Für die amerikanische Ballerina Merrit Moore, die auch studierte Physikerin ist, wurde mit dem Lockdown „Baryshnibot“, in Anlehnung an den Tänzer-Ikone Michail Baryschnikow benannt, zum Tanzpartner eines Pas de Deux, den sie auf ihrem Instagram-Kanal veröffentlichte.

    Künstlich gesteuerte Roboter erobern also die Malerei, die Musik, das Theater, das Ballett. Stellt sich damit aber nicht auch die Frage nach dem Genie des Künstlers, der Leidenschaft des Schöpfers, die damit ersetzbar werden? Nicht für André Bücker, den Intendanten des Augsburger Staatstheaters, der an seinem Haus verstärkt mit digitalen Projekten, wie der VR-Brille experimentiert. „Autonome Kunst kann die Technik nicht schaffen, sie ist immer ein Werkzeug, das dem Künstler hilft, Grenzen auszuloten.“

    Der Roboter bekommt in "Kinesphere" fast menschliche Züge

    Wie etwa dem Choreografen Ricardo Fernando. Der hat ein 30-minütiges Handlungsballett geschaffen, in dem eine Wissenschaftlerin und ein Roboter zu einer Beziehung finden – mit einem Pas de Deux der Solistin Gabriela Zorzete Finardi und der 533 Kilo schweren Maschine als Höhepunkt. Es ist ein zartes Liebesduett, das den Zuschauer vergessen lässt, dass ein Teil dieses Paares nur ein digital gesteuertes Gerät ist. Da schmiegt sich die Tänzerin an den orangenen Stahl, als sei es der weiche Körper eines menschlichen Wesens. Der aus mehreren Gelenken bestehende Roboterarm folgt ihren Bewegungen, bekommt fast menschliche Züge, als hätte er einen Kopf und Augen, in die die Tänzerin blickt. „Wie bekomme ich den Roboter dazu Gefühle zu zeigen“, formuliert Ricardo Fernando die Herausforderung, wohl wissend, dass auch er dem Gerät Geist und Seele nicht einhauchen kann. Mit seiner Choreografie gelingt es ihm aber, im Zuschauer die Illusion zu wecken, der Roboter sei ein Wesen aus Fleisch und Blut, mit Gedanken und Empfindungen.

    Der Mann, der den Kuka-Roboter tanzen lässt, die Brücke zwischen Kunst und Technik, ist Markus Schubert. Die Choreografie Fernandos verwandelt er in Daten, die den Roboter in Bewegung setzen. Als Informatiker programmierte Markus Schubert für Firmen Industrie-Roboter bis er entdeckte, wie spannend es ist, die Maschinen auch anderweitig einzusetzen als für das Montieren von Autos. „Die digitalen Errungenschaften sind da, wie wir sie nutzen, das dürfen wir nicht nur Firmen wie Google und Microsoft überlassen“, ist Schubert überzeugt. Die Kunst habe eigene Antworten auf die Fragen, die die Technisierung des Lebens stellt, weiß der Mann, der Mensch und Maschine zusammen auf eine Bühne bringt.

    Dieses Zusammenspiel ist es, das André Bücker schon lange fasziniert. Auf ganz besondere Weise stelle es sich im Ballett dar, erzählt der Intendant. „Die Anmut der Maschine ist eine andere als die eines menschlichen Wesens, trotzdem hat man das Gefühl, dass sie interagieren“, hat Bücker bemerkt. Spannend sei der Kipppunkt, wann der Zuschauer die Maschine als eigenständige Figur wahrnehme, weil der Tanz in ihm etwas auslöse, das er dann auf den Roboter projiziere. „Das ist klassisches Illusionstheater, es ist die Verabredung in der Kunst, dass das, was auf der Bühne behauptet wird, auch so ist.“ Etwa, dass man im kalten Reinigerhaus des Augsburger Gaswerkes gerade Zeuge einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte geworden ist.

    Das könnte Sie auch interessieren:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden