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Uraufführung am Staatstheater Augsburg: So klingt die Oper "C:/> title Labyrinth"

Staatstheater Augsburg

Oper auf dem nächsten Level: "C:\>title Labyrinth" am Staatstheater Augsburg

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    Publikum mitten im Labyrinth: Uraufführung der Kammeroper "C:\>title Labyrinth" am Staatstheater Augsburg.
    Publikum mitten im Labyrinth: Uraufführung der Kammeroper "C:\>title Labyrinth" am Staatstheater Augsburg. Foto: Jan-Pieter Fuhr

    Ein Hinweis blinkt auf an der kahlen Mauer: "Please wait...", in Leuchtbuchstaben – also: "Bitte warten...". Aber worauf denn? Paukenwirbel? Geigensolo? Nein, das Staatstheater Augsburg bittet um Geduld, die Oper, die heute auf dem Spielplan steht, wird gerade gedownloadet. Eine Kammeroper soll es sein, eine Uraufführung. Aber diese Premiere findet eben nicht im Theatersaal statt, sondern im Kühlergebäude, am alten Gaswerk. Es spielen die Augsburger Philharmoniker, aber was sie hier spielen, ist ein Computerspiel. Lichtprojektionen an allen Wänden: Meterlange Programmiercodes, Spielbefehle, Fehlermeldungen. "Up!" und "Down!" wie bei Super Mario, Ketten von Nullen und Einsen wie im Actionfilm "Matrix". Und das Publikum? Sitzt mitten drin im Spiel, in dieser Flut an Reizen. 

    Hauke Berheide und Amy Stebbins inszenieren ihre neue Oper in Augsburg

    "C:\>title Labyrinth" heißt das Werk – aber von diesem verschlüsselten Titel hat sich das Premierenpublikum nicht abschrecken, nicht verwirren lassen. Der Komponist Hauke Berheide und die Librettistin Amy Stebbins haben eine Oper geschaffen, die sich nicht nur an Computerzocker wendet. Diese Oper baut auch auf starke Stimmen, auf das Charisma der alten Industriekulisse – und auf philosophische Gedankenspiele. Denn am Ende jedes Levels, nach jedem "Game over" im Stück, stehen die Spielfiguren vor derselben Frage: Mensch, wer bin ich? Mensch, wer bist du? Die Suche nach Antworten führt im Rückwärtsgang quer durch die Jahrhunderte und in das Leben von vier Spielfiguren.

    Zuerst aber tritt die Hauptheldin in die karge Bühnenszene von Steinen und Blöcken. Sie trägt den Namen "Ich" – als Angebot, sich direkt in ihre Gedanken einzufühlen. Blaugrüne Locken, sture Miene, Smartphone in der Hand: Diese Teenagerin (Sopran: Priya Pariyachart) scheint gerüstet für ein Spiel um Leben und Tod. Denn vier Leben hat "Ich" in diesem Computerspiel, dreimal darf sie scheitern. Doch: Wer bin "ich", und wenn ja wie viele "Ichs" sind hier gleichzeitig unterwegs im Raum? "Das ichste ich", will "Ich" werden, als einmalige und wahrhaftige Heldin. So kämpft sie ganz allein, winkt und wischt mit den Händen, als wäre die Luft ein Touchscreen, sammelt im Singen Spielpunkte. Bis zum Signal: Game Over. Erster Tod, es hat nicht gereicht. Trost findet "Ich" erst im zweiten Anlauf. Da entdeckt sie auf ihrem Pfad einen alten Knochen. Nein, eine steinalte Knochenflöte, in die sie jetzt pustet, bis es fiept. Worauf ein Echo von irgendwo hallt, aus den Tiefen der Geschichte. "So weit ich reiche: Raum. So weit ich blicke: Zeit", singt "Ich". Und wer sind die Abermillionen, die vor "Ich" schon "ich" waren? Damit beginnt ein Spiel mit der Menschheitsgeschichte.

    Die Kapellmeisterin Anna Malek leitet das Kammeropern-Ensemble und trägt für diesen harten Arbeitseinsatz Latzhose. Sie dirigiert mit großen Gesten und großer Sicherheit durch alle Level des Werks. Denn die Architektur der Musik ist kompliziert: Maleks Taktschlag gilt allen vier Ecken des Raumes. Dort haben sich die Philharmoniker in Nischen eingerichtet, neben klassischen Tönen produzieren sie einen atmosphärischen Notennebel, ein Rauschen, Knalleffekte. 

    Oper im Staatstheater Augsburg: "C:\>title Labyrinth" feiert Premiere

    Der Gag dabei: Hauke Berheide will all das, was heute aus Computern fiepst, aus Synthesizern gurgelt und an Mischpulten verquirlt wird – ganz analog erzeugen. Donnerbleche, klickende Maschinen Marke Eigenbau. Und immer wenn eine Spielfigur im Level scheitert, dann wird kein Jingle-Sound aus der Lautsprecherbox gespielt. Stattdessen jault die Posaune, als wäre Buster Keaton auf der Bananenschale ausgerutscht. Das Cello darf dagegen ab und an romantische Töne spielen – vor allem, wenn das Publikum jetzt die digitale VR-Brille auf die Nase setzt. Für diese Kunstpausen haben die Experten des Digitaltheaters ein prächtiges Labyrinth erbaut, in der virtuellen Realität: Es führt zuerst in eine arktische Eislandschaft. Dann in ein tiefes Bergwerk. Und schließlich ins untergegangene Reich der Mayas.

    Reset. Alles wieder auf Anfang. Wähle: Spielfigur 2. Jedes neue Elend und auch jedes neue Glück der Menschheit beginnt mit einer Entdeckung, mit der Sichtung eines unbekannten Objekts und der Frage: "Was ist das?" Und damit meint Mensch meistens: Kann ich mir das schnappen? Welchen Nutzen kann ich aus dem Ding für mich schlagen? Amy Stebbins lässt ihre vier Spielfiguren in Sätzen sprechen, die auf Dringlichkeit und Poesie verknappt und verdichtet sind, am Ende stellen sie dieselbe Frage. "Was ist das?", singt die Figur des Polarwissenschaftlers, der im Jahr 1972 in der Arktis nach Rohstoffen forscht – der Tenor Roman Poboinyi singt seine Rolle mit Inbrunst, im Heldenton des Pioniers. "Was ist das?", fragt der sowjetische Bergmann im Stollen, der im Jahr 1935 die Kohle sprengt und hackt – der Bassbariton Isaac Tolley spielt die Figur mit geerdetem, kernigem Ton.

    "Was ist das?", wundert sich die Maya-Priesterin, die für Regen ein Opfer bringen will, weil ihr Land unter der Dürre ächzt – mächtig ausdrucksstark: die Mezzosopranistin Franziska Weber. Und schließlich "Ich". Hauke Berheide schont seine Hauptspielfigur nicht, Priya Pariyacharts Stimme schlägt Haken im Labyrinth der Partitur, bewältigt sportliche Sprünge. Die Sopranistin trumpft auf, als Gast am Staatstheater. Und auch das Kostüm der Figuren sitzt perfekt: Polarforscher in silberner Michelin-Männchen-Kluft, eine Priesterin in Federn und ganz in Blau geschminkt, verspielte Kostüme für ein Computerspiel. So verschieden, so weit entfernt von einander, doch am Ende hören sie alle ein Plätschern. "Drip!", "Drop!", singen sie. Denn in das digitale Spiel tröpfelt plötzlich wieder die Natur. 

    Das Kühlergebäude am alten Augsburger Gaswerk wird zur Opernbühne

    Berheide und Stebbins nutzen das Kühlergebäude wie eine 360-Grad-Arena: Wer als Zuschauer nichts verpassen will, kann sich um die eigene Achse wenden, Drehstühle bieten den Rundumblick. Wer aber den Überblick über dieses Opern-Spiel-Spektakel gewinnen will, sollte vorab die Spielanleitung lesen. Sprich: das Programmheft. Da liest man, wie tief der philosophische Bergstollen ist, den Stebbins und Berheide hier in die Menschheitsgeschichte graben. Sie zitieren das Gilgamesch-Epos, den wohl ältesten überlieferten Mythos der Menschheit. Sie lehnen sich an die alten Griechen an. Selbst Karl Marx wird befragt, Kapitalismus und Kommunismus prallen aneinander. Wer hier vorbereitet ins nächste Level startet, hat doppelte Freude. Denn sonst – "Drip! Drop!" – droht eventuell eine Reizüberflutung.

    Info: "C:\>title Labyrinth", Kammeroper im Kühlergebäude am alten Gaswerk. Nächste Aufführungen: 11., 16., 18. und 19. April.

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