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Foto: Jan-pieter Fuhr
Foto: Jan-pieter Fuhr

Eine Hommage an Charlie Chaplin ist Ricardo Fernandos Ballett "Charlie" am Staatstheater Augsburg.

Staatstheater Augsburg
01.10.2023

Ballett-Premiere im Martinipark: Eine Verneigung vor Charlie Chaplin

Von Birgit Müller-Bardorff

Das Staatstheater Augsburg feiert Charlie Chaplin mit einem Ballett. Ricardo Fernandos Choreografie ist ein Bilderbogen in Schwarz-Weiß, der Komik und Melancholie der Filmlegende vereint.

Die Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Augsburg kreisen die Stöckchen, heben die Melonen und trippeln mit jenen Schrittchen über die Bühne, die keinen Zweifel daran lassen, wen man hier vor sich hat: den einzigartigen Charlie Chaplin - in 16-facher Version. Wie soll man ihm auch sonst beikommen, diesem Jahrhundertkünstler, der so vieles in sich vereinte: Schauspieler, Komiker, Komponist, Cellist und Geiger, Regisseur und Produzent, Cutter und Ausstatter. Eine Tanzausbildung hatte er aber, soweit bekannt ist, nie. Dennoch gehen Chaplin und Ballett eine wunderbare Verbindung ein: Beide verzaubern und berühren ihr Publikum ganz ohne Worte, mit der Ausdruckskraft des Körpers, mit Bewegungen, Mimik, Gestik. Auch in Ricardo Fernandos neuem Ballettabend "Charlie", der nun im Martinipark Premiere hatte.

Die Handlung im Ballett "Charlie" stellt die Vielschichtigkeit von Chaplins Charakters ins Zentrum

Doch wie nähert man sich einem Künstler, der so vielseitig war, der in einem fast 90-jährigen Leben Erfolge und Niederlagen erlebte, mit vier Frauen elf Kinder hatte, mit politischen Systemen in Konflikt kam, den Ruhm der Hollywood-Studios durch seine Stummfilme mitbegründete und mit der Erfindung des Tonfilms dann seine Schwierigkeiten hatte? Fernando und Dramaturgin Sophie Walz spannen, angelehnt an einige der berühmten Filme, einen Handlungsbogen, der sich nicht an der Biografie Chaplins entlanghangelt, sondern die Vielschichtigkeit seines Charakters, die Menschlichkeit seines Denkens, die Visionen seines Schaffens, die Zweifel und Ängste seines Lebens ins Zentrum stellt. Die Musik dazu stammt - bis auf eine Ausnahme - vom Meister selbst, sind die Songs, die Chaplin zu seinen Filmen schrieb. David Nigro, Tänzer im Ensemble, hat dazu neue Arrangements geschrieben.

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Foto: Jan-Pieter Fuhr
Foto: Jan-Pieter Fuhr

Afonso Pereira, Cosmo Sancilio, David Nigro in dem Ballett "Charlie" von Ricardo Fernando am Staatstheater Augsburg

Chaplin, der in England geboren und aufgewachsen ist, fand seine künstlerische Heimat in den Filmstudios Hollywoods. Dorthin durfte er nach einem Auslandsaufenthalt 1952 nicht mehr zurückkehren, weil er, der sich in seinen Filmen für die Sorgen der kleinen Leute interessierte, in den Verdacht kommunistischer Betätigung geriet. In "Charlie" kehrt nun der gealterte Chaplin (gesetzt und reif: Nikolaos Doede) in einem Traum zurück ins Filmstudio und trifft dort auf sein jüngeres Ich, den berühmten Tramp mit zu großen Schuhen, weiter Hose, engem Jackett, Stöckchen in der Hand und Bärtchen über der Lippe. Einfach bezaubernd und großartig, wie Cosmo Sancilio die berühmteste Figur Chaplins verkörpert, ja lebt. 

Ikonische Filmszenen werden im Ballett "Charlie" am Staatstheater Augsburg zitiert

Zusammen lassen der alte Chaplin und sein junges Alter Ego ikonische Szenen wie die Liebesszene mit der Ballerina aus "Rampenlicht", den Boxkampf aus "Lichter der Großstadt", die Verfolgungsjagd mit dem Polizisten aus "Der Zirkus" und die Begegnung mit dem blinden Blumenmädchen aus "Lichter der Großstadt" wieder aufleben. Zum Albtraum wird für den alten Charlie die Entwicklung der Filmindustrie und das Drängen seines Managers, der von dem Filmemacher alter Schule die Anpassung an modernen Zeiten verlangt. In raumgreifenden Bewegungen bringen Gabriela Finardi (als Managerin) und Nikolaos Doede dies in einem faszinierenden Pas de Deux zum Ausdruck.

Rasanter Slapstick mit genauem Timing wechselt in "Charlie" mit anrührender Emotionalität in den Bewegungen, die sich an Originalszenen in Filmen anlehnen, sie aber nicht kopieren. Zu diesen Kabinettstückchen Chaplinscher Filmkunst kommen Ensembleauftritte mit großer Energie und den für Ricardo Fernandos Stil so typischen Reihen, die sich auf- und wieder abbauen - ob mit Chaplin-Latschen auf der Lichtrampe oder raffinierten Leucht-Stöcken, die Bühne und Akteuren magisches Licht verleihen.

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Überhaupt Licht und Bühne: Pascal Seibicke hat hier unter den bekannt eingeschränkten Bedingungen im Interim Martinipark Großes vollbracht. Eine leere Bühne mit Scheinwerfern an den Seiten und einer Eisenwand im Hintergrund versetzt Zuschauende und Tanzende in die Kulisse eines Filmstudios. Der Lichtdesigner des Staatstheaters, Marco Vitale, legt darüber das für die Filme der 20er und 30er Jahre so typische Flimmern und schafft im kahlen Raum Atmosphäre.

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Foto: Jan-Pieter Fuhr
Foto: Jan-Pieter Fuhr

Der alte und der junge Charlie Chaplin, Nikolaos Doede und Cosmo Sancilio, begegnen sich am Staatstheater Augsburg in Ricardo Fernandos Ballett "Charlie".

Fahrbare Bühnenelemente wie eine Mauer mit Treppe, ein Sofa, auf dem sich die Familie tummelt (die einzige Szene in Farbe, die ein wenig an Eric Gauthiers fulminante Sofa-Choreografie erinnert, aber dahinter zurückbleibt) oder Regiestühle werden geschwind durch einen Vorhang auf die Bühne gefahren und leiten Szenenwechsel ein. Auch die Kostüme, ebenfalls von Patrick Seibicke, sind eine Wucht: Über schwarzen Ganzkörperbodys tragen die Tänzerinnen und Tänzer das typische Chaplin-Outfit, allerdings aus transparentem Stoff. Bekannt und doch raffiniert verfremdet ist somit der ikonische Chaplin-Look.

Zu Wagners "Lohengrin" wird mit großen und kleinen Bällen getanzt

Das Zusammenspiel aus Humor und Nachdenklichkeit, Leichtigkeit und Melancholie, das Chaplins Schaffen ausmachte, findet sich auch im Ballettabend "Charlie". Vor allem in der letzten Szene, in der in Anspielung auf "Der große Diktator" die Tänzer zu Wagners "Lohengrin"-Vorspiel zwischen kleinen und großen Bällen tanzen, während im Hintergrund der berühmte Appell für Frieden und Demokratie erklingt, kommt auch jene tiefe Menschlichkeit zum Ausdruck, für die Chaplin in Erinnerung bleibt. Dafür feiert das Publikum in Augsburg "Charlie" euphorisch.

Nächste Vorstellung am 7. Oktober.

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