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Sprachgebrauch: "Kaputte Wörter": Sensibles Sprechen für Fortgeschrittene

Sprachgebrauch

"Kaputte Wörter": Sensibles Sprechen für Fortgeschrittene

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    Geht das noch oder muss das - sprachlich gesehen - weg? Pizza mit Ananas, landläufig bekannt auch als "Pizza Hawaii".
    Geht das noch oder muss das - sprachlich gesehen - weg? Pizza mit Ananas, landläufig bekannt auch als "Pizza Hawaii". Foto: Angelika Warmuth, dpa

    Sprache verbindet nicht nur, sie kann auch trennen – und immer öfter verletzen. Dabei geht es längst nicht mehr allein um Bezeichnungen für schaumzuckerhaltige Süßspeisen oder pikante Schnitzel. Auf heikles Terrain begibt sich bereits, wer Winnetou noch einen Indianer nennt (statt indigenen Ureinwohner) oder im Polarkreis Eskimos vermutet (statt Inuit). Keine Frage, immer größere Teile unseres Wortschatzes sind in ihrer Funktionstüchtigkeit bedroht. Von „kaputten Wörtern“ spricht der Sprachexperte Matthias Heine. Rund 80 Kandidaten hat er in einem Buch zusammengestellt. Nicht als Verbotsliste, sondern als Überblick zur Debatte um sensible Sprache. Und als Ausblick auf Streitigkeiten, die womöglich erst noch kommen. Oder hätten Sie gedacht, dass folgende Beispiele potenziell diskriminierend sind?

    Afrika: Als der Backwarenhersteller Bahlsen vor zwei Jahren im Internet seinen gleichnamigen Keks bewarb, erntete er einen Sturm der Entrüstung. Ein brauner Keks, der „Afrika“ heißt: Dahinter konnte sich ja nur rassistisches Gedankengut verbergen! Inzwischen ist aus „Afrika“ das Produkt „Perpetum“ geworden – jedenfalls im Keksregal. Was den Kontinent betrifft, bleibt freilich alles beim Alten. Dabei führen Sprachhistoriker „Afrika“ auf bedenkliche Wurzeln zurück. Entweder nämlich entstammt es dem phönizischen „Afar“ für „Staub“ oder dem Berberwort „Ifar“ für „Höhle“. Menschen aus Afrika galten demnach entweder als staubbedeckt oder als Höhlenbewohner. In beiden Fällen ist die verächtliche Haltung gegenüber Völkern aus dem Süden mit Händen greifbar. Wie aber könnte eine Alternative lauten? In panafrikanischen Kreisen, sagt Heine, spreche man von „Alkebulan“, es soll so viel heißen wie „Land der Schwarzen“.

    Kritik von einer Kinderpsychologin

    Bester Freund: Einen solchen zu haben, galt einst als großes Glück. Doch wo Glück im Spiel ist, sind Ungerechtigkeiten nicht weit. Die amerikanische Kinderpsychologin Barbara Greenberg kritisiert: Viele Kinder litten unter Minderwertigkeitsgefühlen, weil ihnen ebendieser beste Freund fehle. Mehrere US-amerikanische und britische Grundschulen führten deshalb eine neue Richtlinie ein, die den Kult um den „besten Freund“ kurzerhand untersagte. Greenberg sprach von einem „sehr faszinierenden gesellschaftlichen Experiment“: ein Experiment freilich, das sich auf deutsche Schulen bislang noch nicht ausgeweitet hat. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

    Pizza Hawaii: Man ahnt es, dieses kulinarische Gut kommt gar nicht aus Hawaii. Vielmehr wurde es von einem kanadischen Wirt mit griechischen Wurzeln erfunden. Prägnantestes Merkmal ist eine Frucht aus Südamerika, nämlich die Ananas. Die Idee, eine süße Zutat auf einer eher salzigen Pizza zu platzieren, verdankte sich wiederum der chinesischen Küche. Alles in allem also ein Musterbeispiel für Diversität und interkulturelles Kochen. Wäre da nicht dieser verflixte Name: Hawaii. Die Schweizer Gruppe Linke PoC/Migrantifa sieht darin einen Ausweis für „Kolonialismus und Aneignung“ – sei doch mit dem Ananasanbau die indigene Bevölkerung von weißen Siedlern ausgebeutet worden. Wie man das Gericht sonst nennen soll? Ganz einfach, sagen die Aktivisten: „Pizza mit Ananas!“

    Populär bei den "Weißen"

    Curry: Noch so ein kulinarischer Begriff, und wieder geht es um eine kolonialistische Perspektive. Nach seiner ursprünglichen (wahrscheinlich tamilischen) Bedeutung heißt er so viel wie „Tunke“, was wenig anstößig erscheint. Kritik ruft jedoch hervor, dass europäische Köche im Laufe der Jahrhunderte alles, was nach indischer Küche schmeckt, mit dem Etikett „Curry“ versehen wird. In Indien, sagt die Foodbloggerin Chaheti Bansal, ändere sich das Essen alle hundert Kilometer. „Dennoch verwenden wir immer noch diesen Oberbegriff, der von Weißen populär gemacht wird, die sich nicht die Mühe machen konnten, die tatsächlichen Namen unserer Gerichte zu erfahren.“ Inzwischen, schreibt Heine, werde der Begriff „Curry“ insbesondere von amerikanischen Köchen mit südasiatischen Wurzeln problematisiert.

    Frau: Wann ist eine Frau eine Frau? Seit das Thema Transsexualität die politischen Diskursräume erobert hat, wird kaum eine Frage so erbittert diskutiert wie diese. Die einen sagen: Dieser Begriff umfasse alle, „die sich selbst so definieren“. Die anderen halten dagegen: Wenn es jedem Menschen freisteht, sich selbst als Frau zu definieren, verlieren eigens eingerichtet Schutzräume für Frauen ihre Wirkung. Die einen wiederum erklären: Kein Mann wird sich als weiblich definieren, nur um in Frauenhäuser vorzudringen oder für Frauen vorgesehene Parlamentsmandate zu besetzen. Die anderen sagen: Wo eine rechtliche Lücke ist, finden sich immer Menschen, die sie ausnutzen! Was eine Frau ist und was nicht, ist noch nie so umstritten gewesen.

    Matthias Heine: Kaputte Wörter? Vom Umgang mit heikler Sprache. Duden Verlag, 304 S., 22 €.

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