In einer ganzen Reihe von Städten brachten und bringen Theater in diesem Jahr Carl Maria von Webers romantische Oper „Der Freischütz“ auf die Bühne. Die Beliebtheit der 1821 uraufgeführten Oper ist ungebrochen – aber wie führt man den dämonischen Hintergrund samt Appell zu moralischer Tugend und Vergebung heute auf? Am Theater Ulm pendelt Annette Wolfs Inszenierung zwischen Ironie und der ernsthaft existenziellen Frage nach der Hölle im eigenen Ich.
Die Hölle, das sind die anderen, heißt es bei Sartre. Die Hölle kann aber gerade auch das eigene Ich sein – die Versagensängste im Inneren, die verleiten können, Dinge zu tun, die man bei rationaler Betrachtung nicht tun würde, zumal, wenn Aberglaube Hoffnung verspricht. So ist bei Annette Wolf, der in Kalifornien geborenen Tochter eines Ulmer Physikers, das schwarze Loch namens Wolfsschlucht angelegt: Dieser Abgrund in der Bühnenmitte könnte überall sein. Im verliebten Jägerburschen Max zum Beispiel, der Agathe, die Tochter des fürstlich-böhmischen Erbförsters heiraten will, womit zugleich seine Zukunft gesichert wäre.
Freischütz am Theater Ulm: Wer den Pakt mit dem Teufel eingeht ...
Aber Max fürchtet sich vor dem nach alter Tradition verlangten Probeschuss, der Liebe und Zukunft zerstören kann, und trifft nicht mehr – erotische Anspielungen schwingen im Spott der Männer im Dorf reichlich mit. Die Angstvisionen lassen Max auf die dunkle Macht von Zauberkugeln hoffen. Doch wer den Pakt mit dem Teufel eingeht, für den gibt es kaum eine Rückkehr in die Welt davor. Gut und Böse stehen einander im Bühnenbild von Petra Mollérus als Eremit und Teufel (Shunya Goto und Gaetan Chailly) gegenüber, die in ihren schwarz-weißen Kostümen wie Positiv und Negativ einer alten Fotografie wirken. Und doch: Sie kommen ganz gut miteinander aus, das personifizierte Gute und der Teufel Samiel, und keiner von beiden ist ganz schwarz oder ganz weiß.
Kaum eine Oper ist wohl so oft verballhornt worden wie der „Freischütz“, und das tut auch Annette Wolf – wenngleich die Ironie erst im zweiten Teil richtig zum Tragen kommt. Freilich, die Jagdbeute, das Wildbret, das da abhängt, wirkt eher wie erlegte Wolpertinger, und optisch erinnern die Solisten und der Chor an Schießbudenfiguren. Ein Märchen? Der Volksglaube vom Freischützen, der durch den Bund mit dem Teufel magische Kräfte erlangt, findet sich schon im späten Mittelalter dokumentiert, und auch die Oper selbst spielt vor dem Zeitalter der Aufklärung. Amüsant wird die Ironie nach der Pause, als die Jungfernkranz-Szene zu einer Art Junggesellinnenabschied auf dem Oktoberfest mutiert, Klopfer-Schnäpse inklusive – während die Männer im Schwarzen Hirschen dem Jägermeister zusprechen.
Das Ulmer Orchester und die Chöre sind gewohnt souverän
Stimmlich überzeugen die Solisten um die überragende Maryna Zubko in der Rolle der holden und kitschig blond bezopften Braut Agathe: Martin Gäbler als Caspar, abgelehnter Konkurrent um die Hand Agathes und seit Jahren mit dem Teufel im Bunde, Maria Rosendorfsky als Ännchen, Cornelius Burger in der Rolle des traditionsbewussten Erbförsters, Markus Francke als Jägerbursche Max und Dae-Hee Shin als Fürst Ottokar, der Max zunächst wegen seines Fehltritts zum Dämonischen in die Verbannung schicken will, sich dann aber vom Eremiten, dem personifizierten Guten, von Vergebung für den Geläuterten überzeugen lässt. Das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Panagiotis Papadopoulos präsentiert sich gewohnt souverän, Opern- und Extrachor tragen die beliebten Melodien der Oper und sorgen für bunte Bilder.
Am Ende? Die Katastrophe ist um Haaresbreite abgewendet, Bewährung ist an- und der traumatisierende Probeschuss abgesagt. Nur die Tiefe des Grauens, der Volkssage innewohnend, kommt etwas kurz.
Weitere Vorstellungen im Theater Ulm am 28. 9., 5., 13. und 16. Oktober.
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