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Salzburger Festspiele: Zweigs Sternstunden neu interpretiert

Salzburger Festspiele

Sternstunden, die ziemlich nerven: Stefan Zweigs Werk bei den Salzburger Festspielen

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    „Sternstunden der Menscheit“ bei den Salzburger Festspielen (v. l. n. r.).:  Nicola Mastroberadino, Vincent Glander, Isabell Antoni Höckel, Barbara Melzl,  Evelyne Gugolz.
    „Sternstunden der Menscheit“ bei den Salzburger Festspielen (v. l. n. r.).: Nicola Mastroberadino, Vincent Glander, Isabell Antoni Höckel, Barbara Melzl, Evelyne Gugolz. Foto: Sandra Then

    Ob dieser staatliche, weißhaarige Herr in der ersten Reihe des Salzburger Landestheaters wohl Porsche war, Wolfgang Porsche vom Aufsichtsrat Porsche, VW und auch Audi, Hauptsponsor der Salzburger Festspiele? Von hinten konnte man es nicht eindeutig erkennen. Jedenfalls hätte Porsche guten Grund gehabt, speziell in dieser Premiere zu sein. Erwarb er doch, so ist es nachzulesen, das Paschinger Schlössl auf dem Salzburger Kapuzinerberg, also den einstigen Wohnsitz Stefan Zweigs zwischen 1919 und 1934.

    Die Salzburger Festspiele auf Stefan Zweigs Spuren

    Von hier aus stieg Zweig zum Café Bazar an die Salzach hinab, um die Presse zu studieren, von hier aus blickte er hinüber zu Hitler auf dem Obersalzberg und schrieb darüber in seiner „Welt von gestern“, hier verwahrte er seine gesammelten Autografen und den Schreibtisch Beethovens, hier besuchten ihn auch Thomas Mann, Hofmannsthal, Joyce, Schnitzler, Romain Rolland. Und hier entstand die erste Ausgabe seiner „Sternstunden der Menschheit“ (1927), weniger Inhalt als Anlass zu besagter Neuproduktion im Landestheater, bei dem mehr München und sein Residenztheater federführend schien als die Salzburger Festspiele.

    Anfangs fünf, später 14 Miniaturen aus der Wissenschafts-, Kultur- und politischen Historie vor allem Europas sind in den „Sternstunden der Menschheit“ versammelt; 14 Ereignisse, die Geschichte schrieben, etwa die Verlegung des ersten Unterseekabels zwischen Amerika und Europa, die Entstehung des Oratoriums „Messias“ von Händel, Napoleons „Waterloo“ 1815. Ob die Miniaturen tatsächlich alle Sternstunden der Menschheit waren, ob sie alle tatsächlich die ihnen zugeschriebenen revolutionären Folgen gehabt haben, bleibe mal dahingestellt. Robert Falcon Scott jedenfalls, auch er erhielt von Zweig eine Sternstunde, kam zu spät zum Südpol, um als Pionier zu gelten. Stattdessen starb er in Eiseskälte.

    Thom Lutz inszeniert die „Sternstunden der Menschheit“

    Die „Sternstunden der Menschheit“, von Zweig dichtend zugespitzt, sind kein dramatischer Text. Und sie sind es nun auch nicht auf dem Theater in einer Text-Kompilation des 42-jährigen Thom Luz, dieses Schweizer Regisseurs und Musikers, der Sprachmusikgeräuschabende herausbringt, keine linearen Handlungen. „Nebelabende“ wurden sie schon genannt, und „schöne Nachrichten irgendwie mit Nichts“ – wenn auch präzise komponiert. In diese Richtung geht nun auch diese München-Salzburger Produktion.

    Gut, dass es Programmhefte gibt, die – zumindest gleichnishaft  – vermuten lassen, welche Intentionen einem Bühnenabend zugrunde liegen. Zweigs Miniaturen jedenfalls, in Auswahl eh nur kurz angetippt, wiedererkennbar nur für den, der sich mit ihnen bereits beschäftigt hat, gehen vielfach unter in Stimmengewirr, elektronisch verzerrter Lautsprecher-Wiedergabe, übertönender brasilianischer „Choro“-Musik. Recht eigentlich ist dieses Projekt eine Performance in einer Installation plus textzerlegender Hörspiel-Partitur.

    Was zu sehen ist? Ein Lager, ein Depot, ein Archiv. Eine Rumpelkammer der Weltgeschichte, Abteilung Europa (Bühnenbild: Duri Bischoff). Eine Kanone, eine Kabeltrommel, ein Heizkörper, ein Pferdekopf, eine Pyramide, ein Denkmal-Sockel, Kapitelle. Alles in Weiß, wie die Gipskopien großer antiker Kunst. Aber es ist nur Styropor. Nachgemachte Requisiten der Historie, Requisiten auch der „Sternstunden der Menschheit“. Sie werden betrachtet, befingert, abgeklopft, abgehört, umgestoßen, neu arrangiert von sechs Personen in moderner Freizeitkleidung, die nicht so recht wissen, was ihnen der ganze Plunder soll. Mal läppisch, mal scheinbar bedeutungsschwanger hantieren sie mit ihm.

    Bei den Salzburger Festspielen erntet Thom Luz Buh-Rufe

    Passagen aus den 14 Miniaturen erklingen, darunter die Entstehung der Marseillaise, die Eroberung von Byzanz, das Versagen des Präsidenten Woodrow Wilson in Europa, Ciceros Tod, dazu – nun mit Originalstimme der Schauspieler – Briefauszüge Stefan Zweigs aus Salzburg, London, Endstation Brasilien, wo er Suizid beging. Ja, das alles ist präzise im Zusammenklang gebaut und abgestimmt, aber – ehrlich formuliert – in der Summe, auch wegen der Lautstärke, enervierend. Selten kommt die Aufführung, getragen vom Pessimismus Stefan Zweigs und Thom Luz‘ zu Ruhe und Konzentration. So mag sich auch der Gutwillige bei dem Gedanken ertappt fühlen: Gut eineinhalb Stunden Stefan-Zweig-Lektüre führen zu deutlich mehr als dieser Fragment-Collagen-Abend.

    Der Applaus war durchaus enden wollend, integriert kräftige Buhs für Thom Luz. Drei der Rezitatoren sollten dennoch hervorgehoben werden: die wunderbare Barbara Melzl, Vincent Glander und die junge Isabell Antonia Höckel.   

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