Massentierhaltung: ein Begriff, unmöglich wertungsfrei zu gebrauchen, so scheint es, auch in den aktuellen Debatten um die Deutschen und ihr Fleisch. Das gute nämlich, dessen Konsum grüne Minister fördern wollen, kann ja wohl unmöglich dorther kommen – das billige aber, um das es in der Frage des gefährdeten Industriestandorts geht, sehr wohl. Als wäre das alles klar und einfach zu unterscheiden mit jenem vermeintlichen Ekelwort, das die produzierende Branche deshalb gern mit dem Begriff der „intensiven Nutztierhaltung“ ersetzt.
Aber nüchtern betrachtet – und bei diesem emotional wie ideell sehr aufgeladenen Thema tut das vielleicht besonders not – birgt gerade das Phänomen beim Namen genannt das größte Potenzial. Die Haltung von Tieren in der Masse nämlich, begriffen als Teil unserer Kulturgeschichte, ist erst im zweiten Schritt eine Frage der Moral, zuvörderst aber eine Herausforderung für die Erkenntnis. Denn wie ist es überhaupt dazu gekommen in Deutschland? Wann und warum?
Veronika Setteles Buch trägt den Titel "Deutsche Fleischarbeit"
Für das Verstehen vor allem Urteil und als dessen Basis sind darum zwei aktuelle Bücher bestens geeignet, geschrieben von Historikern: Veronika Setteles „Deutsche Fleischarbeit“ und Karl Christian Führers „Das Fleisch der Republik“. Aber bevor es damit in die Geschichte geht, ein so augenfälliger wie im Vergleich erhellender Befund über die Gegenwart: Früher war Fleisch noch Mangelware, die Tiere, von denen es stammte, aber waren bis in das Alltagsleben sogar in den Städten allgegenwärtig – heute kommen sie im Alltagsleben nicht mehr vor, dafür ist ihr Fleisch in großen Mengen überall.
Der in der Wahrnehmung fortschreitend entleibte Tierkörper – auch das ist eine Folge der Massentierhaltung. Und deren Entstehungsgeschichte zeichnet Veronika Settele bis Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, als tatsächlich Schweine, Hühner und Rinder auch noch in großen Metropolen lebten, ob in New York oder Berlin, in den Wohnvierteln, wo sie auch geschlachtet wurden. Doch auch wenn der Konsum bis ins neue Jahrhundert langsam wuchs, blieb immer noch eine doppelte Erfahrung: Ein üppig mit Fleisch und Wurst gedeckter Tisch war für die meisten unerreichbar, zugleich aber bereits zum Symbol des eigentlich doch allen zustehenden guten Lebens geworden.
Massentierhaltung ist die Folge des Wohlstandsversprechens
Eine Verheißung, die sich aber zunächst nicht weiter erfüllen sollte – denn es folgten ja erst die Krisen, die Inflation, die Weltkriege, die Not. So zeugen hundert Jahre alte Bilder in Setteles Buch, auf denen etwa Frauen in Köln Ferkel an der Leine spazieren führen oder in Berlin ein Lämmchen im Arm zum Weiden auf das Tempelhofer Feld führen, nicht etwa nur von der größeren Nähe zwischen Tier und Mensch, sondern von der Wertschätzung, weil bei freiem Fall von Geld und Werten die Tiere auch Ernährungssicherheit bedeuten.
Das erhöhte nach dem Ende der Krisen – und zwar über die fundamentalen Systemunterschiede der beiden deutschen Staaten, die die Historikerin auch vergleichend in den Blick nimmt, hinweg – die symbolische Bedeutung nur noch: Die Versorgung mit Fleisch hatte höchste Priorität, weil die Loyalität der Bürger auch sehr stark daran geknüpft war – und so war ein Grund zur Entstehung der Massentierhaltung politischer Wille, nicht bloßer kapitalistischer, sondern vor allem auch demokratischer Dynamik geschuldet. Massentierhaltung ist die Folge des Wohlstandsversprechens.
Karl Christian Führer befasst sich mit dem Fleischkonsum
Der Kipppunkt, so erzählt Karl Christian Führer in seiner Studie, waren die Jahre 1958/59. Bis dahin kaufte die deutsche Hausfrau Fleisch und Wurst selbstverständlich beim Metzger, das der meist auf ohne Gewinninteresse zur Verfügung gestellten kommunalen Schlachthöfen bereitet hatte. Das sich etwas daran ändern würde, schien schwer vorstellbar, keine einzige Partei unterstützte die Idee von Massenställen – die nämlich, dass die Menschen Frischwaren und darunter vor allem Fleisch in Supermärkten kaufen würden, schien noch abenteuerlich. Aber, so schildert es der Historiker: Genau das geschah, als sie begannen, sehr viel mehr Fleisch zu essen, es sehr viel selektiver zu tun, also nur noch bestimmte Teile der Tiere, aber dafür nicht mehr Geld als nötig ausgeben zu wollen.
Unter all den mittelständischen Metzgereien habe es quasi keine Preiskämpfe gegeben – mit den Supermärkten, die sich in diesem Segment aber behaupten wollten, kamen die dauernden Sonderangebote bei Fleisch und Wurst. Und mit der stetig steigenden Nachfrage nach täglich frischen Mengen an speziellen Tierteilen entstanden auch die großen kommerziellen Großschlachtereien, die bald schon zu sogenannten „Versandschlachthöfen“ wurden. Das Geschäft wurde größer und zentralisierte sich zusehends, eben auch in der „Produktion“ – samt spezialisierter Arbeitsteilung, beginnend bereits etwa bei der Sperma-Lieferung von Zuchtbullen und immer weiterer Automatisierung mit Melkmaschinen, -Karussellen, digitalisierter Gesundheits- und Leistungsüberwachung … Und in immer weiteren Teilen des Landes kamen die Tiere damit nur noch als abgepacktes totes Fleisch in den gewünschten Portionen vor.
Wie wirken sich die Skandale in der Massentierhaltung auf den Konsum aus?
Und was bei Settele noch als Ausdruck politischen Willens begann, wird bei Führer so beispielhaft für eine Veränderung in einem freien kapitalistischen System. Denn die Politik wollte eigentlich immer an der „heiligen Kuh“ der bäuerlichen Familienbetriebe festhalten, auch die Bauern fügten sich nur höchst widerwillig dem Trend – aber die Bürger wollten eben immer mehr Fleisch und möglichst billig. Das brachte die Kettenreaktion in Gang, begründete in der Fleischwirtschaft eine hochproduktive, sehr effiziente Industrie, eine große Erfolgsgeschichte. Freilich auch mit Problemen. All den Lebensmittelskandalen etwa. Aber im Grunde ohne Folgen, resümiert Führer: Es gebe keine Verbindung zwischen dem Einkaufsverhalten und der immer größeren Fülle an Informationen über die Schattenseiten der Massentierhaltung, vor allem auf zu engem Raum.
Aber so steht man nun vor der moralischen Frage: Was nehmen wir wofür in Kauf? Die Politik versucht Regulierungen, etwa Verbote von Kükenschreddern oder Schnäbelkürzen. Und selbst Discounter erkennen inzwischen den Bedarf, sich Nachhaltigkeit und bessere Tierhaltung auf die Fahnen zu schreiben – und sei es nur als Instrument der Imagepflege. Die Paradoxie der freien Marktwirtschaft, sie fällt aber letztlich doch immer auf den Konsumenten zurück.
Fleischessen ist heute kein Nachweis für Wohlstand
Veronika Settele hofft, dass durch die Debatte um das Klima auch eine andere Dringlichkeit in die Frage der Tierhaltung kommt. Und Karl Christian Führer, dass möglichst viele möglichst bald einsehen, welch entscheidende Verbesserungen es bedeute, seltener und dafür besseres Fleisch zu essen. Auch wenn das Symbol unbewusst noch immer wirken mag: Ein tatsächlicher Wohlstandsnachweis ist das tägliche Fleischessen jedenfalls längst nicht mehr.
Die Bücher Veronika Settele: Deutsche Fleischarbeit. C. H. Beck, 240 S., 18 € – Karl Christian Führer: Das Fleisch der Republik. De Gruyter Oldenbourg, 528 S., 74,95 €