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Roger Waters in München: Konzert-Kritik

Konzertkritik

Roger Waters in München: Mehr Gehirnwäsche als Rockkonzert

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    Roger Waters, Musiker und Mitbegründer der Band Pink Floyd, hat am Sonntagabend in der Münchner Olympiahalle gespielt.
    Roger Waters, Musiker und Mitbegründer der Band Pink Floyd, hat am Sonntagabend in der Münchner Olympiahalle gespielt. Foto: Stefan M. Prager

    Eigentlich sollte es um die Musik gehen. Um großartige Songs und das gute Gefühl, eine Rock-Legende live zu erleben. Doch bevor Pink-Floyd-Mitbegründer Roger Waters auch nur einen Ton spielt, verkündet seine Stimme aus dem Off: "Gleich beginnt die Show. Solltest du zu den Leuten gehören, die Pink Floyds Musik lieben, aber

    Alles klar, dann am besten direkt mal an die Bar. Gegen den Fluchtinstinkt hilft auch der Hinweis nichts, dass er kein Antisemit sei und ihm das sogar per Gerichtsbeschluss attestiert worden sei – was nicht stimmt, da das Frankfurter Verwaltungsgericht im Vorfeld lediglich festgestellt hatte, dass sein Auftritt die Verbrechen der Nazis nicht verherrliche. 

    Der Auftritt des britischen Musikers stand wegen dessen Nähe zur antisemitischen Israel-Boykott-Bewegung BDS und Russland-Propaganda seit Monaten in der Kritik. Mehrere Städte wollten die Konzerte verhindern, doch Waters ging dagegen vor. So durfte er am Sonntagabend in der Münchner Olympiahalle spielen – und bewies, dass sich seine Ansichten nicht von seiner Musik trennen lassen. Fans verjagen, bevor man überhaupt die Bühne betritt? Ganz schön gewagt, verriet aber einiges über Waters Weltanschauung und über das, was dann folgte. Denn das hatte es in sich. 

    Auch das obligatorische Gummischwein fliegt durch die Halle

    Zweieinhalb Stunden flackern politische Slogans, Bilder von zerbombten Städten und niedergeknüppelten Demonstranten über einen Leinwandkoloss, der kruzifixförmig über der ebenso geformten und mitten in die Arena geklotzten Bühne schwebt. Patronenhülsen, Insekten, geschlachtete Kühe, Coronaviren und Schafe wabern willkürlich durch den animierten Äther, während Waters mähend über die Bühne läuft und dazu aufruft, miteinzustimmen in den ironisch gemeinten Choral der Gleichschaltung. Und das Publikum folgt ihm hörig. 

    Ununterbrochen projiziert Waters sein dualistisches Weltbild auf den Bildschirm: Gut gegen Böse. Wir, das Volk, gegen die da oben, die Regierenden, Oligarchen und Machthaber. Die US-Präsidenten der vergangenen Jahrzehnte, von Reagan über Bush, Obama und Trump werden allesamt zu Kriegsverbrechern erklärt und geldgierigen Bankern Schweineköpfe aufgesetzt. Neben einem aufgeblasenen Schaf, das frei nach George Orwells "Animal Farm“ die verblödete Masse repräsentieren soll, fliegt dann auch das obligatorische Gummischwein durch die Halle. Diesmal zwar ohne Davidstern, dafür aber bekritzelt mit den Namen mehrerer Rüstungskonzerne. Das Schwein als Symbol des Bösen – zu dem auch Israel gehört, wie Bilder von Soldaten und der Mauer entlang der Westbank zeigen sollen. 

    Und falls immer noch nicht klar sein sollte, auf welcher Seite Waters steht, wickelt er sich zur Sicherheit ein Palästinensertuch um, bevor er "Déjà Vu“ klampft, "Free Julian Assange“ ruft und die Leinwand mit viel "Fuck“ für sich sprechen lässt. Bomben, Besatzung, Patriarchat – alles scheiße. Stattdessen mehr Rechte für Schwarze, Geflüchtete, Indigene und Palästinenser. Für die hat das Publikum dem Applaus nach zu urteilen am meisten übrig. Beim Recht auf Abtreibung will niemand so recht klatschen. 

    Roger Waters ballert mit Fake-Maschinengewehr um sich

    Die Musik wird immer wieder von Soundeffekten durchbrochen, von Schüssen, Geschrei oder Tonspuren von Soldaten, die Jagd auf Zivilisten machen. Viel Lärm, viel Blut, viel Effekthascherei. Für differenzierte Meinungen ist auf der Leinwand kein Platz. Stattdessen werden große Begriffe und einfältige Sprüche platziert. Gegen Kapitalismus, Militarismus, Krieg, Faschismus. Gegen das große Ganze. Hauptsache dagegen. 

    Der Höhepunkt der Horrorshow: Nach der Pause betritt Waters in langem Ledermantel und roter Armbinde die Bühne, flankiert von zwei Soldaten, die ihm ein Fake-Maschinengewehr in die Hand drücken. "Are there any paranoids in the arena?“, brüllt Waters und ballert mit erschreckend echtem Knallgeräusch in die Menge, während die Band "Run like Hell“ anstimmt. Spätestens da möchte man tatsächlich nur noch weglaufen vor diesem weißen, alten Mann, der da auf so unerträgliche Art den durchgeknallten Diktator mimt, um autoritäre Ideologien und blinde Gefolgschaft zu karikieren, und sich dabei eben genau jener Strategien bedient, die er zu kritisieren versucht. 

    Holzschnittartig werden plumpe Parolen serviert, die selbst faschistoide Züge in sich tragen. Man muss sich noch nicht mal auf das antisemitische Narrativ versteifen, um von der Show genervt zu sein. Waters selbstgerechte Haltung reicht schon. Wie der große Weltversteher stapft er über die Bühne und verschafft seinen Anhängern das Gefühl von totaler Selbstbestätigung. Wir in der Arena haben es verstanden, im Gegensatz zu denen da draußen. 

    Vor der Olympiahalle demonstrieren rund 80 Menschen gegen das Konzert

    Dort neben dem Eingang der Olympiahalle wehen Regenbogenfahnen und Israelflaggen. Polizeiaufgebot. Rund 80 Menschen demonstrieren gegen das Konzert. Der Verein "München ist bunt!“ hatte dazu aufgerufen. Sie schwenken Israel-Fähnchen, Ukraine-Flaggen oder halten Schilder hoch, auf denen "We don’t need your education“ steht – in Anlehnung an die berühmte Zeile des Pink- Floyd-Songs "The Wall“. 

    Charlotte Knobloch (Mitte), frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei der Demo gegen den Musiker Roger Waters.
    Charlotte Knobloch (Mitte), frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei der Demo gegen den Musiker Roger Waters. Foto: Britta Schultejans, dpa

    Auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, ist gekommen. In einer kurzen Ansprache bezeichnet sie Waters als "antisemitischen Brandstifter“ und liefert sich ein kurzes Wortgefecht mit einem Fan, der mehrmals "Waters ist geil“ brüllt. "Hör auf, geh’ halt rein, wenn Du ihn so liebst“, entgegnet Knobloch. Macht er dann auch. Aber so ganz spurlos scheinen die Debatten um Waters an den Fans nicht vorbeizugehen. Denn auch sie diskutieren. Man habe gehadert. Verurteile Waters Haltung gegenüber Putin und dem Ukraine-Krieg. Sei vor allem wegen der Musik da. Und das zurecht. 

    Lichtblicke finden sich in all dem dystopischen Geplänkel nur selten

    Denn die sechsköpfige Band und die beiden Sängerinnen spielen einfach brillant. Auch Waters beweist, dass er, wenn auch nicht der größte Sänger, immer noch ein exzellenter Musiker ist. Nur einmal vergreift er sich am Klavier im Ton, entschuldigt sich für den kleinen Patzer und spielt, umringt von seinen Bandkollegen, den zweiten Teil von "The Bar“. Auf der Leinwand ist nur er zu sehen, und man wünscht sich, es wäre den ganzen Abend so gewesen. Nur Waters, die Band und die Musik. Eben ein echtes Rockkonzert statt Gehirnwäsche. 

    Aber solche Lichtblicke finden sich in all dem dystopischen Geplänkel nur selten, wie bei "Any Colour You Like“ oder "Two Suns In the Sunset“. Tanzen und lachen da etwa Menschen auf der Leinwand? Fährt da tatsächlich ein Mann einfach nur dem Sonnenuntergang entgegen? Ach nein, da explodiert ja schon die Atombombe am Horizont. Apokalypse mit Ankündigung. Hat Waters doch vorher erzählt, dass die Weltuntergangsuhr auf kurz vor zwölf steht. Am Ende sitzt man etwas uncomfortably numb da, fühlt sich wie ein Schaf, das zweieinhalb Stunden auf einen gigantischen Bildschirm geglotzt hat und mit plumpen Parolen zugeballert wurde. Und man fragt sich: Kann man je wieder Pink Floyd hören ohne diese Bilder im Kopf?

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