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Foto: Warner Music
Foto: Warner Music

Das sind die Gorillaz (von links): Russel Hobbs, Murdoc Niccals, Noodle und Stuart „2D“ Pot.

Rezension
21.02.2023

Superhelden der Popmusik: So ist "Cracker Island", das neue Album der Gorillaz

Von Wolfgang Schütz

Die Sensation ist 25 Jahre her, wirkt aber bis heute mit großem Zauber fort: Liebeserklärung an die Gorillaz, die jetzt mit "Cracker Island" ihr achtes Album liefert.

Die Superheldenreise geht weiter. Diesmal Richtung „Cracker Island“, wo es wieder eine Menge melancholischer Momente zu erleben gibt angesichts des Weltzustands, wo aber auch Partys steigen, Gründe aufscheinen, dass es doch noch Hoffnung gibt – und wie immer auch wieder Begegnungen mit Promis anstehen.

Hier also sind die Gorillaz nun gelandet, 25 Jahre nach ihrer Geburt. Nichts weniger als eine große Sensation gewesen in der Paarung aus Brit-Pop-Geist und Comic-Ästhetik, geschaffen durch Sänger Damon Albarn (Blur) und Zeichner Jamie Hewlett („Tank Girl“), die erste virtuelle Band der Welt. Nichts weniger als ein kleines Wunder geblieben über all die Jahre hinweg, weil sich ihre multimediale Kunst nie in der Pfiffigkeit der Idee erschöpft hat, sondern in der Offenheit des Ansatzes immer erweitert hat, wie sie auch auf „Cracker Island“ zeigt, jenem achten Album, das an diesem Freitag erscheint – aber auch daran erinnert, dass die Höhepunkte des Projekts schon früh erreicht schienen. 

Das Meisterwerk der Gorillaz – und das eigentliche Ende nach zehn Jahren

Was nämlich gleich mit dem selbstbetiteln Debüt und Hits wie „Clint Eastwood“ begonnen hatte, schien nach dem Meisterwerk „Demon Days“ nach zehn Jahren mit „Plastic Beach“ eigentlich vollendet. Die Gorillaz hatten sich alle Arten von Promis mit auf die Reise geholt, von Ibrahim Ferrer zu Snoop Dogg, von Neneh Cherry bis Bobby Womack, von De La Soul bis Lou Reed und Ike Turner. Sie hatten die Grundlage ihres melancholischen, von Damon Albarns Stimme dominierten Pop geweitet zu HipHop und Funk, Dance und Jazz, mit Drum-Computer und Kinderchor, Ukulele und Streicher-Ensemble – und sie hatten jeweils begleitend hinreißend animierte Videoclips veröffentlicht, die den virtuellen Gorillaz-Vierer je auf Abenteuerreise zeigen. 

Die sie umgebende Welt wirkte dabei immer befremdlich („Last Living Souls“), verkommenen („Kids with Guns“), direkt oder symbolisch auf dem Weg zum Untergang, höchstens im menschlichen Miteinander auch mal eine „Feel Good Inc.“ – ansonsten aber eben kein Wunder, dass, wenn schon nicht ein immer wieder aufscheinender Atompilz das Ende brachte, alles aussichtslos auf einer Insel aus im Ozean treibenden Plastik enden musste: „Welcome to the World of the Plastic Beach“. Was sollte da noch kommen?

Wahrscheinlich ist richtiger zu fragen: Was ist trotzdem noch geblieben? Denn ausschlaggebend für den Fortbestand scheint, dass Damon Albarn trotz all seiner anderen Projekte wie der All-Star-Kombo The Good, Tha Bad & The Queen, der Wiederbelebung von Blur oder auch inzwischen zwei Solo-Alben immer weiter Freude daran hatte, Songs zu schreiben, die einfach Gorillaz-Songs waren – und sich dabei nun an Prominenz längst dazuladen zu können, wen auch immer er wollte. So sind inzwischen auf weiteren Alben mit noch mehr großartigen Videos (speziell zuletzt zu „Song Machine, Season One: Strange Timez“) etwa hingekommen: George Benson und Elton John, Robert Smith von Cure und Grace Jones, Benjamin Clementine, St. Vincent und Fatoumata Diawara … 

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So kommen auf „Cracker Island“ nun (neben womöglich noch besser animierten Videos) unter anderem Prominente namens Beck („Looser“) und Stevie Nicks (Fleetwood Mac), Tame Impala oder der schillernd im Titel-Track der Bassist Thundercat hinzu. Und dazu ein Groucho Marx abgelauschtes Motto: „Blessed are the cracked, for they shall let in the light …“ – gesegnet sind die Rissigen, Gespaltenen, Gebrochenen, denn sie werden das Licht hereinlassen … 

Denn dieses diversifizierte Quartett steht ja tatsächlich dafür, die Wahrheit unserer von den Rändern her begreifbar zu machen. Auf „Cracker Island“ aber ist wenig so eindeutig wie die traurige Social-Media-Betrachtung „The Tired Influencer“. Meistens verlieren sich die Texte in losen Gedankenströmen, werden zu reiner Stimmungslyrik. Mal geht es mit dem Titelsong auf die Tanzfläche (im Video dazu übrigens in die Psychiatrie), singt Albarns Alter Ego 2D von seiner Traurigkeit als „Skinny Ape“, mal mit Elektro-Pop-Flächen zu Booti Browns Rap wie in „New Gold“, mal schweift es mit „Tormenta“ in Latin Dancehall aus, mal herrscht auch ganz simpler Pop-Schönheit iwie „Baby Queen“, mal lädt „Silent Running“ zum feinen Disco-Funk … 

Nichts von alledem bedeutet eine neue Sensation durch die Gorillaz, es ist eben eine Fortsetzung des Phänomens, wie alles seit dem vierten Album, „The Fall“, nun in neuen Klangfarbenmischungen eben. Und doch zeigt „Cracker Island“, was es für ein Glück für die Popwelt ist, dass es diese Band, die es nie wirklich gegeben hat, tatsächlich weiterhin gibt. 

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