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Reichskanzlerplatz: Nora Bossong schreibt über Magda Goebbels

Literatur

Im Bett mit Magda Goebbels

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    Die Schriftstellerin Nora Bossong hat ihren neuen Roman „Reichskanzlerplatz“ im Suhrkamp Verlag vorgelegt.
    Die Schriftstellerin Nora Bossong hat ihren neuen Roman „Reichskanzlerplatz“ im Suhrkamp Verlag vorgelegt. Foto: Gerald Matzka/dpa

    Wann kippt eine Demokratie? Wie wirkt sich das auf die Menschen aus? Wer beteiligt sich, wer ist anfällig für den Umsturz in autoritäre oder diktatorische Systeme? Lange war das eine akademische, weil historische Auseinandersetzung, mittlerweile schaut man mit einer anderen Dringlichkeit darauf. Nun nimmt die Schriftstellerin Nora Bossong ihre Leserinnen und Leser in ihrem Roman „Reichskanzlerplatz“ zurück in die 1920er, 1930er und 1940er Jahre.

    Vom Reichskanzlerplatz mitten in die deutsche Geschichte: Nora Bossongs neuer Roman

    Sie zeichnet dort mit historischen Figuren und eigener Fantasie nach, wie die Weimarer Demokratie ihr Ende fand und die nationalsozialistische Diktatur erst das Land unter ihre Kontrolle brachte und später versuchte, ganz Europa in einem fürchterlichen Krieg zu erobern. Bossong verknüpft dafür gleich mehrere Stränge: Zum einen erzählt sie vom steilen Aufstieg des Industriellen Günther Quandt, zum anderen von dessen zweiter Frau Magda Ritschel, dann Quandt. Er ließ sich 1929 von ihr scheiden, sie heiratete 1931 Joseph Goebbels.

    Schon das eine Geschichte, in der sich große gesellschaftliche Bögen bis ins Private hinein verfolgen lassen. Denn Günther Quandt gehörte zu den deutschen Industriellen, die schon vor der Machtergreifung mit den Nazis paktierte und umso mehr davon nach 1933 profitierte. Seine Nachfahren gehören auch heute noch zu den Großindustriellen in Deutschland.

    Die Wohnung am Reichskanzlerplatz wird zu einem Treffpunkt der Nazi-Größen

    Gekonnt nimmt Bossong mehrere Fäden auf, in dem sie mit einer der zentralen historischen Figuren frei umgeht: Hans, ihre Hauptfigur, ist jener Student, mit dem Magda Quandt ein Verhältnis eingeht. Und dieser Hans ist das Bindeglied zwischen den Ehen: Günther Quandt lässt sich wegen der skandalösen Beziehung scheiden. Als Magda Quandt immer tiefer in die nationalsozialistische Bewegung eintaucht, während in ihrer Wohnung am Reichskanzlerplatz die Nazi-Größen ein- und ausgehen, kommt sie Joseph Goebbels näher. Magda lässt Hans einfach hinter sich, ohne im Roman den Kontakt ganz abzubrechen.

    Doch Bossong erzählt nicht nur raffiniert die Geschichte, wie aus dem Jungen Hans der Mitläufer Hans wird, auch geht es ihr nicht darum, die Nazi-Jahre einfach noch einmal mit Daten und Ereignissen abzulaufen. Vielmehr taucht sie in ihre labilen Figuren ein und beobachtet, wie Politik und Weltgeschichte, aber auch die Nähe zu Macht oder Geld Einfluss auf deren Wesen und Befinden nehmen.

    Ein lesbarer, ein spannender, ein starker Roman

    Denn ihr Hans geht nur einmal eine Beziehung mit einer Frau ein, mit Magda Quandt. Nie ist er sich wirklich sicher, ob er sie liebt oder nicht, das Gefühl echt ist oder nur gespielt. Später lebt er seine Homosexualität als Botschaftsangehöriger in Italien aus – in kurzen, geheimen Treffen in Hotels. Bedroht die ganze Zeit davon, entdeckt zu werden. Aber Hans weigert sich, auch auf vehementes Zureden von Vorgesetzten und Gefährten, sein Junggesellen-Leben aufzugeben und eine (Schein)-Ehe zur Sicherheit einzugehen. Ein wenig wirkt das wie Widerstand gegen das System – aber nur ein wenig. Hans taumelt durch die Geschichte wie ein Zielloser, die Versuche, ihn zur Flucht in die Schweiz zu überreden, scheitern, obwohl er auch im Nazi-Deutschland keinen Platz für sich sieht.

    Und die Magda Goebbels von Bossong sucht und strebt nach dem Großen, dem Gewichtigen, an dem sie sich festhalten kann, das ihrem Leben einen Sinn gibt. Als sie nach der gescheiterten Ehe mit dem Großindustriellen endlich in der Nazi-Ideologie etwas gefunden zu haben glaubt, entpuppt sich alles als Farce und Schauspiel. Die Vorzeige-Ehe mit Joseph Goebbels und den vielen Kindern gleicht einer Kulisse, als Goebbels eine Affäre mit der tschechischen Schauspielerin Lída Baarová beginnt und sich scheiden lassen will. Magdas Flucht: Betäubung, ob nun durch Tabletten oder Alkohol.

    Am Rand des Romans tauchen die Gestalten auf, die von der Nazi-Diktatur verschlungen und vernichtet werden oder die Flucht schaffen und überleben. Figuren, von denen Hans in seiner Weimarer Schulzeit irritiert wurde, die er nicht einordnen konnte, die nicht zu seinem militärischen Elternhaus passten. Sie sind da, aber nur am Rand, dringen nicht durch zu ihnen. Heute würden wir dieses Phänomen Filterblasen nennen. Ein lesbarer, ein spannender, ein starker Roman!

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