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Premiere: Theater Ulm: Mit Fellini in eine untergehende Welt

Premiere

Theater Ulm: Mit Fellini in eine untergehende Welt

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    Die Sopranistin Maryna Zubko (rechts) glänzt in der Adaption von Fellinis "Das Schiff der Träume" am Theater Ulm.
    Die Sopranistin Maryna Zubko (rechts) glänzt in der Adaption von Fellinis "Das Schiff der Träume" am Theater Ulm. Foto: Marc Lontzek, Theater Ulm

    Nein, das ZDF-„Traumschiff“ ist das nicht. Eine Verwechslungsgefahr zwischen der Serie und Kay Metzgers Bühnenfassung von Federico Fellinis vor 40 Jahren gedrehter dramatischer Filmkomödie „Das Schiff der Träume“ besteht im Großen Haus des Theaters Ulm höchstens in den ersten Minuten. Jahrzehnte des Friedens sind vorbei, das alte Europa versinkt und ergeht sich in Belanglosigkeiten, perverser Erotik, Champagner und Schildkrötensuppe.

    Ist es Zufall, dass man sich bei Petra Mollérus' Bühnenbild des Luxusdampfers „Gloria N.“ an die Titanic erinnert fühlt? Die Passagiere – Protegés, Profiteure, Mäzen und Verehrer der verstorbenen Edmea Tutua, der größten Operndiva aller Zeiten – haben das Schiff gemietet, um die Asche der Verstorbenen vor der Insel ihrer Geburt ins Meer zu streuen. Auf Deck steht das Wasser zentimeterhoch. Die Akteure aus dem Musiktheater, dem Schauspiel und der Statisterie des Theaters Ulm agieren in Gummischuhen. Man flieht – je nach Charakter – in gelangweilten Small Talk oder erotische Anmache und verschließt die Augen vor dem, was sich politisch zusammenbraut. Wir befinden uns im Juli 1914 in den Tagen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die Welt, aus der heraus der Luxusdampfer mit der feinen Gesellschaft der Trauernden von Neapel aus in See sticht, ist eine andere als die, wenn er am Ziel sein wird – eine Reise ohne Wiederkehr. 

    Zwei stechen bei "Das Schiff der Träume" im Theater Ulm besonders heraus

    Die Reichen und die Schönen, für die mit dem Tod der Diva assoluta die persönliche Karriere auf dem Spiel steht, langweilen sich im Luxus – hier gerät das Stück etwas ausufernd. Die Überblendungen des Films sind auf der Bühne nicht leicht darzustellen. Das Ensemble leistet trotz krankheitsbedingter Rochade Großes. Zwei stechen besonders heraus: Sopranistin Maryna Zubko, der die Regie Gesicht und Gestik der unvergesslichen Maria Callas gibt und die als verstorbene Diva assoluta erstmals eine herbe Sprechrolle um Ruhm, Kampf und Angst hat, brilliert. Intensiver Höhepunkt ist der Moment, in der sie allein am Klavier mit „Mai più“ aus der Bellini-Oper „I Puritani“ das „Nie mehr“ besingt, während sich ihr Verehrer mit ihren Lieblingsblumen nähert – und ihr dabei nicht wirklich nahe kommt. Diesen Verehrer spielt Gaetan Chailly. Chailly, der früher auf internationalen Bühnen tanzte, ist schauspielerisch in tragikomischen Rollen eine Entdeckung. 

    Maria Rosendorfsky als Sopranistin Ildebranda, Maria Wester als protegierte Newcomerin Ines Ruffo Saltini und Girard Rhoden als Tenor Fuciletto zelebrieren das Requiem für die göttliche Diva, als der Kapitän des Luxusliners (Stephan Clemens) schon eine Gruppe serbischer Flüchtlinge an Bord genommen hat. Im Hintergrund zieht die blinde Synästhetiker-Prinzessin (Christel Mayr) weltpolitische Strippen. Die Absurdität von Fellinis Werk schafft Szenen wie jene, in der die erotisch hochbegabte Lady Violet (Emma Lotta Wegner) scheinbar ihr großes Herz für die Flüchtlinge entdeckt und mit großer Geste Jesu‘ Worte „Nehmet und esset alle davon“ des letzten Abendmahls spricht. Die Passagiere geben von ihren Tischen an die Flüchtlinge ab. Das Essen schmeckt nicht mehr. Ob es wirklich daran liegt, dass am Saltimbocca etwas viel Salbei ist?

    Als die Asche der göttlichen Diva aus der Urne ins Meer rieselt, glitzern die Ascheflöckchen wie Sternenstaub. Welch ein Abgang! „In ganz Europa gehen die Lichter aus, und wir werden sie in unserem Leben nicht wieder leuchten sehen“, sagt der Kapitän, wissend, dass der Kontinent ins Chaos stürzt. Das ist ein starkes Ende. Fellinis absurdes Nashorn überlebt den Untergang, gerettet vom Journalisten (Henning Mitwollen). 

    Info: Die nächsten Aufführungen finden statt am 30. September sowie am 4., 5. und 7. Oktober.

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