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Premiere: Premiere am Theater Ulm: "Der Kaufmann von Venedig" – neu erzählt

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Premiere am Theater Ulm: "Der Kaufmann von Venedig" – neu erzählt

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    Die jungen Venezianer um Antonio und Bassanio (Vinzent Furrer, links) lassen keine Gelegenheit aus, Geldverleiher Shylock (Markus Hottgenroth) zu provozieren.
    Die jungen Venezianer um Antonio und Bassanio (Vinzent Furrer, links) lassen keine Gelegenheit aus, Geldverleiher Shylock (Markus Hottgenroth) zu provozieren. Foto: Marc Lontzek

    Komödie von William Shakespeare steht auf dem Programmheft. Tragödie nach William Shakespeare würde diese Inszenierung am Theater Ulm allerdings besser beschreiben. Es ist ein recht gekürzter "Kaufmann von Venedig", den der scheidende Schauspieldirektor Jasper Brandis da auf die Bühne bringt. Die Liebeswirrungen sind größtenteils gestrichen – inklusive des letzten Akts und der bekannten Kästchenszene. Schauspieler Vincent Furrers Versuch (er spielt Bassanio), sie doch noch ins Stück zu mogeln, scheitert. Brandis legt den Fokus auf Shylock (überzeugend: Markus Hottgenroth), den jüdischen Geldverleiher, der als Sicherheit für seinen Kredit ein Pfund Menschenfleisch verlangt. Die Ulmer Inszenierung endet dann mit Shylocks verlorenem Prozess und einer letzten Verzweiflungstat des Juden. 

    Die Inszenierung am Theater Ulm handelt von Mobbing

    Shylock ist bei Brandis ein Getriebener, ein ständig Gemobbter – fast mitleiderregend. Sein Sinnen auf Rache und sein Beharren auf den Schuldschein, der ihm ein halbes Kilo von Antonios Fleisch zusichert, kommt nicht von ungefähr. Antonio (Maurizio Micksch) und seine Clique sind weit entfernt von den edelmütigen Kaufleuten, die Shakespeare wohl im Sinn hatte. Sie sind die typischen "Rich Kids" – sie tragen Sweatpants mit Pelzmantel oder bodenlange Robe mit floralem Print, schmachten zu Songs von Nick Cave und Janis Ian. Junge Männer, die aufgrund ihres Vermögens und der guten gesellschaftlichen Stellung ihrer Familien wohl nie Konsequenzen für ihr Handeln zu fürchten hatten. Hypersensibel, was ihre eigenen Gefühle und Befindlichkeiten anbelangt – Antonio badet in melancholischem Weltschmerz –, gleichzeitig rücksichtslos und arrogant allen anderen gegenüber. Ihr Lieblingsopfer: Shylock. Die Gewalt kulminiert in dem Moment, in dem sie den großen schwarzen Quader, der auch Shylocks Haus symbolisiert, kurz und klein hauen. Selbst Shylocks Tochter Jessica (Natascha Heimes), die mit dem jungen Venezianer Lorenzo durchbrennt, tritt zu. 

    Shakespeares Text gibt diese Deutung des systematisch Schikanierten, die hier durch entsprechendes Zurechtkürzen und Zurechtbiegen noch verstärkt wird, durchaus her. Dass Antonio Shylock beleidigt, getreten und bespuckt hat, räumt er auch im Original unumwunden ein. Brandis streift in seiner Inszenierung auch die Frage nach Täter und Opfer. In solchen Mobbingkonstellationen ist das schließlich nicht immer schwarz-weiß und klar zu beantworten – Parallelen zum aktuellen Fall um "Drachenlord" Rainer Winkler und die Eskalationen seiner Internet-"Hater" drängen sich auf.

    Wie frei kann man mit dem "Kaufmann von Venedig" umgehen?

    Ein derart freier Umgang mit dem Ursprungstext wird vom Theaterpublikum gern kritisiert. Bei diesem Stück ist er allerdings die Voraussetzung, es heute überhaupt auf die Bühne zu bringen. "Der Kaufmann von Venedig" wurde schließlich nicht umsonst und trotz Shylocks eindringlichem Appell an die Gleichheit ("Genährt von gleicher Nahrung, verletzt von gleichen Waffen, anfällig gleichen Leiden, geheilt durch gleiche Mittel, ganz wie ein Christ?") auch gern von den Nationalsozialisten gespielt. Anleihen aus dieser Zeit, bei denen man im Publikum unweigerlich zusammenzuckt, zeigen die hässlichsten Fratzen des Antisemitismus – Tubal als jüdische Karikatur mit Schläfenlocken und glänzender Plastikhakennase etwa oder Gobbos weit ausgestreckter rechter Arm. Das wirkt dann eher wie plumpe Provokation, denn notwendig fürs Stück.

    Antonio selbst findet bei Brandis übrigens eine ganz eigene Antwort auf die Frage, woher Shylocks Hass rührt. Er darf auf der Bühne auch moderne Kapitalismus- und Zinskritik zitieren und schlussfolgert, frei nach Theologe Karl Barth: Zinsen töten. Der nämlich schrieb: "Wo nicht der Mensch, sondern das zinstragende Kapital der Gegenstand ist, dessen Erhaltung und Mehrung der Sinn und das Ziel der politischen Ordnung ist, da ist der Automatismus schon im Gang, der eines Tages die Menschen zum Töten und Getötetwerden auf die Jagd schicken wird."

    Info: Das Theater Ulm zeigt Shakespeares "Kaufmann von Venedig" bis zum 31. Mai. Tickets gibt es unter www.theater-ulm.de oder an der Theaterkasse.

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