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Premiere: "Land" in den Münchner Kammerspielen: Das Ende war schon oft

Premiere

"Land" in den Münchner Kammerspielen: Das Ende war schon oft

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    Vom Glauben an ewiges Wachstum gejagt, ringt sich Landwirt Hermann (Martin Weigel) Höchstleistungen ab.
    Vom Glauben an ewiges Wachstum gejagt, ringt sich Landwirt Hermann (Martin Weigel) Höchstleistungen ab. Foto: Maurice Korbel

    Der Autor Lothar Kittstein nahm 2022 an einer Straßenblockade der "Letzten Generation" teil und wurde deshalb vor wenigen Wochen vom Kölner Amtsgericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Regisseur Christoph Frick bringt nun sein Stück "Land. Drei Zeitbilder aus Bayern" an die Münchner Kammerspiele.

    Ein Hof in Triefing, auf dem flachen Land zwischen A8 und A9, ist der Schauplatz dieser Familiengeschichte, auf die Frick und Kittstein drei Schlaglichter werfen. André Benndorff gibt den Zeremonienmeister (inklusive "Willkommen, Bienvenue, Welcome" à la Cabaret) und zappt durch zwei Jahrhunderte bayerischer Familiengeschichte: 1816, 1973, 2024. Dreimal ist Krise, dreimal hadern die Bewohner des Hofs in

    Eine bayerische Familiengeschichte über zwei Jahrhunderte

    Das Jahr 1816 geht nach dem Ausbruch eines Vulkans in Indonesien als "Jahr ohne Sommer" in die Geschichte ein. Eisregen führt zur schlimmsten Missernte des 19. Jahrhunderts und extremer Hungersnot unter der Landbevölkerung. Mit Strumpfmasken und Nachthemden anonymisiert, berichten gespenstische Gestalten von den Auswirkungen dieser Naturkatastrophe auf den Hof in Triefing. Sie sind einem untätigen Gott treu ergeben, selbst als sie sich in ihrer ausweglosen Lage von Erbrochenem ernähren müssen.

    In der Therese-Giese-Halle stellten das Bühnen- und Kostümteam Findeklee/Tewes riesige Silos auf.
    In der Therese-Giese-Halle stellten das Bühnen- und Kostümteam Findeklee/Tewes riesige Silos auf. Foto: Maurice Korbel

    Sprung in die 1970er-Jahre. Der Fendt zieht in die Scheune, automatisierte Landwirtschaft verspricht Wohlstand und ewiges Wachstum. Im neuen Farbfernseher fordert Bundespräsident Gustav Heinemann zur "tiefgreifenden Änderung unserer Lebensweise" auf. Aber Hermann (Martin Weigel) und Anneliese (Marie Bonnet) haben sich zu sehr verschuldet, um die Mahnung ernst zu nehmen. Zur Ölkrise kommt eine private. Durch die Generationen geht ein Bruch, die Kinder Ulrike (Maren Solty) und Viktor (Elias Krischke) wollen den Hof nicht übernehmen, sehnen sich stattdessen nach der Großstadt und einem Leben ohne Rückenschmerzen.

    Landwirt Hermann: "Man muss nur schneller laufen als das Ende"

    Schließlich die Gegenwart. 2024 entdeckt Mikrobiologin Fritzi (Bonnet) den Hof wieder, den in den 70ern ihre Großeltern bewirtschafteten, und möchte dort trockenheitsresistente und besonders eiweißreiche Genhirse anpflanzen. Ihre – unsere – Klimakrise stapelt sie auf die Traumata ihrer Vorfahren, die mit dem Bauernhof tief verwoben sind. 

    "Land" ist ein rasantes Stück, das von der Spielfreude der sechs Schauspielerinnen und Schauspieler lebt. Alltagsszenen, fett gezeichnete Figuren, schnelle Dialoge, derbe Sprache: In der Manier einer Yasmina Reza vermittelt das Stück zwischen den Genres. Kittstein gibt Franz Xaver Kroetz' "Bauern sterben" (1985 ebenfalls in den Kammerspielen uraufgeführt) als Referenzpunkt an, hier bei "Land" vermischen sich Bauernstück und Klima-Theater.

    Nicht alle Darstellerinnen und Darsteller schaffen es allerdings, die Figuren aus dem Scherenschnitt zu befreien. Stark, wo es gelingt, etwa in der Zerrissenheit des 70er-Jahre-Landwirts (Martin Weigel) zwischen Erbschuld und Geldnot. "Das Ende drohte schon immer. Das Ende war schon oft!", sagt er etwa und schließt: "Man muss nur schneller laufen als das Ende."

    Zwischen "Letzter Generation" und Bauernprotesten: Was ist die Zukunft der Landwirtschaft?

    "Land" wird nun zu einer Zeit uraufgeführt, in der nicht Klimaschützer (wie eben auch Autor Kittstein) Straßen blockieren, sondern Landwirte. Die Bauernproteste finden im Stück nicht statt, Kittstein zeichnet ein anderes Bild der Landbevölkerung und verzichtet dabei glücklicherweise ebenso auf Zeigefinger-Aktivismus. Die jungen Gentechniker fahren zwar moralinsauer aufs Land, treffen dort aber auf eine schlagfertige und fortschrittsoffene Nachbarin, die geduldig wartet, bis sich die fremdelnden Visionäre selbst demontieren.

    Der Glaube an Gott, der Glaube an das ewige Wachstum, der Glaube an die Wissenschaft. Alle drei Haltungen stellt das Stück als fehlerhaft dar. Am Ende verschwimmen die drei Zeitbilder und Zeremonienmeister André Benndorff – inzwischen nackt – versucht, die krisengeschüttelten Schicksale mit einem lakonischen "Und es wird gut" zu verbinden. Leider verliert die geneigte Zuschauerin da ebenso wie die mit dem Text ringenden Schauspielerinnen und Schauspieler die Orientierung.

    Weitere Termine am 13., 14., 18. und 20. Februar sowie am 1., 5. und 6. März.

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