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Premiere: Eine große Revue vor dem Untergang: Feuchtwangers "Erfolg" im Residenztheater

Premiere

Eine große Revue vor dem Untergang: Feuchtwangers "Erfolg" im Residenztheater

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    Das Residenztheater bringt Feuchtwangers Roman "Erfolg" auf die Bühne, mit v.l. Oliver Stokowski, Liliane Amuat, Thiemo Strutzenberger und Florian von Manteuffel.
    Das Residenztheater bringt Feuchtwangers Roman "Erfolg" auf die Bühne, mit v.l. Oliver Stokowski, Liliane Amuat, Thiemo Strutzenberger und Florian von Manteuffel. Foto: Birgit Hupfeld

    Es gibt Bücher, die haben zwar schon ein paar Jahre auf dem Buckel, drängen sich aber gerade wieder auf. Zum Beispiel dieser 900-Seiter von Lion Feuchtwanger namens "Erfolg", der das München von 1921 bis 1923 beschreibt. Ein Sittengemälde der Stadt, aber auch der Zeit. Die Demokratie ist gerade mal ein paar Monate alt und wird schon in ihren Grundfesten bedroht. Wirtschaftlich, weil die Inflation galoppiert, politisch, weil die Ränder erstarken und eine rechtsextreme Partei immer stärkeren Zulauf bekommt und putschen will.

    Als Feuchtwanger 1930 diesen Roman schrieb, konnte er sich nicht vorstellen, dass Adolf Hitler und seine NSDAP tatsächlich Erfolg haben würden. Aus dem größeren Abstand und im Wissen um die Geschichte lernen wir: Das Unvorstellbare bereitet auch heute Schwierigkeiten. Ein amerikanischer Präsident, der seine Abwahl nicht akzeptieren will und seine Anhänger zum Sturm aufs Kapitol aufwiegelt? Man glaubt es erst, wenn es passiert.

    Ein Kondensat des Romans "Erfolg" wird in München auf die Bühne gebracht

    Im Münchner Residenztheater bringen Regisseur Stefan Bachmann und Dramaturgin Barbara Sommer ein Kondensat von "Erfolg" auf die Bühne und lassen diese Kurzversion aber buchstäblich tanzen. Das München, in dem Johanna Krain ihren Geliebten Dr. Martin Krüger aus dem Zuchthaus zu befreien versucht, gleicht einer Revue. Alle schlängeln sich und tänzeln durchs Leben, begleitet aus dem Orchestergraben von einem fünfköpfigen Mini-Orchester aus dem Graben mit Gstanzeln, Jodlern, Schlagern und Klezmer-Klängen. Gesungen wird auch.

    Die Welt ist grau, ob nun der Zuchthauswürfel, in dem der Krüger nicht einmal Platz zum Stehen hat, oder dieses Straßenlampenhalbrund (Bühne: Olaf Altmann). Die Farben tragen die Figuren hinein ins Bühnenleben, eine Gesellschaft, die sich wie Pfauen herausputzt, in der Männer auch mal Schmuck tragen und sich auf Stöckelschuhen versuchen (Kostüme: Barbara Drosihn). Alles pulsiert, bebt, steht nie still. 

    Die Musik treibt vorwärts, das Leben auch, da bleibt kein Platz, um nachzudenken, planvoll vorzugehen, man muss sich schnell entscheiden. Das Karriereangebot als Ingenieur annehmen, auch wenn man sich als strammer Kommunist zuvor gezeigt hat? Aber klar! Die neue deutsche rechte Kraft unterstützen, auch wenn sie sich platt und dumm geben? Aber klar! Einzig für Krüger, den Gefangenen, stehen Zeit und Körper still. 

    Die knappen drei Stunden vergehen wie im Flug

    Und das alles geht wunderbar auf und ineinander auf, sodass die knappen drei Stunden wie im Flug vergehen. Das starke Ensemble bringt die Typen, für die ihre Figuren stehen, auf den Punkt, haucht aber jedem und jeder auch noch etwas Eigenleben ein. Florian von Manteuffels Justizminister in der Krachledernen und mit gewaltigem Wanst wird dann eben keine Kraftlackel-Karikatur, sondern bekommt auch noch etwas Diabolisch-Verschlagenes als Ausgleich. Rupert Kutzner alias Adolf Hitler wird nur indirekt gezeigt, in Form seines Schauspiellehrers Konrad Stolzing (Steffen Höld). Das Publikum bekommt in einer der passendsten Szenen von einem Schwärmenden zu hören, wie gut dieser Kutzner sich als Politikdarsteller macht, die Pausen richtig setzt, die Stimme gekonnt hebt und mittlerweile stundenlang reden kann, bis ihm niemand mehr widersteht.

    Alles rotiert um die beiden Schwerkraftzentren des Abends: Der eingesperrte Krüger, ein Justizopfer, von Thiemo Strutzenberger mit einem rastlosen Charakter versehen, erst im Unglauben, was passiert, aber auch im Umgang mit seiner Freundin Johanna Krain. Die wiederum erscheint als das reine Selbstbewusstsein, eine Paraderolle für Liliane Amuat, die sich für die Entlassung ihres Geliebten durch die Münchner Gesellschaft hindurcharbeitet und dabei wenig Zwänge an den Tag legt. Das Publikum feiert im Anschluss diesen Theaterabend lange, das Ensemble, die Musiker und die Regie.

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