Am schlimmsten war es 2015. Da kam gleich dreierlei zusammen: 1. Der neue Roman von Michel Houellebecq erschien und entwarf ein Zukunftsszenario, in dem sich das linksliberale Frankreich aus Angst vor den Rechten mit den Muslimbrüdern arrangiert – der Titel: „Unterwerfung“. 2. Am gleichen Tag erschien die Satirezeitschrift Charlie Hebdo mit Houellebecq auf dem Titel, der als Wrack mit Orakelhut für dieses Jahr vorhersagt, er werde alle Zähne verlieren, und für 2022, er werde im muslimischen Ramadan fasten. Und 3. wurde an jenem Tag die Redaktion von Charlie Hebdo von Islamisten überfallen, Terror mit elf Todesopfern, darunter ein sehr guter Freund von Michel Houellebecq.
Gruselig? Ja, so wirkt tatsächlich vieles an diesem Mann, seinem Werk und ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit. Das gehört zur Faszination, die er als Autor weltweit ausübt – neben dem schonungslosen Blick und dem eindrucksvollen Erzählton, der ihm gleich 1994 mit dem Debüt „Ausweitung der Kampfzone“ den großen Erfolg brachte. Und während manche auch das Äußere des (mit Kippe stets zwischen Mittel- und Ringfinger) kettenrauchenden Franzosen zunehmend als gruselig empfanden, schrieben, er sehe aus wie eine Crack rauchende Oma, sagte er selbst: das passe endlich zu seiner Selbstwahrnehmung, im Wrack käme das Äußere mit dem Inneren zur Deckung. Houellebecq eben (gesprochen übrigens: „U-ell-beck“).
Michel Houellebecq: ein verbitterter Romantiker mit bitterer Kindheit
Was also wird es sein, wenn am 11. Januar und damit bereits zwei Jahre nach dem letzten, die Gelbwesten erklärenden „Serotonin“ nun der nächste Roman weitweit auf einen Schlag herauskommt, mit dem Titel „Vernichten“? Eines jedenfalls sicher: ein Buch voller verbitterter Romantik. Denn der einst zum Landwirtschaftsingenieur ausgebildete und als Informatiker arbeitende Autor bleibt bei all seinen Menschenzucht-, Demokratieverfall- oder Terror-Visionen vor allem immer das: der Sohn, eigentlich Michel Thomas, der von seiner Mutter mit Vorlegung des Geburtsdatums (1956 statt 1958) früher zur Schule geschickt wurde, damit sie sich in Hippie-Freiheit ausleben konnte (siehe das auch verfilmte Werk „Elementarteilchen“) – der Ungeliebte.
Darum wählte er den Nachnamen der Oma, bei der er aufwuchs, verbrachte auch schon früh Zeit in der Psychiatrie, nahm Drogen – und hasst bis heute alles Hippie-Ähnliche, Linksliberale. Ja, er zeichnet in seinen Büchern mitunter auch ein fieses Frauenbild, allerdings immer durch den Blick des Verbitterten (der auch mal im Buch direkt Michel Houellebecq heißt und, siehe „Karte und Gebiet“, auf grauenvolle Weise ermordet wird). Der wahre Houellebecq jedenfalls ist immerhin in dritter Ehe verheiratet, hat aus der ersten einen inzwischen 30-jährigen Sohn und verehrt Schopenhauer. Leben ist im Großen ein blinder Trieb des Willens, ist für den Einzelnen: Leiden.