Er propagierte die sexuelle Revolution, schockte das Establishment mit freizügigen Posen, war mit dem schönen Fotomodell Uschi Obermaier liiert – und überrascht heute mit Aussagen wie: „Ich hatte größte Probleme mit Frauen.“ Rainer Langhans, Ikone der 68er, von Frauen umschwärmt und heute manchmal Apo-Opa genannt, ist mit nunmehr 80 Jahren weiter auf dem Weg zu sich selbst. Am 19. Juni feiert der Autor, Schauspieler und Filmemacher runden Geburtstag.
Weiß ist die Kleidung, weiß das Haar, weiß der Dreitagebartansatz – er trägt Weiß seit Jahrzehnten, weil es alle Farben enthalte, wie er sagt. Sparsam ist sein Lebensentwurf, vegetarisch die Ernährung. Spaziergänge, ein wenig Tischtennis, ein paar Liegestütze und Klimmzüge, und natürlich Meditation. „Artgerechte Haltung“ nennt Langhans das. „Ich bin ganz bewusst sehr arm, um nicht gezwungen zu sein, Geld zu verdienen.“
Die Corona-Krise sieht Langhans als Chance zur inneren Einkehr und „Meditationseinheit“ für die ganze Gesellschaft. Es sei klar, dass das Leben mit der „Wahnsinnsmobilität“ und dem „Tiere fressen“ nicht weitergehen könne. Für ihn persönlich habe aber die Krise nicht viel geändert – er lebe seit Jahrzehnten in seinem persönlichen Lockdown.
Langhans lebt mit vier Frauen in einer Gemeinschaft namens „Harem“, jede aber in ihrer Wohnung. „Es ist eine Kommune, aber dadurch, dass die Körper nicht zusammenleben, können wir geistig zusammenkommen.“ „Make love, not war“ – der Slogan gegen Kalten Krieg und Vietnamkrieg sei missverstanden worden, sagt er. Es sei schon in der Kommune 1 um geistige Verbindung gegangen, um „geistigen Sex“. „Als das wieder wegging, habe ich mit der sexuellen Revolution versucht, mit Uschi Obermaier, wieder dahin zu kommen – aber es ging einfach nicht. Wir kamen nicht wieder dahin. Ich habe das abgebrochen“, sagt Langhans, heute mit Obermaier zerstritten. „Man kann sich noch so viel aneinander reiben und Sex haben. Es bleibt immer ein Geschlechterkampf.“ Wirklich freie Liebe sei von Sex und Körper befreit.
Freilich, das Image bleibt. Für ein vergoldetes Schamhaar von Langhans gab es vor zwei Jahren einen mit 1968 Euro dotierten Kunstpreis. 2011 nahm er am „Dschungelcamp“ teil. Dafür habe er „mit einem Schlag einen Haufen Geld bekommen“ – den er aber weitestgehend spendete. „Ich habe das „Dschungelcamp“ gemacht, weil ich es für ein Beispiel halte, wie Kommune geht, ein Kommune-Trainingsprogramm.“
Anstatt freizügiger Liebe propagiert Langhans inzwischen das freizügige Teilen persönlicher Daten im Netz. „Ich gebe meine Daten freiwillig und bekomme dafür eure“, laute der Deal. Wer ängstlich über seine Daten wache, sei wie jemand, der auf seinem Geld sitze. Deshalb: „Gebt alle Daten frei!“ Wer Anspruch auf Dateneigentum erhebe, führe das kapitalistische System in das postkapitalistische Internet ein. Mit seinen Erkenntnissen und Ansichten bleibt er freilich eher allein. „Ich habe versucht, die Erfahrung aufzuschreiben in einem kleinen Buch (#soists – Selfies von der Kommune bis zu Trump), aber es kauft niemand. Weil das keiner versteht – nicht mal übrigens die Frauen.“ „Die Frauen“, das sind die Wegbegleiterinnen Christa Ritter, Brigitte Streubel, Anna Werner und Gisela Getty, früher auch Jutta Winkelmann.
Internat, Bundeswehr, Revolution
Langhans wurde als erstes von vier Kindern nahe Magdeburg geboren. „Ich konnte einfach nichts mit Menschen anfangen, ich wusste nicht, was das soll. Ich war völlig unglücklich“, sagt er über die Kindheit. Erst spät habe er verstanden, was mit ihm nicht gestimmt habe. Heute sagt er: Er sei ein Asperger-Autist. Die Eltern können damit nicht umgehen, geben ihn in ein religiöses Internat. Danach geht Langhans erst einmal in die entgegengesetzte Richtung: Er wird Zeitsoldat. Heute bekommt er eine kleine Rente daraus. In Berlin studiert er Jura und Psychologie, ohne Abschluss. Die Revolution kommt dazwischen. Im „Argumentclub“ und im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) findet er Gleichgesinnte. „Ich war das erste Mal unter lauter Menschen, die alle waren wie ich: verrückt.“
Er wird Mitbegründer der Kommune 1, entstanden aus der außerparlamentarischen Opposition (Apo). Mit radikalen Aktionen vom Kaufhausbrand-Flugblatt bis zum – gescheiterten – Pudding-Attentat auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey werden die Mitglieder zum Bürgerschreck. In der spirituellen Verbindung der Kommunarden habe er „Großekstase“ erlebt, sagte Langhans einmal. Die Seligkeit währt ein Jahr. Niemand habe verstanden, warum das Glück so verschwand, wie es auftauchte, sagt er. Es sei das Paradies gewesen – und wer das einmal erfahren habe, suche diese bessere Welt lebenslang. Immerhin, sagt Langhans, sei er mit der fortgesetzten Suche glücklicher denn je. „Ich fühle mich nicht alt, für mich ist 80 eine völlig abstrakte Geschichte. Was ist 80? Mein Körper zeigt’s mir noch wenig, mein Geist ist fröhlicher und jünger denn je.“
Sabine Dobel, dpa