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Porträt: Koreanischer Tenor Sung min Song: Vom Informatiker zum Opernsänger

Porträt

Koreanischer Tenor Sung min Song: Vom Informatiker zum Opernsänger

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    Der koreanische Tenor Sung min Song ist seit der Spielzeit 2023/24 Ensemblemitglied des Staatstheaters Augsburg.
    Der koreanische Tenor Sung min Song ist seit der Spielzeit 2023/24 Ensemblemitglied des Staatstheaters Augsburg. Foto: Mercan Fröhlich

    Sechs Rollen in acht verschiedenen Opernhäusern, drei CD-Aufnahmen, dazu zahlreiche Konzerte - Sung min Song war 2023 sehr fleißig. Am Augsburger Staatstheater steht er in der aktuellen Spielzeit als Lenski in Tschaikowskys "Eugen Onegin" und Tom Rakewell in Strawinskys "The Rakes Progress" auf der Bühne. Nun übernimmt er einen Part in Beethovens Chorfantasie im Rahmen des 5. Sinfoniekonzerts der Augsburger Philharmoniker am heutigen Abend. Song ist viel beschäftigt - und schwer in eine Schublade zu stecken: Er singt Puccini, Lehár, Wagner. Ein Blick in seine Biografie erklärt, was den Sänger antreibt.

    Song hat Informatik studiert. Es sollte ihn darauf vorbereiten, in die Firma seines Vaters einzusteigen. Der ist Architekt in Korea. "Sehr erfolgreich", sagt sein Sohn, "und sehr traditionell". Als sich Song auf die Aufnahmeprüfung an der Kunsthochschule vorbereitet, zeigt sein Vater kein Verständnis. Trotz des drohenden Zerwürfnisses mit seiner Familie bleibt Song dabei. Seit der Chorleiter seines Amateur-Kirchenchors ihm eine CD mit Aufnahmen des deutschen Tenors Fritz Wunderlich schenkte, träumt er nämlich nicht mehr von Computercode, sondern von Schumanns "Dichterliebe".

    Sung min Song: Für das Gesangsstudium zog er aus Korea nach Deutschland

    "Ich war immer brav", sagt Song über seine Jugend und sein junges Erwachsenenleben. Songs Familie ist streng evangelisch. "Kein Alkohol, keine Mädchen", erzählt er. Die Stimme von Fritz Wunderlich aber und die romantischen Melodien von Robert Schumann: "Die haben mein Herz geöffnet."

    Song ist bereits 24 Jahre alt, als er aus dem privaten Party-Trick (in Karaokebars haben seine Freunde ihn stets überredet, K-Pop-Lieder zu singen) Ernst macht. Dann geht alles ganz schnell: Nach nur drei Gesangsstunden entschließt er sich, eine Karriere als Sänger anzustreben. Ein halbes Jahr später besteht er die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule. Nach vier Jahren Gesangsstudium und zwei Jahren Wehrdienst (in Korea obligatorisch) zieht er nach Deutschland. Er kommt in Bochum bei einer entfernten Verwandten unter. Die ist wie 10.000 andere südkoreanische Krankenschwestern in den 60er-Jahren nach Westdeutschland gekommen, um dort eine Lücke im Gesundheitssystem zu schließen. Das Zusammenleben sei nicht einfach gewesen, sagt Song. Zu groß die kulturellen Unterschiede zwischen der "eingedeutschten" Ex-Krankenschwester und dem jungen koreanischen Tenor. Sie habe sehr sparsam gelebt. Einmal habe sie laut an die Badezimmertür geklopft, als Song zu lange das heiße Wasser laufen ließ.

    Chor, Konzert, Oper: Der koreanische Tenor ist vielseitig gefragt

    Der Umzug nach München wie ein Befreiungsschlag: "Das war herrlich." Drei weitere Jahre Studium bei Frieder Lang und Daniel Kotlinski, nebenher eine Vakanz am Opernchor der Bayerischen Staatsoper. Er findet eine Agentur, nimmt an vielen Wettbewerben teil, gewinnt einige, reist für Konzerte nach Valencia, Mailand, Barcelona. Beim Kissinger Opernball entdeckt ihn Bodo Busse, Intendant am Saarländischen Staatstheater, und holt ihn nach Saarbrücken ins Opernensemble. Dort beweist er sich als kraftvoller, kerniger Tenor. Er möchte ins deutsche Fach hineinwachsen, sagt er, nennt Lohengrin und Parsifal als Traumrollen. Für diese Heldentenor-Paraderollen gebe es wenige asiatische Vorbilder in der deutschen Opernszene.

    Avtandil Kaspeli, Sung min Song, Sally du Randt, Shin Yeo in "The Rake's Progress", der einzigen Oper von Igor Strawinsky im Martinipark in Augsburg.
    Avtandil Kaspeli, Sung min Song, Sally du Randt, Shin Yeo in "The Rake's Progress", der einzigen Oper von Igor Strawinsky im Martinipark in Augsburg. Foto: Jan Pieter Fuhr

    An die Schauspielerei geht er intuitiv heran: "Ich spiele nicht, ich reagiere." Die Musik diktiere die Emotionen. Einmal, als er die Reaktionen seines Rollencharakters nicht nachvollziehen konnte, erzählt er, kaufte er sich eine Spielekonsole und ein gewalthaltiges Spiel. Das habe gewirkt, er sei plötzlich sehr wütend gewesen - nicht nur auf der Bühne, sondern auch in der U-Bahn auf dem Weg dorthin. 

    Der Glaube und eine strenge Erziehung prägen den Tenor bis heute

    Das Dopamin treibe ihn an, sagt der Tenor. "Wenn das fehlt, kriegt man ein Loch im Herzen", fügt er hinzu und untermalt mit schmerzverzerrtem Gesicht. "Jetzt weiß ich, dass es dieses Gefühl gibt. Jetzt kann ich nicht mehr ohne leben." Auf der Bühne badet er im Applaus, zu Hause nach der Vorstellung erdet ihn Bibellesen. Der Glaube ist geblieben. Song ist inzwischen selbst Vater, gibt ihn an seinen Sohn weiter.

    Mit seinem Vater in Korea hat der Sänger keinen regelmäßigen Kontakt - lange war komplette Funkstille. Die Ablehnung des Vaters belastet ihn. Trotzdem, sagt er, kann er sich vorstellen, einmal ähnlich streng mit seinem Sohn ins Gericht zu gehen. "Wenn der plötzlich kommt und sagt: 'Papa, ich will Rapper werden in den USA!' - nein, das könnte ich nicht unterstützen."

    Vor einem Jahr sang Song in der Koreanischen National Opera, "Zauberflöte". Er freute sich, seine Eltern zu einem seiner Auftritte einladen zu können. Nur seine Mutter kam. "Er ist verletzt", sagt Song über seinen Vater. Der ist fast 70, die Nachfolge für seine Architektur-Firma ist nicht geklärt. Song schließt nicht aus, dass er die Firma in wenigen Jahren übernimmt. "Da hat man keine Wahl", sagt der Sänger. Seine Verantwortung als Sohn und Ehemann ziehe in zurück nach Korea, sagt Song. "Alles, was mich hier hält, ist die Musik."

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