i
Foto: Tom Rider
Foto: Tom Rider

Pubertär mit 48? Robbie Williams hat sich, hier am Samstag in München, grau meliert und tätowiert, ganz gut gehalten.

Pop-Phänomen
28.08.2022

Konzert in München: Wo steht der Entertainer Robbie Williams heute?

Von Wolfgang Schütz

Die ersten Jahre als Solo-Künstler haben seinen Ruhm begründet. Seitdem kam nichts Großes mehr hinzu, wie das Konzert in München: alles nur Wieder-Aufführungen.

Am Ende scheint für einen kurzen Moment auf eine typisch irrwitzige Weise alles gut geworden zu sein. Die mächtigen Gewitterfronten, die sich wie bei Helene Fischer eine Woche zuvor auch an diesem Samstagabend wieder über dem Riesenareal der Münchner Messe aufgebaut hatten – sie entluden sich nur auf den Bühnenbildschirmen mit Blitzen und Regengüssen zum Song „Monsoon“.

Jetzt beginnt es leise zu tröpfeln, während Robbie Williams, der sich, wie er unvergleichlich freimütig einräumt, eben noch zu „She’s the One“ auf der Bühne hinter das Schlagzeug übergeben hatte müssen, singt eine A-cappella-Reprise auf „Angels“ an – den Hit, mit dem die 25-jährige Solokarriere, die heute hier gefeiert wird, begann. Und die 100.000 Menschen stimmen nicht nur inbrünstig ein, sie sehen sich, diese ganze beseelte Masse, dabei erstmals auf den Riesenleinwänden, während sich der Star still, unbemerkt, ins Dunkel von der Bühne stiehlt. Sehr schön. Hat hier also nicht einer, der zumindest in Europa als größter Entertainer seiner Generation gilt, ein neues Meisterstück abgelegt, mit inzwischen 48 sogar dieses kaum bespielbare Event-Areal erobert?

i
Foto: Tom Rider
Foto: Tom Rider

Zu Beginn ein Kniefall vor 100.000 Menschen, Robbie sagt: Ein Entertainer ist, wer sein Publikum liebt.

Vieles jedenfalls erinnert an den Höhepunkt seiner Karriere hier in München, als er 2003 das Olympiastadion in blanke Verzückung versetzte, als geborener Entertainer, wie er sich selbst nannte, schon mal am Bungee-Seil kopfüber hängend in die Arena einfliegend zum Stimmungskracher „Let Me Entertain You“. Mit diesem Song beginnt erstmals nun seit der Tournee damals auch dieser Samstagabend 19 Jahre später – aber mit einem schlichten Auftreten des Stars, umtost bloß vom Effektbombast der 150 Meter breiten und 30 Meter hohen Bühne.

Und so ist eben sehr vieles hier. Den Stimmungskern des zweistündigen Programms bildet noch immer der Hymnen-Katalog, der mit dem Erscheinen des Albums „Escapology“ damals praktisch komplett war, für Robbie komponiert vom an diesem Abend wieder mit auf der Bühne stehenden Guy Chambers – und auch die meisten Witzchen und Spielchen, die der Sänger mit dem Publikum treibt, sind längst Selbstzitate der steten Wiederaufführung seiner eigenen tragikomischen Pop-Legende.

i
Foto: Tom Rider
Foto: Tom Rider

Ja, ganz klar, Robbie Williams, hier in München am Samstag: mit Zunge raus und schlüpfrigen Witzchen.

Dazu Songs, die eigentlich keiner braucht. Wie „Lost“ vom kommenden Jubiläums-Album, das eigentlich ein Best-of ist, maximal unoriginellerweise mit Orchester neu arrangiert. Wie das bestürzend harmlose „I Love My Life“, das in größtmöglichem Kontrast zu den monumentalen Titeln, in denen Robbie seine abgrundtiefen Selbstzweifel zu strahlendem Narzissmus erhob, etwa „Come Undone“. Das Harmonie-Liebe-Liedchen schien damals immerhin biografisch relevant, weil das Ende dieses Kampfes mit sich selbst zu bedeuten, ein Ja aus vollem Herzen zum Ehe- und Familienleben mit Ayda Field und den gemeinsamen Kindern in Kalifornien. Aber in der Bühnenrolle dominiert bis heute die Zerrissenheit, von der er auch in München wieder erzählt, sich einen „fucked up guy“ nennt und sich immer wieder für die treue Liebe des Publikums bedankt, die ihm das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit gebe. Was stimmt aber nun, Herr Williams, was ist Inszenierung, was Wirklichkeit?

Lesen Sie dazu auch

Das Typische und eben noch immer Wirkungsvolle an diesem Entertainer ist: wahrscheinlich immer alles gleichzeitig! So leben die wenigen Jahre, die ihm seinen Ruhm gebracht haben und mit all ihren darin freilich eher beförderten als gebändigten Dramen, in ihm fort, obwohl er doch ein anderer geworden ist – einer, der all die Selbstzitate auch mit Selbstironie unterfüttert. Dazu einer, der bei all seiner brachial pubertären Frontsau-Performance (samt Arsch- und Penis-Witzen) auch feine Antennen für den Moment bewahrt.

Die Uferlosigkeit und Uneinnehmbarkeit dieser Arena an der Messe etwa, in der das nun irgendwo in der Peripherie verebbt, was noch bei seinen Konzerten im Olympiastadion für eine alle einende Begeisterungswelle gesorgt hat, bevor er überhaupt auf die Bühne trat, ein kleiner Tribünenabschnitt nämlich, der La Ola inszeniert: Robbie, der auch stimmlich seine Probleme hat, gegen die fürs Mega-Event nötige Wucht des Bühnenmonsters anzukommen, fragt in Richtung der wohl 300 Meter entfernten Ränge, welche Show die da wohl sähen, eine von Coldplay? Es ist längst Musik-Kabarett, das hier herrscht: Herr Williams spielt Robbie.

Und doch scheint es nach massiven Hit-Salven von damals (hintereinander „Supreme“, „Millennium“, „Hot Fudge“, „Kids“, „Feel“ und „Rock DJ“) zum Finale hin irgendwie alles eben noch mal gut geworden zu sein. Robbie war auch menschlich berührend dadurch, dass er ein letztes Mal den Evergreen „Sweet Caroline“ sang, den er bislang immer mit seinem Vater aufführte, der aber nun, an Parkinson erkrankt, das Haus kaum noch verlasse. Und er war geschäftlich clever, indem er mit dem an diesem Abend am besten gesungenen „Better Man“ auf einen eben so betitelten Film mit ihm, von ihm und über ihn hinwies, der im kommenden Jahr erscheinen soll – samt Andeutung, es könnte dann auch wieder ein Konzert in München geben. Aber hoffentlich im Olympiastadion!

i
Foto: Tom Rider
Foto: Tom Rider

Ganz klassischer Entertainer: Am Ende der Show in München kommt Robbie im Bademantel zu den Zugaben auf die Bühne.

Denn so wie einst, nach dem Triumph 2003, seine Legende durch den totalen Kommerz beschädigt wurde, als er bei der nächsten Tournee mit einem Mammutprogramm in Serie durch solche Arenen tourte und körperlich wie seelisch daran scheiterte, so hat auch dieser Abend ein bitteres Nachspiel. Denn mitten hinein in die ausklingende Beseeltheit nach „Angels“ plärrt der Bühnensprecher, was für ein toller Abend das gewesen sei und fordert die Menschen auf zu: „So ein Tag, so wunderschön wie heute …“ Und praktisch keiner stimmt mit ein. Denn es ist vorbei, wieder blöd eventisiert, abgewürgt. Bloß raus hier, in den leisen Regen!

Facebook Whatsapp Twitter Mail