Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Musik: Neues Tocotronic-Album: "Nie wieder Krieg" kommt zum genau richtigen Zeitpunkt

Musik

Neues Tocotronic-Album: "Nie wieder Krieg" kommt zum genau richtigen Zeitpunkt

    • |
    Das waren, sind und bleiben Tocotronic: (vorne von rechts) Sänger Dirk von Lowtzow und Bassist Jan Müller, (hinten von links Schlagzeuger Arne Zank und Gitarrist Rick McPhail.
    Das waren, sind und bleiben Tocotronic: (vorne von rechts) Sänger Dirk von Lowtzow und Bassist Jan Müller, (hinten von links Schlagzeuger Arne Zank und Gitarrist Rick McPhail. Foto: Gloria Endres de Oliveira/Tocotronic/Universal/dpa

    Es ist genau der richtige Zeitpunkt. Wofür? Man könnte ja meinen: Für ein Album mit dem Titel „Nie wieder Krieg“, das an diesem Freitag erscheint, als neuer Höhepunkt der Parolenfreude dieser aus der deutschen Musik längst nicht mehr wegzudenkenden Band, die sie selbst so schön „Sloganeering“ nennt.

    Aber wenn man den eher schleppend daherkommenden Titelsong des ersten Tocotronic-Werks seit vier Jahren dann hört, setzt sich schnell die Gewissheit durch, selbst wenn sich hier auf Verletzungen Verhetzungen reimen: Es geht doch nur um innere Zerrissenheit und Krisen, um Lebenskipppunkte wie im ganzen Album dann, ums Private also. Sänger Dirk von Lowtzow sagt sogar, auch ganz schön popphrasenplakativ: „Es ist das persönlichste Album, das wir gemacht haben.“

    Ein wirklich sehr gutes Tocotronic-Album

    Genau der richtige Zeitpunkt ist es vielmehr für gleich zweierlei: Ein wirklich sehr gutes Tocotronic-Album kurz vor dem 30-jährigen Bandjubiläum, es ist das 13. ihrer Geschichte, die mal an der verkopften Spitze der Hamburger Schule begann und den Stempel Diskurs-Pop bekam.

    Und nun: Nicht nur, dass es ein melodisch schönes Wiedererkennen von Klassikern wie „Let there be Rock“ in „Nachtflug“ gibt; nicht nur, dass gleich das vorabveröffentlichte „Jugend ohne Gott gegen Faschismus“ einen gitarrenhymnenfreudigen Höhepunkt setzt – es gibt darüber hinaus noch sehr viel Kleines und Großes auf diesem Album zu entdecken, das also der Welt nicht viel sagen will, aber einem einiges geben kann. Und dafür kommt es mit seinen Untiefen samt Panikattacken und Todesangst („Leicht lädiert“) bis zu seinen Eskapismen („Ein Monster kam am Morgen“) und dann schließlich seinem mit Streichern hübsch sentimentalisierten Stück „gegen die Vereinzelung“ auch noch namens „Hoffnung“ eben auch genau zum richtigen Zeitpunkt.

    Hübsche Balladen und schönes Gitarrenschraddeln

    „Dies ist ein Hilfeschrei. Es gibt uns immer noch. Wir sind noch nicht vorbei“, singt der im vergangenen Jahr ja auch schon 50 gewordene ewige Indie-Dandy Dirk von Lowtzow in „Ich gehe unter“. Und fürwahr, selbst wenn danach „Ich tauche auf“ samt einem erstmaligen Gastsängerinnen-Auftritt von Anja Plaschg (Soap&Skin) schmerzlich an Unheilig erinnert: Es gibt hier von hübschen Balladen („Liebe“) über eigenwillig folkiges Mid-Tempo („Crash“) bis zu schönem Gitarrenschraddeln etwa in „Komm mit in meine freie Welt“ alles, was die Band um den charakteristischen nicht-singenden Sängerbariton samt diesen poesieschwangeren Texten unverkennbar macht – auch wenn es im letztgenannten Song etwa heißt: „Ihr sollt euch keinen Songtext aufschwatzen lassen.“ Selbst wenn in „Ich hasse es hier“ auch nicht Lowtzow-untypisch radebrechend gereimt wird: „Dort liegt eine Pizza, die ich aufzupeppen versuch. Mit Kräutern der Provence hab ich keine Chance.“ Und später ebenso „mit Dosen-Champignons“.

    Das wiederholte Hören und Hinhören aber macht bei guten Tocotronic-Platten immer alles besser, lässt sie so zu sehr guten werden, die dann schließlich auch noch live besonders zu wirken beginnen und damit eine (Parolen-)Kraft entfalten, die dann letztlich doch der Welt etwas zu sagen hat. Denn wenn Menschen zwischen mindestens Ende 50 und Anfang 20 vereint in dieser Musik (siehe „Hoffnung“ singen, ja schreien werden: „Nie wieder Krieg – das ist doch nicht so schwer!“ und eben: „Jugend ohne Gott gegen Faschismus!“ Dann verselbstständigen sich diese doppelt bewusst gesetzten Slogans weit über den individuellen Songzusammenhang hinaus. Dann retten Tocotronic die Welt. Als wären sie Wecker plus Westernhagen. Mindestens.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden