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Foto: Tom Rider
Foto: Tom Rider

Welche ist nun die von den Massen geliebte Helene Fischer? Die maximal vergrößerte Starfigur oder doch das kleine, bodenständige Menschlein?

Schlager-Phänomen
21.08.2022

Obacht, Helene: Die Fans verzeihen nicht alles

Von Wolfgang Schütz

Deutschlands größter Show-Star meldet sich mit dem größten Konzert der Karriere zurück. Und plötzlich steht das ganze Phänomen infrage. Wo will Helene Fischer hin?

Kurz scheint es, als gäbe es nun wirklich überhaupt nichts mehr, was noch über Helene Fischer stünde. Den ganzen Samstag ist das Wetter in München einfach nur verheerend, mal regnet es, mal schüttet es, mal gewittert es, so ziemlich der mieseste Tag der ganzen Sommersaison. Wegen zwischenzeitlicher Gefahrenwarnungen dürfen die Menschen, die trotz allem ihrer Liebe auf das so durchsifft nun vollends trostlose Industriegelände im Vorort Riem gefolgt sind, auch mal in den kahlen Messehallen Schutz suchen.

Doch dann, ganz genau rechtzeitig, als es Zeit für diese Liebe ist, höchstselbst in Erscheinung zu treten, wirkt es fast wie ein Wunder. Es nieselt nur noch leicht, tief am Horizont bricht leuchtend orange die Abendsonne durch, malt dazu einen Regenbogen in den Himmel. Und kurz darauf schwebt sie, schwebt die Helene schon als singende, schillernde Showgöttin an Seilzügen weit über den Köpfen von rund 130.000 Menschen, die nach da droben staunen und dabei fast vergessen, dass sie bis auf die Haut durchweicht in Pfützen stehen. Deutschlands Märchenkönigin ist zurück. Und alles scheint gut. Aber eben bloß ganz kurz.

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Foto: Tom Rider
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Helene Fischer kam im Regen auf die gigantische Bühne.

Denn tatsächlich offenbart gerade dieser Samstagabend, der so rauschhaft wie ausdrücklich im Zeichen von Superlativen stehen sollte – schließlich tritt hier Deutschland größter Star im größten Konzert der Karriere auf, ein einmaliges Comeback-Fest nach Corona- und Babypause –, dass es auch für Helene Fischer Grenzen gibt. Grenzen, die sie kennen sollte. Eigentlich gerade sie, die im Verlauf ihrer Laufbahn zur Expertin für Grenzziehungen und Grenzverschiebungen wurde, das Kalkulieren damit ist geradezu Kern des Phänomens, zu dem sie in der hiesigen Unterhaltungsbranche geworden ist.

15 Jahre liegt der Durchbruch der ausgebildeten Musicaldarstellerin russlanddeutscher Herkunft jetzt zurück – und schon damals war ein gleich doppelter Grenzkonflikt in dieser Karriere angelegt. Die junge Helene liebte Pop und nicht Schlager, wollte also auch Pop und nicht Schlager singen. Aber der Weg, der sich für sie auftat, führte eben dorthin. Und zu diesem verhalf ihr ein schon frühes Duett im Fernsehen mit einem gewissen Florian Silbereisen, der nun in München 17 Jahre später ihr Erscheinen auch als Ex-Partner und Ewig-Fan auf der Bühne ankündigt. Darin scheint auch schon ein Grenzproblem ihres Schlager-Erfolgs auf, das nämlich, dass in dieser Branche Künstlerinnen und Künstler ihre Identität eben nicht als Kunstfiguren inszenieren, sondern Authentizität und Bodenständigkeit zum Markenkern gehören müssen, auch der werdende Superstar Helene noch also: Ich bin eine von euch.

Die großen Grenzkonflikte der Helene Fischer

Das zeitigt zwei einschneidende Folgen für diese Frau persönlich. Eine ist der blanke Wahn, mit dem ihr Privatleben pausenlos in den Boulevard-Medien thematisiert wird. Wer wirklich wollte, konnte natürlich in dieser Woche des großen Comebacks wieder reichlich in den aktuellen Ausgaben am Kiosk fündig werden, allein auf den Titelseiten unter anderem: Helene neben Flori bei der Super Woche mit der Zeile „Liebesdrama – Was ist nur passiert?“; ebenfalls neben ihm bei Prima Woche, betextet mit „Heimliche Versöhnung – Wird jetzt alles wieder gut?“; Helene mit „Bittere Reue! Unfassbar, was jetzt ans Licht kommt“ bei Freizeit König; neben ihrem Partner Thomas Seitel bei Woche Exklusiv mit „Getrennte Wege? Warum Mama Maria jetzt ständig bei ihr ist“; Helene mit „Geschockt! – Die Rivalin ist wieder da“ zu dessen Ex Angelika Janeva bei Schöne Welt; auf illu der Woche Helene mit „Baby-Geheimnis – Was die Sängerin verraten hat“ …, HeleneHeleneHelene!

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Da Deutschlands dauerrauschende Promi-Blättchen keine Royals haben, benutzen sie eben die Schlagerkönigin für ihre Märchen. Sie selbst hat versucht, alles Mögliche dagegen zu unternehmen, ist aber immer wieder nur neu und bitter gescheitert. Sogar am innersten Kern der Vertrauten, aus denen sowohl ihre Trennung von Silbereisen wie ihre Schwangerschaft frühzeitig an den Boulevard durchgestochen wurde. Und dann, als sie nach vielen Jahren eben doch einmal wirklich über sich zu sprechen bereit war und dafür, mehr zu sagen als in ohnehin schon seltenen simplen Statements wie etwa „Es vergeht kein Tag, an dem ich keinen Apfel esse“, nun also echt mit dem Chefredakteur der seriösen Wochenzeitung Die Zeit, Giovanni di Lorenzo, da kassierte ihr eigenes Management große Teile des Gesprächs vor Veröffentlichung ein – aus Sorge, was der Boulevard in Folge nicht alles mit aus dem Zusammenhang gerissenen Auszügen des Interviews anstellen würde.

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Foto: Angelika Warmuth, dpa
Foto: Angelika Warmuth, dpa

Helene Fischer Fans haben lange gewartet - und nicht alle waren am Ende begeistert.

So blieb hier das Bild eines Stars, der eben solche Sachen sagt wie: Auf der Bühne wolle sie sich offen geben, „um authentisch und nicht unnahbar zu sein“ und andererseits: „Mein Privatleben ist mein einziger Rückzugsort, mein einziger Schutz.“ Und als einzige Brücke dazwischen, wie es bei Künstlern nun mal sein kann: Während sie früher so manchen von all den Texten, die für sie geschrieben wurden, wegen der veralteten Begriffe darin gar nicht verstand (mit 21, „Im Reigen der Gefühle“?), wolle sie dafür „in das Innerste gehen und aufmachen“.

Und so steht sie mit diesem Grenzkonflikt nun vor 130.000 Menschen in München tatsächlich erstmals mit Songs wie „Wann wachen wir auf“, „Hand in Hand“ und „Die Erste deiner Art“ auf der Bühne, singt also traurig und besorgt über den Zustand der Welt, dankbar und glücklich vom Finden ihres Seelengefährten, fast schon feministisch, jedenfalls ermutigend über das Gefühl des Andersseins als junge Frau. Alles sehr bildhaft und phrasennah wie auch die Worte, die sie dazu sagt, über „meine neue Situation“, mit der sie ihr Mutter-Sein meint, über Krieg und Hass, die es im 21. Jahrhundert doch nicht mehr geben dürfe … Aber natürlich kein konkretes Wort der im russischen Krasnojarsk geborenen Frau zur Ukraine. Sicher, weil sie nach ihrer einzigen konkreteren Botschaft für Mitgefühl in der Flüchtlingskrise Drohungen erhalten hat. Aber auch, weil das Erfolgskonzept letztlich eben doch noch Schlager ist, vielleicht mal ein bisschen nachdenklich und traurig, aber letztlich doch ein heiterer Kontrast der Lebensfreude zur allzu oft ernüchternden und harten Wirklichkeit.

Helene Fischer integriert in München die ganze Musikwelt in ihre eigene

Diese Grenze versucht Helene längst zu verschieben. Sie ist zwar bislang trotz kleineren Exporten des Superhits „Atemlos“ immer gescheitert, ihren Erfolg über die deutschsprachigen Länder hinaus in Europa und der Welt fortzusetzen, da halfen auch Duette mit Robbie Williams und Luis Fonsi nichts – stattdessen integriert sie nun die ganze Musikwelt einfach in ihre eigene. Mit dem neuen Album und noch mehr an diesem Abend in München geht das bereits weit über die Mischung von Schlager und dem Eurodance der Neunziger hinaus, nicht nur zum Song „Blitz“ rockt die Liveband schon ziemlich betont. „Fehlerfrei“ erhält eine Auffrischung durch den älteren Disco-Hit „Everybody Dance Now“, „Sag mal spürst du das“ und „Vamos a Marte“ dröhnen mit der 150 Meter breiten Effekt- und Soundmaschine, die diese Bühne in München ist, eh schon weit über alle Schlagergrenzen hinaus. Auch wenn eine kleine Rap-Einlage Helenes eher peinlich gerät, hier darf zumindest nach einem Pop-(Art-)Konzept wie in einer Collage einfach alles neben allem stehen, Hauptsache, es wirkt.

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Foto: Angelika Warmuth, dpa
Foto: Angelika Warmuth, dpa

Helene Fischer liebte Pop und wollte ihr Leben lang selbst auch Pop singen.

Gerade da aber zeigt sich ein vorerst letzter, dafür wieder gleich doppelter Grenzkonflikt. Denn der Kontrast zu den eher klassischen Schlager-Hits, mit denen sie ihr treuestes Publikums gewonnen hat, wird augenfälliger. Von „Mitten im Paradies“ bis „Ich will immer wieder … dieses Fieber spür’n“, von „Phänomen“ bis „Die Hölle morgen früh“ – das verfängt unmittelbar, wirkte auch in kleineren Hallen. Die neuere Helene ist eine, die nur noch in Gesten und Bekenntnissen Nähe und Unmittelbarkeit darstellt, in der Musik aber auf Größe und Überwältigung setzt.

Bislang (und sehr bewusst auch noch ohne einen einzigen englischen Song auf einem Album) hat sie diese Gratwanderung ordentlich gemeistert – wenn das wieder einen Schritt weitergehende aktuelle Album „Rausch“ auch nicht annähernd so durchgeschlagen hat wie die zuvor. Das Mega-Konzert in München aber markiert hier eine neue, zusätzliche Gefahr. Was nämlich doch noch über Helene Fischer zu stehen scheint, ist zwar schon auch das Wetter – das machte das Super-Event für dieses Riesen-Publikum mega-anstrengend. Viel mehr noch aber überragte hier der blanke Kommerz.

Helene in München: Die Märchenkönigin droht eine Grenze zu überschreiten

Die Sängerin bedankt sich sehr ausführlich und persönlich beim Grazer Unternehmer Klaus Leutgeb, der diese Giga-Arena errichtet und damit ihren Maximal-Auftritt ermöglicht hat – „die tollste Show meiner Karriere“, wie sie gegen Ende des Abends dann resümiert. Ihr größtes Konzert war es aber nur quantitativ: am meisten Publikum, am meisten Einnahmen, wenn bereits sehr durchschnittliche der verkauften 100.000 Stehplatz-Tickets 280 Euro kosteten.

Helene mit Tänzern und Band liefert dafür zwar über knapp zweieinhalb Stunden ordentlich ab – aber das ist (neben weiterem Geldausgeben an Essens-, Getränke- und Merchandising-Ständen) auch schon der einzige Programmpunkt: keine Vorgruppe, bloß ein auf Dauer enervierender Motivator am Mikro, der zu Stimmungsklassikern vom Band die Menschen schon „So ein Tag, so wunderschön wie heute …“ singen machen wollte, als diese noch sehr bewusst wahrnahmen, dass sie klamm in Wasserpfützen standen.

Aber auch Helene selbst dann: Auf dieser Riesen-Bühne, in dieser Riesen-Arena, wo sie, die Ameise, von den meisten bloß noch über Riesen-Leinwände als ihre Liebe identifiziert werden kann, wo sie weder, wie in Hallen, ihr Artistiktalent ausspielen kann, noch, wie in Stadien, sich eine Masseneuphorie wenigstens ballen könnte, wo einfach alles so groß ist, dass weder Helenes Unmittelbarkeit noch ihre Überwältigung wirken könnten … Hier droht sogar die Märchenkönigin die Grenze zu überschreiten, ab der ihr ihre Anhänger etwas übel nehmen könnten. Nicht beim ersten Mal vielleicht, aber im Fall einer Wiederholung. Obacht Helene, also!

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