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Passionsspiele: In Oberammergau zürnt Jesus: Unsere Kritik zur Passion 2022

Passionsspiele

In Oberammergau zürnt Jesus: Unsere Kritik zur Passion 2022

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    Jesus (Frederik Mayet) auf dem Kreuzweg.
    Jesus (Frederik Mayet) auf dem Kreuzweg. Foto: Arno Declair/Passion 2022 Oberammergau

    Es liegt schon eine bittere Ironie darin, dass die Oberammergauer Passionsfestspiele vor zwei Jahren ausgerechnet wegen einer Pandemie abgesagt werden mussten. Denn 1633, als Pandemien noch Seuchen genannt wurden und die Pest im Dorf viele Bewohner des Gebirgsdorfes dahingerafft hatte, hatten die Oberammergauer gelobt, alle zehn Jahre das „Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ auf die Bühne zu bringen. 2020 hatte just der weltweite Corona-Ausbruch der Erfüllung des Gelübdes einen Strich durch die Rechnung gemacht, kurz vor der Premiere wurde die Passion abgesagt. Aber nun hat sie doch ein gutes Ende gefunden, die Leidensgeschichte der Oberammergauer.

    Passion Oberammergau: 4400 Menschen sitzen im Passionstheater

    Kaum zu glauben, dass es einmal so etwas wie Maskenzwang oder Zuschauerbeschränkungen gab. 4400 Menschen saßen am Samstag in den engen Reihen des Festspielhauses und konnten ohne Mund-Nasenschutz fast sechs Stunden jenes Bühnenspiel erleben, das so viel mehr ist als eine Theateraufführung, schließlich lebt das ganze Dorf für, mit und von der Passion.

    Die Landtagspräsidentin Ilse Aigner und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder gehören zu den Premieren-Gästen
    Die Landtagspräsidentin Ilse Aigner und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder gehören zu den Premieren-Gästen Foto: Angelika Warmuth/dpa

    Etwas über 100 Vorstellungen werden es in diesem Jahr sein. Ob, wie 2010, rund eine halbe Million Menschen in die Alpengemeinde strömen werden, ist noch ungewiss. Bisher sind 75 Prozent der Karten verkauft. Zwar haben, wie Walter Rutz, Geschäftsführer jener gemeindeeigenen Gesellschaft, die die Festspiele veranstaltet, sagt, nur wenige ihre Tickets nach der Absage zurückgegeben, aber der Krieg in der Ukraine hält nun potenzielle Gäste aus Übersee ab. Dafür sei aber der Zuspruch aus dem Inland etwas größer, versichert Rutz.

    Sei’s drum, selbst wenn nicht die beim letzten Mal verdienten rund 40 Millionen Euro zusammenkommen, etwas wird schon hängen bleiben in Oberammergau, um Schwimmbad, Mehrzweckhalle und all die anderen kommunalen Einrichtungen in Schuss zu halten. Ungebrochen war der Zustrom auf jeden Fall schon mal am Samstagnachmittag im Hinblick auf die prominenten Besucher der Premiere: Ministerpräsident Markus Söder, Landtagspräsidentin Ilse Aigner und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff sorgten dafür, dass eine erkleckliche Anzahl an Leibwächtern in den Genuss des Passionsspiels kamen. Die lange Liste der Persönlichkeiten aus Film, Fernsehen, Theater und Sport reichte von Dieter Hallervorden, Dunja Hayali bis Laura Dalheimer.

    Das Oberammergauer Passionsspiel ist weit entfernt von unbeholfenem Bauerntheater

    Mit einem herkömmlichen Laienspiel oder unbeholfenem Bauerntheater hat die Oberammergauer Passion nicht viel gemein. Schon von ihrer Dimension her: 2100 Mitwirkende stehen vom alten Mann bis zum Kleinkind, vom Hauptdarsteller bis zur Chorsängerin auf der Bühne, dazu ein Esel, vier Schafe, vier Ziegen, zwei Pferde, zwei Kamele und etliches Geflügel. Mag das bayerische R auch noch so rollen und mancher Satz der Tempelwachen oder römischen Soldaten ein wenig gepresst herauskommen, in den Hauptrollen zeigen Spieler wie Frederik Mayet (Jesus), Cengiz Görür (Judas), Anton Preisinger (Pilatus), Maximilian Stöger (Kaiphas) und auch die eher untergeordneten Frauendarstellerinnen Andrea Hecht (Maria) und Barbara Schuster (Maria Magdalena) große Souveränität im Umgang mit dem Text.

    In seiner mittlerweile vierten Inszenierung hat Spielleiter Christian Stückl die Darsteller zu bemerkenswerter Professionalität gebracht.

    Mit seiner exzellenten Personenregie, die er bei der Premiere auch noch aus dem Orchestergraben heraus fortführte, stellt Stückl jeden Darsteller an den Platz, der ihm die beste Geltung verschafft. Und die großen Volksszenen sind ohnehin eine exakt austarierte Choreografie der Masse. Mehrere hundert Menschen gleichzeitig bevölkern die Bühne und schreien, aufgestachelt von der Hohen Priesterschaft, ihr „Kreuzigt ihn“, während eine andere Gruppe sich als Fürsprecher Jesu Gehör verschafft. Ein faszinierend zu beobachtendes Gemenge, das beängstigende Radikalität entwickelt..

    Kardinal Reinhard Marx: Die Passion ist eine der größten Geschichten aller Zeiten

    Nicht nur hier, wenn die heute so oft zitierte gespaltene Gesellschaft bühnenwirksam inszeniert ist, zeigt sich, dass diese alte Geschichte ganz ohne mühsame Aktualisierungen über die Zeiten gültige Wahrheiten und Mahnungen vor Augen führt, dass sie mehr ist als ein „Historienspiel“, wie es der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm in seiner Predigt zum ökumenischen Eröffnungsgottesdienst feststellte. Die Schere zwischen Arm und Reich, die Hybris der Machthaber, Krieg, Vertreibung und Flucht – alles drin in dieser „größten Geschichte aller Zeiten“ (Kardinal Reinhard Marx).

    In deren Mittelpunkt steht ein zorniger, energischer Jesus, der seine Jünger und das Volk, vor allem aber den Hohen Rat zu Barmherzigkeit, Genügsamkeit und Verantwortung für die Schwachen auffordert und ihnen darin ein Leitbild geben will. Bereits in der letzten Passion hatte Christian Stückl die antisemitischen Anspielungen aus dem Text gestrichen und er zeigt Jesus auch dieses Mal in einer eindringlichen Szene als Juden, der im Tempel die Thora enthüllt und „Sch’ma Israel“, das wichtigste Gebet der Juden, singt.

    Jesus (Frederik Mayet) teilt das Brot.
    Jesus (Frederik Mayet) teilt das Brot. Foto: Angelika Warmuth/dpa

    In Zeiten des Krieges in der Ukraine und der Diskussion um deutsche Waffenlieferungen nimmt man aber auch Jesu Sätze über Frieden und Gewaltlosigkeit in neuer Weise wahr. „Judas wahre den Frieden“ hält er seinem Jünger entgegen, der in Jesus einen Hoffnungsträger für den Widerstand gegen die römischen Despoten sieht. Aus Enttäuschung über seine Fehleinschätzung, nicht aus Profitgier wird Judas zum Spielball für Kaiphas und zum tragischen Verräter. Wie politische Ränkespiele und die Strategien von Macht greifen, dazu weiß Stückls Passionsspiel, dessen Grundlage ein mehr als 100 Jahre alter Text des Ortspfarrers Joseph Alois Daisenberger ist, einiges beizutragen – durchaus auch in längeren Disputen die den Zuschauenden Konzentration abverlangen.

    Passion 2022: In der Musik klingen Bach und Händel an

    Im Wesentlichen aber ist die Aufführung ein unglaublich sinnliches Erlebnis. Die Musik, ursprünglich aus dem 18. Jahrhundert, ist nicht nur untermalendes, sondern handlungstragendes Element wie bei einem Oratorium. Bach und Händel klingen hier an, manchmal auch ein wenig Mozart. Markus Zwink, musikalischer Leiter der Passion, hat sie noch einmal überarbeitet und ergänzt. Der grau-kargen Szenerie einer Tempelanlage als einheitlichem Spielort stehen jene Tableaux Vivants gegenüber, lebende Bilder mit Schlüsselszenen des Alten Testaments, die zwischen den Spielszenen wie knallbunte Spots für einige Sekunden aufleuchten und ein Markenzeichen der Oberammergauer Passion sind. Eingeführt und kommentiert werden die lebenden Bilder durch den großartigen Chor und seine Solisten, die einen Bezug zur Leidensgeschichte Jesu herstellen.

    Das erste dieser eindrücklichen Bilder stellt in der Passion 2022 das fast 400 Jahre alte Gelübde der Oberammergauer dar. Nichts kann sie davon abhalten, diese Glaubenstradition immer wieder zu beleben. Schon gar nicht eine Seuche.

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