Für die Traditionalisten in Oberammergau ist es eine Provokation, für Passions-Spielleiter Christian Stückl eine Selbstverständlichkeit und für den Betroffenen selbst, den 22-jährigen Cengiz Görür, einfach nur ein großes Glück, dass er durch Stückl zu seiner Berufung gefunden hat. Cengiz Görür ist der erste Muslime, der im Oberammergauer Laienspiel eine Hauptrolle verkörpert, und dann auch noch so eine begehrte. „Judas ist neben Jesus die interessanteste Figur, weil er gespalten ist“, sagt Görür – einerseits ein großer Bewunderer Jesu, andererseits enttäuscht, weil dieser sich dem Joch der Römer ergebe. „Diese Zerrissenheit, die Verzweiflung will ich zeigen“, hat Cengiz Görür sich vorgenommen.
Spielleiter Christian Stückl entdeckte ihn mit 16 Jahren im Eiscafé Paradiso
„Ich hatte ja keine Vorstellung vom Schauspielen, als mich der Christian damals angesprochen hat“, erinnert sich Görür, und nun kommt jene Geschichte, die er auch schon der New York Times erzählt hat. 16 Jahre alt war er damals, als Stückl im Eiscafé Paradiso sagte: „Ich will deine Stimme mal auf der Bühne hören.“
Kleinere Rollen bekam er dann in den Stücken, die im Oberammergauer Festspieltheater in den zehn Jahren zwischen den Passionen gespielt werden, bis ihm Christian Stückl eine Rolle versprach, bei der er „mit den Ohren schnackeln“ würde. Und wie es geschnackelt hat dann, an diesem Tag, als sein Name mit weißer Kreide auf die Tafel der Darsteller geschrieben wurde. Aber nicht für jeden passte der junge Mann, dessen Vater mit drei Jahren nach Oberammergau gekommen war und im Ort ein Hotel betreibt, ins Bild der traditionsbeladenen Passion. Doch Stückl machte klar: „Cengiz ist einfach der beste.“ Und der findet selbst: „Wir sind alle gleich, egal ob Moslem, Christ oder Jude. Man muss ein lieber Mensch sein, ganz einfach.“
Passion Oberammergau: Cengiz Görür will zeigen, dass er der Richtige ist
Ein Naturtalent, dieser Cengiz Görür, das spürt man, wenn man ihm gegenübersitzt, wenn er einem mit seinem Blick festhält und mit seiner markanten Stimme erzählt, wie er nach und nach entdeckt hat, dass es das ist, was er machen will: auf der Bühne stehen, in Rollen schlüpfen, andere Personen verkörpern.
Dafür brach Cengiz Görür die Fachoberschule ab. Als die Passion, die ja schon 2020 stattfinden sollte, dann wegen der Corona-Pandemie um zwei Jahre verschoben werden musste, fiel er erst einmal in ein Loch. Wieder einmal erwies sich Stückl für ihn als Mentor und brachte eine Schauspielausbildung an der renommierten Otto Falckenberg Schule ins Gespräch. Dort schaffte Görür die Aufnahmeprüfung, gab das Studium aber nach einem halben Jahr wieder auf, weil ihn die täglichen Fahrten, das geteilte Leben zwischen München und Oberammergau zerrieben. Lieber vertrieb er sich die Zeit des Wartens auf den erneuten Passionsproben-Beginn als Pizzabote. Im Herbst wird er das Schauspielstudium noch einmal angreifen – und sich ein Zimmer in München suchen. Aber jetzt hat er erst einmal Wichtigeres vor: „Alle sollen sehen, dass ich der Richtige für diese Rolle bin“, hat er sich vorgenommen.