Im letzten Sommer spielten sie mit viel Erfolg Shakespeares „Julius Caesar“ im Oberammergauer Passionstheater. Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters und seit 1996 bewährter Spielleiter der weltberühmten Oberammergauer Passionsspiele, inszenierte die Geschichte um den Mord am Herrscher, der zu viel Macht auf sich vereint hat, und damit verbunden auch um die Frage nach den richtigen Mitteln für den Generationenwechsel an der Spitze. Das Thema holte den Regisseur nun in der Realität ein. Im Juni hatte der Gemeinderat beschlossen, die Spielleiterposition, um größere Transparenz zu schaffen, für die Passion 2030 in einem Bewerbungsverfahren zu besetzen – und das, obwohl Stückl seinen Hut bereits im April 2023 wieder in den Ring geworfen hatte. Zwischenzeitlich gab es neben Stückl zwei weitere Kandidaten, einer von ihnen Abdullah Kenan Karaca – und das gab der Angelegenheit seine dramatische Qualität, denn Karaca war ehemals Assistent von Stückl und unterstützte ihn bei der letzten Passion als zweiter Spielleiter. „Auch du, Brutus?“ ist man da verleitet, in Cäsar’scher Manier zu fragen. Doch seit Montag steht offenbar eine Lösung im Spielleiter-Drama im Raum.
Für Christian Stückl sind die Oberammergauer Passionsspiele eine Herzensangelegenheit
Natürlich sollte man den antiken Tyrannenmord mit den derzeitigen Vorgängen in Oberammergau nicht in eine Reihe stellen. Liest man sich allerdings durch all die Artikel, die bereits in der Sache veröffentlicht wurden, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Vorgehen von manchem mindestens als schwerer Anschlag auf die künstlerische und menschliche Integrität Christian Stückls empfunden wurde. Der hat selbst all die Jahre immer wieder betont, welche Herzensangelegenheit ihm die Passion in seiner Heimatgemeinde ist und empfand den expliciten Aufruf an weitere Bewerber als „Affront“.
Dabei ist Gegenwind gerade von Seiten des Oberammergauer Gemeinderates nichts Neues für Stückl. Zu oft ist ihm schon vorgeworfen worden, sich über geltende Bestimmungen hinweggesetzt zu haben, etwa als er bei der letzten Passion, die wegen der Corona-Pandemie erst mit zweijähriger Verspätung 2022 stattfinden konnte, einen aus Afghanistan geflüchteten jungen Mann als Soldaten auf die Bühne stellte. Laut Statuten dürfen aber nur Bürgerinnen und Bürger aus Oberammergau mitspielen, die dort geboren wurden oder seit mindestens 20 Jahren in der Gemeinde leben.
Stückl war es auch, der für sich in Anspruch nahm, die Besetzung der wichtigsten Rollen vorzunehmen, ein Recht, das früher beim Gemeinderat lag. Und Stückl hob Altersgrenzen auf, besetzte die Maria mit einer verheirateten Frau, nahm Evangelische und Muslime in sein Ensemble auf – alles Neuerungen, die im Gemeinderat oft nur knappe Zustimmung fanden. 1996 war gar ein Bürgerbegehren nötig, um ihm die Position des Spielleiters zu sichern.
Ein Bürgerbegehren für Christian Stückl war schon in Vorbereitung
Das stand auch jetzt wieder als Ultima Ratio bei den Unterstützern Christian Stückls im Raum, ein erstes Treffen hat bereits stattgefunden. Doch haben sich mittlerweile versöhnlichere Töne eingestellt, die die erste Aufregung und die Konfrontation auch unter den in zwei Lagern gespaltenen Oberammergauer Bürgern beruhigen. So hat der Gemeinderat am Montag entschieden, das Bewerbungsverfahren nun doch schneller über die Bühne zu bringen. Die Entscheidung über den Spielleiter soll bereits am 16. Oktober und nicht erst am 31. Mai nächsten Jahres fallen.
Damit kommt das Gremium dem Wunsch des Unterstützerkreises von Christian Stückl entgegen, der zu einem Teil identisch ist mit den Verantwortlichen der Passionstheater GmbH. Diese führt den zwischen den Passionen jährlich laufenden Kultursommer mit jeweils einer eigenen Theaterproduktion (in diesem Jahr sollte das Stück „Der Rebell“ aufgeführt werden, das jedoch zuwenig Zuspruch im Vorverkauf fand und abgesagt wurde) sowie Gastspielen im Auftrag der Gemeinde durch. Die GmbH verbindet den Kultursommer 2025 mit der Frage, wer der nächste Passions-Spielleiter wird. Die Begründung dafür: Christian Stückl hatte die jährlichen Inszenierungen in der Vergangenheit stets als eine Art Nachwuchsförderung genutzt und unter den Spielenden seine Kandidaten für die Hauptrollen der Passion gefunden. Sollte Stückl 2030 nicht Spielleiter werden, steht für die GmbH auch der Kultursommer zur Disposition. Solange die Spielleiter-Frage nicht geklärt ist, kann also auch der Kultursommer 2025 nicht geplant werden. Auf jeden Fall zu kurz sei dafür die Frist, die ab Ende Mai nächsten Jahres noch geblieben wäre.
Christian Stückl und Abdullah Karaca sind in mehreren Gesprächen zu einer Einigung gekommen
Aufeinander zu bewegten sich vor allem aber - und das war bei der Gemeinderatssitzung wohl die große Überraschung - die beiden Gegenspieler Stückl und Karaca. Der 35-Jährige, der nach der letzten Passion gesagt hatte, dass er nicht mehr mit Stückl zusammenarbeiten will, hat davon Abstand genommen und ist auf seinen ehemaligen Mentor zugegangen. In mehreren Gesprächen hätten sich die Kontrahenten ausgetauscht und seien zu einer Einigung gekommen, berichtet die Heimatzeitung. „Wir kennen uns seit 15 Jahren, haben eine Vertrautheit und fanden gleich eine Gesprächsebene“, wird Christian Stückl zitiert. Auch Abdullah Karaca bläst ins gleiche Horn: „Wichtig war, dass wir offen reden. Und wir waren so offen wie nie.“
Abdullah Kenan Karaca wuchs als Sohn türkischer Einwanderer in Oberammergau auf und wirkte bereits als Elfjähriger in der Passion mit. Nach einem Regiestudium in Hamburg arbeitete er unter Stückl als Regieassistent und Hausregisseur am Münchner Volkstheater. 2019 verließ er das Haus und arbeitet seitdem als freier Regisseur - und in Zukunft auch wieder mit Christian Stückl zusammen. Gemeinsam wollen sie eine Bewerbung als Spielleiter für die Passion 2030 einreichen. Der dritte Interessent, dem aber kaum Chancen zugerechnet werden, ist Fabian Kernstein, der bei den Oberammergauer Theaterfreunden aktiv ist.
„Das ist die Lösung, die sich wohl der ganze Ort gewünscht hat“, kommentiert Oberammergaus Bürgermeister Andreas Rödl die Entwicklung. Man erreicht ihn gerade während einer Almbegehung am Handy und hört durchs Telefon die Erleichterung. Mit welchem künstlerischen Konzept sich Stückl und Karaca für die Passion 2030 bewerben, wie die Zusammenarbeit, Kompetenzen und Aufgabenverteilung aussehen wird, darauf ist Rödl sehr gespannt. „Das ist genau der Punkt, der intensiv zu diskutieren ist zwischen den beiden“, prophezeit er. Am 10. Oktober wird die Öffentlichkeit bei einer Bürgerversammlung erfahren, was die Diskussionen ergeben haben. Dass es dabei auch noch einmal hitzig werden kann, ist fast zu erwarten. Denn wie sagte Stückl gegenüber der Frankfurter Allgemeinen: „Wenn wir nimmer streiten, dann steht es schlimm um die Passionsspiele“.
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