Ganz so dramatisch, wie die erhitzten Kommentare vor den diesjährigen Bayreuther Festspielen es vorherzusehen meinten, ist es nun doch nicht gekommen. Kein großer Kartenverkaufseinbruch also, das besagen die Zahlen nach dem letzten Vorhang bei den Festspielen 2023. "Holländer", "Tannhäuser", "Tristan", auch der neue, teils mit Augmented Reality (AR) versehene "Parsifal" waren ausverkauft, teilen die Festspiele mit; nur der vierteilige "Ring des Nibelungen", für den es erstmals auch Einzelkarten gab, war nicht ausverkauft, sondern nur zu 92 Prozent. Das ist gewiss ein neuer Bilanz-Ton aus Bayreuth, wo man vielfache Überbuchung gewohnt ist. Trotzdem fallen 92 statt 100 Prozent wohl eher in die Kategorie Luxusproblem, zumal die Festspiele die hausgemachte Problematik beim Kartenverkauf im nächsten Jahr bereinigt haben dürften. Und dass man nicht mehr auf Jahre hinaus für Karten anstehen muss, ist aus Sicht des Opernfreunds ja keine schlechte Nachricht, solange es für die Festspiele heißt, die Spielzeit ist ausverkauft.
Auch 2024, teilten die Festspiele auf Nachfrage mit, werden beim „Parsifal“ fürs Publikum wiederum lediglich 330 AR-Brillen zur Verfügung stehen (das Festspielhaus fasst pro Vorstellung knapp 2000 Besucher). Ausgemacht ist zudem, dass nächstes Jahr beim "Ring" nicht erneut Pietari Inkinen, sondern Philippe Jordan dirigieren wird – vielleicht verspricht man sich von diesem Bayreuth-Routinier mehr Zugkraft. Das gilt allemal für den unbestrittenen Wagnertenor-Star heutiger Zeit, für Klaus Florian Vogt, der die beiden Siegfriede im "Ring" singen wird. Der "Tannhäuser" in der Regie von Tobias Kratzer, aufregendste Inszenierung im aktuellen Bayreuther Portfolio, wird nun doch noch einmal weitergetragen, nicht jedoch der "Tristan" von Roland Schwab, dem nur zwei Sommer gegönnt waren, denn 2024 folgt schon ein neuer. Die Inszenierung besorgt Thorleifur Örn Arnarsson, dirigieren wird Semyon Bychkov, die Titelpartien übernehmen Andreas Schager und Camilla Nylund.
Katharina Wagner hat bei der Familie das O. K. eingeholt
Festspiel-Chefin Katharina Wagner hat aber auch schon Neuigkeiten zu weiteren Jahren verraten. Die Neuproduktion 2025 gilt den "Meistersingern", inszenieren wird dann der bisher vor allem mit Musicals hervorgetretene Mathias Davids, Daniele Gatti dirigiert, den Sachs singt Georg Zeppenfeld, Michael Spyres den Stolzing. Für 2026 sieht Bayreuth einem großen Jubiläum entgegen. Vor 150 Jahren, 1876, fanden die ersten Wagner-Festspiele statt. Aus diesem Anlass sollen alle zehn Opern, die den Programm-Kanon bilden, in bestehenden Inszenierungen aufgeführt werden. Und als Neuinszenierung "Rienzi", jene frühe Wagner-Oper, die eben nicht zu den "Großen Zehn" gehört. Von Katharina Wagner ist zu hören, dass sie sich dafür eigens die Zustimmung der weitverzweigten Wagner-Familie eingeholt hat.
Verzichten muss das Bayreuth-Publikum künftighin auf einen Sänger, der die Aufführungen der vergangenen zwei Dekaden maßgeblich mitgeprägt hat. Tenor Stephen Gould hat gesundheitsbedingt seine Karriere beendet, schon in dieser Spielzeit hatte der 61-Jährige ersetzt werden müssen. Die Personaldecke im heldischen Fach bleibt angespannt, hohe Belastung ist die Regel, nicht zuletzt wegen des Einspringens für erkrankte Kollegen, auch Stephen Gould war sich nie zu schade dafür.
Weiter mit der amtierenden Chefin?
Eine andere Personalie wird jetzt in den Fokus rücken, die der Festspielleitung. Katharina Wagners Vertrag läuft bis 2025, und die amtierende Chefin hat wegen ihrer künstlerischen Linie keineswegs nur Freunde. Allerdings ist derzeit niemand in Sicht, von dem man zwingend annehmen muss, er oder sie würde es besser machen. Dass sich in Bayreuth einiges ändern sollte, weiß auch Katharina Wagner, fordert es sogar ein von den Geldgebern Bund, Bayern, Bayreuth, Freunde von Bayreuth. Letztere haben ihre Anteile jüngst reduziert, der Freistaat will aufstocken, der Bund wird wohl folgen. Kaum vorstellbar jedoch, dass im Vorfeld des großen Jubiläums Katharina Wagner von Bord gehen wird – der Nimbus, 150 Jahre von Familie Wagner geführt zu sein, wäre dann wohl passé.