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Oper auf der Freilichtbühne: "Turandot"-Premiere in Augsburg

Premiere

Mit "Turandot" kehrt auf Augsburgs Freilichtbühne die Oper zurück

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    "Turandot" auf der Augsburger Freilichtbühne: Xavier Moreno (Calaf), Sally du Randt (Turandot) und die Augsburger Domsingknaben.
    "Turandot" auf der Augsburger Freilichtbühne: Xavier Moreno (Calaf), Sally du Randt (Turandot) und die Augsburger Domsingknaben. Foto: Jan-Pieter Fuhr

    Zwölf Jahre mussten vergehen, bis das Staatstheater Augsburg wieder eine Oper auf der Freilichtbühne angesetzt hat. Jene Gattung, die früher den Primat bildete auf der in den historischen Wallanlagen gelegenen Bühne, eine Perle unter ihresgleichen. Elf Sommer hindurch war dieser stimmungsvolle Ort ausschließlich mit Musical bespielt worden, aus dem simplen Grund, weil das populäre Genre jede Menge Publikum verspricht und somit eine Menge "cash", weshalb die "cow" also nicht ordentlich melken? Auch in diesem Jahr will man sich das nicht entgehen lassen (ab 6. Juli gibt's "Sister Act"), doch eben auch endlich wieder Oper machen. Mit einem Stück, das zu den festen Größen des Freiluftmusiktheaters gehört: Giacomo Puccinis "Turandot".

    Massenszenen im Alten China, eine schillernd-grausame Prinzessin, ein furchtloser und letztlich glückhafter Bewerber um ihre Gunst – das ist der Stoff, der Puccinis letzte, unvollendet gebliebene Oper (man spielt in Augsburg die landläufige gekürzte Komplettierung von Franco Alfano) so tauglich macht für Freiluftaufführungen, die nun mal immer ein besonderes Augenmerk auf die Schauseite legen. Das weiß auch André Bücker, Intendant des Staatstheaters Augsburg und Szenograf der "Turandot", und so belässt er der Geschichte ihren märchenhaft-exotischen Charakter. Freilich nicht, ohne die traumgleich-fremdartige Grundierung mit einem zeitgemäßen Lack zu überziehen und das Märchen in Fantasy zu verwandeln, wie es die Kino- und Serien-Strategen tun, wenn sie in wildem Synkretismus Antike und Mittelalter mit Comic und Fiction, Dystopie und Queerness zusammenmixen.

    Der Henker schwingt ein monströses Hackebeil

    So tauchen denn auf der Freilichtbühne, für deren Gestaltung Karel Spanhak nur verhalten Anleihe bei Chinoiserien wie einem Tempel-Portikus nimmt, Gestalten auf, die gut und gern auch einem "Herr der Ringe"-Seitenstrang entstammen könnten. Die Wachen des Kaiserpalasts tragen mit Totenköpfen behaftete Gewänder, der Chor der Kinder – verkörpert von den Augsburger Domsingknaben – wirkt mit seinen weißen Masken und grauen Kitteln wie eine geknechtete Sklavenschar, und der im Stück wiederholt sein monströses Hackebeil schwingende Henker mutet in latexglänzender Muskelkluft und pechschwarzer Lockenmähne an wie von der Rockband Kiss entlaufen. Femininer, doch genauso verwegen hat Aleksandra Kica (Kostüme) die drei kaiserlichen Minister Ping, Pang, Pong ausstaffiert, mit Fächer, High Heels und durchbrochener Spitze.

    Rätsellösung auf der Augsburger Freilichtbühne: Xavier Moreno (Calaf) und Sally du Randt (Turandot) in Puccinis letzter Oper.
    Rätsellösung auf der Augsburger Freilichtbühne: Xavier Moreno (Calaf) und Sally du Randt (Turandot) in Puccinis letzter Oper. Foto: Jan-Pieter Fuhr

    Und doch dient das alles nicht nur der visuellen Opulenz, sondern geht in seiner exotisch-fantastischen Anmutung auch stimmig zusammen. Der kühne aufklärerische Regie-Gedankenflug bleibt zwar hier einmal im Hintergrund – die "Gesichtslosigkeit" und Uniformität der Schergen, die im Bann der absoluten Macht stehen, ist durchaus gesellschaftskritisch –, dafür aber setzt André Bücker in ausgewählten Momenten kleine akzentuierende Lichtpunkte. Etwa, wenn die den Prinzen Calaf liebende Sklavin Liù sich nicht entleibt mit einem Schergen-Messer, sondern den Stahl aus Turandots Gewand hervorzieht, die solches wohl für den Fall persönlicher Niederlage parat hatte. Überhaupt Turandot, die keinen ihrer Bewerber erhört, sie vielmehr dem Tod überantwortet und die nun doch dem rätsellösenden Calaf nahekommen muss: Bücker zeigt sie nicht als Frau, die librettogerecht dem Mann am Schluss in die Arme sinkt, sondern als Überwältigte, deren Skepsis und Distanz über den Schluss der Oper hinaus ersichtlich bleibt.

    Die Eisprinzessin Turandot mit hellblauem Haar

    Die Partie der Turandot verlangt, unter sängerischen Gesichtspunkten, eigentlich eine Hochdramatische. Eine solche aber ist Sally du Randt keineswegs, jedenfalls nicht vom Volumen her. Wie die Sopranistin sich dennoch in diese Rolle wirft, nötigt Bewunderung ab, auch weil es Konzentrat einer langen Bühnenerfahrung ist. Immer bleibt die Stimme kontrolliert und schlank geführt, auch wenn für die Erzeugung des nötigen Durchschlags die Mikrofonierung vielleicht hie und da hilfreich ist. Aber wie Sally du Randt die lange "In questa reggia"-Auftrittserzählung gestaltet, wie sie als Eisprinzessin (die Haare hellblau gefärbt!) dennoch untergründige Emotion erkennen lässt, wie sie sich von Phrase zu Phrase mehr zu loderndem Abwehrfeuer hinaufschraubt, kulminierend in den gestochen gesetzten Drei-Rätsel-Spitzen, das zählt zu den Höhepunkten der Aufführung – auch, weil Sally du Randt im Bühnenspiel das passende darstellerische Format dazu hat.

    Überhaupt eine – fast ausschließlich hauseigene - Besetzungsliste, die kaum Wünsche offenlässt. Den Rollen-Gegenpart zu Turandot bildet Liù, deren liebend-altruistischen Wesenskern Jihyun Cecilia Lee mit Farben voller Wärme und packenden lyrischen Aufschwüngen anrührend hervorzuhaben vermag. Verbleibt die dritte Stimme, die maßgeblich zum Erfolg von "Turandot" beizutragen hat: Prinz Calaf, bei Xavier Moreno (als einzigem Gastsänger) in allerbesten Händen. Die Partie benötigt Kraft nicht weniger als Schmelz der Stimme, und Moreno verfügt über beides. Fulminant sein "Nessun dorma", nicht weil er den Spitzenton bei "vincero" lange halten kann, sondern weil ihm dies und anderes ohne jede Schmettermühe gelingt. Klasse! Das hohe sängerische Niveau vervollständigen Wiard Witholt, Claudio Zazzaro und Roman Poboinyi als mal quirliges, mal schmachtendes, immer homogenes Minister-Trio sowie Avtandil Kaspeli (Timur), László Papp (Mandarin) und Oliver Scherer (Altoum).

    Und natürlich der Chor, von Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek nahtlos zusammengeschweißt aus Opern- und Extrachor des Staatstheaters. Hervorragend die aufgepeitschte Stimmung des "Volks" zu Beginn der Oper, die Realisierung der Steigerungen, aber auch – hier sind die Domsingknaben zu rühmen – die besänftigten Momente wie der Aufgang des Mondes. In Sachen Puccini immer eine Bank: Domonkos Héja, Augsburgs Generalmusikdirektor, der mit seinen kraftvollen und doch variabel agierenden Philharmonikern maßgeblich verantwortlich ist für die hitzige Temperatur des Stücks, die lyrischen Atempausen. Allseitiger Beifall am Ende für diese Rückholung der Gattung Oper auf die Freilichtbühne: Die wird man doch nicht gleich wieder lange Jahre verabschieden wollen?

    Info: Fünf weitere Aufführungen bis 18. Juli.

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