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Oliver Brunner will das Stadttheater Ingolstadt öffnen

Interview

Ingolstädter Intendant Oliver Brunner: „Bis zur Pause darf es maximal zwei Stunden dauern“

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    Oliver Brunner leitet seit der Saison 2024/25 das Stadttheater Ingolstadt.
    Oliver Brunner leitet seit der Saison 2024/25 das Stadttheater Ingolstadt. Foto: Hannes Rohrer

    Herr Brunner, Sie sind der neue Intendant des Stadttheaters Ingolstadt. Was bedeutet es, Programm für ein Stadttheater im Jahr 2024 zu machen?
    OLIVER BRUNNER: Zuerst ist wichtig, den Namen ernst zu nehmen. Wir machen Theater in einer Stadt für diese Stadt. Und das weite ich dann noch: mit der Stadt. In Darmstadt, meiner vorigen Station, haben wir angefangen, auch mit Laien zusammenzuarbeiten – mit Recherche- und Stadtprojekten sowie Stadtspaziergängen. Dadurch haben wir uns als Haus geöffnet und Vertrauen und Zugänglichkeit geschaffen.

    Wie sieht das denn konkret aus?
    BRUNNER: Wir haben einen Regisseur, Volker Schmidt, damit beauftragt, ein Projekt mit der Stadt umzusetzen. Er recherchiert seit drei Wochen, hat sich bereits mit vielen Menschen vernetzt, etwa mit migrantischen Vereinen, mit Jugendclubs. Aus diesen Erfahrungen, Begegnungen und Informationen wird er eine Geschichte schreiben. Thema sind die Leerstände in Ingolstadt. Wie nutzt man diese Räumlichkeiten? Bleibt der Raum jetzt dunkel? „Lücke zum Glück“ heißt das Projekt. Es ist für uns ein wichtiger Bestandteil im Spielplan. Auf diese Weise kommen wir mit dem Theater an Menschen, die uns sonst nicht besuchen: Stichwort „Schwellenangst“.

    Die Stadtgesellschaft soll auch Akteur werden. Was heißt das?
    BRUNNER: Die Stadtgesellschaft wird nicht nur befragt, sie wird auch mitspielen. Der Regisseur wird Texte auch für Menschen aus der Stadtgesellschaft schreiben. Sie spielen sich selbst, aber geschützt hinter einer Rolle. In dieser Produktion werden Laien mit Ensemblemitgliedern gemeinsam auftreten.

    Ihre letzten drei Stationen lauteten Augsburg, Darmstadt und nun Ingolstadt. Müssen Sie da auf unterschiedliche Themen und Gemengelagen reagieren? Oder gleichen sich die Probleme?
    BRUNNER: Unser Verfahren gleicht sich. Wir wollen uns den Ist-Zuständen einer diversen Stadtgesellschaft annähern. Unser Leitfragen sind: Wer erzählt von oben, also der Bühne herab? Und was wird erzählt? In den letzten Jahren bin ich dabei noch entschiedener geworden. Wir fragen zuerst, was der Gegenstand ist, von dem wir erzählen. Wenn wir einen Klassiker auf die Bühne bringen, überprüfen wir ihn auf transportierte Menschenbilder, Werte und Normen, aber auch unmittelbare Zugänglichkeit hin. Heutzutage können wir als Theatermacher nicht mehr davon ausgehen, dass unsere Zuschauerinnen und Zuschauer sich einen Schauspielführer durchlesen. Wir müssen unmittelbar Theater erzählen.

    Was heißt das zum Beispiel für eine Produktion wie „Hamlet“, die am Samstag bei Ihnen Premiere hat?
    BRUNNER: Für den „Hamlet“ haben wir keine Fremdtexte genutzt, es ist der reine Shakespeare in einer Übersetzung. Wir haben das Stück gerafft, es gibt ein paar inhaltliche Schlenker weniger, wir bleiben stärker am Haupthandlungsstrang. Wir haben eine Figur komplett gestrichen, andere zusammengelegt. Der „Hamlet“ bei uns wird insgesamt eine Stunde 45 Minuten dauern.

    Wie läuft das in der Kommunikation mit der Regie?
    BRUNNER: Wir geben es vor. Wir engagieren einen Regisseur und sein Team und erörtern gewisse Fragestellungen vorab. Wir geben dem Team die Freiheit, den Stoff so zu erzählen, wie es möchte. Aber ich würde intervenieren, wenn das Team zum Beispiel einen Fünf-Stunden-Abend mit zwei Pausen daraus machen möchte.

    Was wäre schlimm daran?
    BRUNNER: Die Notwendigkeit dafür müsste mir begründet werden. An diese langen Theaterabende glaube ich nicht mehr. Die Sehgewohnheiten haben sich verändert. Das Längste, was ich gemacht habe, sind drei Stunden mit Pause. Dann ist die Aufmerksamkeit des Publikums erschöpft. Bis zur Pause darf es maximal zwei Stunden dauern, sonst werden die Zuschauerinnen und Zuschauer unruhig. Das hat sich verändert.

    Wie lange läuft die Vorbereitung auf die Intendanz-Übernahme in Ingolstadt eigentlich schon?
    BRUNNER: 20 Monate jetzt.

    Wie haben Sie in dieser Zeit die öffentlichen Diskussionen ums Ingolstädter Theater wahrgenommen?
    BRUNNER: Als das Bürgerbegehren gegen die Kammerspiele lief, waren wir noch nicht ernannt. Das habe ich nur von außen mit Verwunderung verfolgt. Als wir in der Vorbereitung waren, hat sich die Stadt selbst überholt. Wir haben jetzt als Ausweichspielstätte für die Zeit der Sanierung das Holztheater bekommen, das schon da ist in der Stadt. Das ist die beste Ausweichspielstätte, die wir uns vorstellen können. Ein Zelt hätte ich nicht so toll gefunden. Es ist jetzt zwei Jahre zu früh da, weil wir es erst richtig in Betrieb nehmen können, wenn wir mit der Sanierung des Großen Hauses starten. Eine neue Spielstätte können wir nicht zusätzlich aufmachen. Erst wenn das Equipment vom Großen Haus frei wird, können wir umziehen. Trotzdem wollen wir in dieser Spielzeit zweimal das Holztheater bespielen.

    Wann wird das Holztheater richtig in Betrieb genommen?
    BRUNNER: Offiziell in Betrieb nehmen wir es, sobald wir dort unser Repertoire-Theater spielen. Das geschieht, sobald wir in die Sanierung gehen. Ich hoffe, dass das in der Spielzeit 2026/27 ist.

    Wie politisch soll Ihr Ingolstädter Stadttheater in diesen politischen Zeiten sein?
    BRUNNER: Gerade in dieser Zeit muss das Theater politisch sein. Wir haben unsere Saison mit einer interkulturellen Kampagne gestartet. Wir haben recherchiert, wie viele Sprachen in der Stadt gesprochen werden.

    Wie viel sind es?
    BRUNNER: 23 Sprachen. Wir haben in 23 Sprachen in der entsprechenden internationalen Schrift die Menschen begrüßt und ihnen gesagt, dass wir uns auf die Menschen freuen. Das hing den ganzen Sommer über in der Stadt.

    Haben sich auch breitere Kreise von der Kampagne ansprechen lassen und sind zum Spielzeitauftakt gekommen?
    BRUNNER: Vor allem zur ersten Produktion im Kleinen Haus, dem Liederabend „Istanbul“, stellen wir das fest. Das Experiment heißt: Was wäre gewesen, wenn in den 1970er Jahren die deutschen Gastarbeiter geholfen hätten, für Wirtschaftswachstum in der Türkei zu sorgen. Der Abend ist zweisprachig. Die türkische Community hat das sehr gut aufgenommen.

    Wie und wo sieht sich das Stadttheater Ingolstadt politisch? Ist es links?
    BRUNNER: Theater ist eine Schule der Empathie und der Demokratie. Was mir historisch wichtig an Ingolstadt ist, was ich feiere, dass in Ingolstadt die Illuminaten gegründet worden sind. Sie hatten den Spruch der französischen Revolution mitgeprägt: Freiheit, Gleichheit, Solidarität. Das ist etwas, was wir uns auf die Fahnen schreiben. Die Solidarität auch für die anderen Themen, nicht nur die Kanon-Themen. Wir wollen die vermeintlich kleinen Themen erzählen, auch ihnen eine Bedeutung beimessen. Und na klar können wir nicht nur Stücke spielen, die alle abnicken, wir wollen auch provozieren, damit wir Denkprozesse auslösen.

    Zur Person

    Oliver Brunner, geboren 1969 in Hann. Münden (Landkreis Göttingen), studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Danach war er Regieassistent an den Münchner Kammerspielen, wird später Künstlerischer Direktor und Stellvertreter des Intendanten am Bayerischen Staatsschauspiel. Von 2011 bis 2016 war Brunner am Theater Augsburg. Dann wechselt er als Schauspieldirektor an das Staatstheater Darmstadt. Seit 2024/25 ist Oliver Brunner Intendant des Stadttheaters Ingolstadt und bildet zusammen mit Oberspielleiterin Mirja Biel, Chefdramaturgin und Stellvertreterin in künstlerischen Fragen Sonja Walter und Julia Mayr, Leiterin des Jungen Theaters, ein künstlerisches Leitungsteam.

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