Auf einer Party des Unternehmers Harald Christ in Berlin hat Bundeskanzler Olaf Scholz den Berliner Kultursenator Joe Chialo, Sohn einer tansanischen Diplomatenfamilie, als „Hofnarren“ bezeichnet. Und nun ist die Aufregung groß — so groß, dass der SPD-Politiker mittlerweile sogar die Promi-Kanzlei Schertz Bergmann eingeschaltet hat, um sich gegen Rassismus-Vorwürfe zur Wehr zu setzen. Scholz geht gegen die Berichterstattung des Focus juristisch vor, die ihm beim Gebrauch des Wortes „Hofnarr“ ein mögliches rassistisches Motiv unterstellt hatte. Nicht bestritten wird allerdings, dass der Bundeskanzler Chialo tatsächlich einen „Hofnarren“ genannt hat. Bei Focus lautet das Zitat: „Jede Partei hat ihren Hofnarren“. Um zu verstehen, warum das alles so kurz vor der Wahl so hohe Wellen schlägt, lohnt sich ein Blick in die Geschichte.
Heute bewegen sich Narren nicht mehr am Hof, es gibt ja keine Herrscherhöfe mehr, sondern auf der Straße. Sie haben eine eigene Jahreszeit, die Fünfte, feiern Fasching, Karneval, Fasnacht. Historisch hatten die Hofnarren ihre Zeit vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert an verschiedenen europäischen Höfen - mit Narrenkappe oder Zepter ausgestattet. Mitunter wurden dafür auch kleinwüchsige Menschen herangezogen oder „am Hof gehalten“, wie dazu gesagt wurde. Die Herrscher hielten sich eine Entourage, und zum Teil gingen die Hofnarren sogar in die Kunstgeschichte ein: Der spanische Hofmaler Velazquez hat etwa den Hofnarren und Kleinwüchsigen Juan de Calabazillas im Porträt festgehalten.
Die Hofnarren konnten die Wahrheit sagen
Gerade dort, am spanischen Hof, fanden sich besonders viele kleinwüchsige Menschen. Gerade dort war das Hofzeremoniell besonders streng. Auf Velazquez-Bildern werden denn auch die Herrscher-Kinder öfter zusammen mit Kleinwüchsigen dargestellt. Denkbar, dass die Hofnarren dort am Hof die Möglichkeit hatten, Freiräume zu schaffen und das Zeremoniell zu durchbrechen - und auch für Kinder ein lebenswertes Umfeld zu erzeugen.
Das Bild des Hofnarren ist also doppeldeutig: Hier der Späßemacher, der Unterhalter, mitunter auch die Figur, über die man sich am Hof lustig macht. Dort derjenige, der als einziger die Wahrheit sagen kann, der Redefreiheit hat. Damit stattete zum Beispiel Kaiser Maximilian I. seinen Berater Kunz von der Rosen aus. Wobei dieser Kunz wohl auch Späße am Hof machte, aber keine Narrenkappe und auch keine Schellen trug.
Bei Shakespeare sagt der Narr König Lear die Wahrheit
Einen Hofnarren hält man, ein Hofnarr ist unfrei, wahrscheinlich auch deshalb wird das Wort abwertend benutzt. Ein Mensch, dem man nicht viel Eigenständigkeit zutraut. Doch wer in dieser Weise denkt und den Begriff abwertend benutzt, läuft schnell Gefahr, dass ihm das auf die eigenen Füße fällt. Denn oft genug erweist sich der Narr am Ende als der Überlegene. Bei Shakespeare tauchen gleich zwei große Figuren auf, Yorick im „Hamlet“, von dem aber nur berichtet wird, und der Narr im „König Lear“, der dem Lear auf den Kopf weg zusagt, was dieser nicht wahrhaben will: die Intrige seiner Töchter. Wie heißt es im Volksmund so schön: „Kinder und Narren sagen die Wahrheit.“ Und beim polnischen Lyriker Stanislaw J. Lec heißt es: „Immer schon haben die Narren am Sockel des Throns gesessen. Deshalb sahen sie auch als erste, wenn er zu wackeln anfing.“
Am Hof war der Hofnarr das Gegenstück zum Herrscher. In ihm haben die Herrscher gesehen, dass die Herrschaft auch schnell beendet sein kann und sie selbst nur noch als Narren - und nicht mehr als Autorität - wahrgenommen werden. Der letzte bayerische Hofnarr hieß übrigens Georg Pranger, er starb am 6. November 1820. Auf seinem Grab im Alten Südfriedhof in München steht „Prangerl/ Musiker und / Volkstümlicher/ Kurfürstlicher/ Hofnarr“.
Jetzt hat der Bundeskanzler die alte Figur verbal wiederbelebt, wobei der Berliner Kultursenator Joe Chialo bislang nicht für seine Späße bekannt war. Die rigide Sparpolitik in der Kultur in Berlin nehmen ihm die Kulturschaffenden übel. Gut möglich aber, dass dem Bundeskanzler jetzt auf die Füße fällt, was auch anderen früher geschehen ist: nämlich abfällig vom Hofnarren zu sprechen. Zumal es einige Beispiele in der Geschichte gibt, in denen die Hofnarren wegen ihrer körperlichen Merkmale ausgestellt und vorgeführt worden sind, etwa die Kleinwüchsigen. Gegen eine solche Interpretation geht Scholz juristisch vor. Politisch wird ihm das wohl nur bedingt helfen.
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