Ihre Geschichte bleibt der Stadt Nürnberg. Im Guten wie im Bösen. Ihr bleiben Dürer und die große kunsthistorische Vergangenheit rund um Buchdruck und Reformation; Aber dann kommt hinzu: Nürnberg als Austragungsort der NS-Reichsparteitage inklusive Beschluss des Gesetzes „zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ 1935 – sowie der Beginn der Aufarbeitung deutscher Verbrechen anhand der Nürnberger Prozesse. Jetzt aber erscheinen diese Nürnberger Prozesse, die im November 1945 gegen die Hauptangeklagten Bormann, Frank, Göring und Heß begannen, durchaus überraschend auf einer Nürnberger Bühne. Und obwohl ein Musical wenig prädestiniert ist für die Auseinandersetzung mit den Folgen von Massenmord, wagt es ein Nürnberger Verein, das Musicalnetzwerk, rund 70 Mitglieder stark, dennoch. Premiere: diesen Samstag unter dem Titel „Nuremberg ‘45 – Aufbruch in eine neue Zeit“.
Die Nürnberger Prozesse lasten auf der Liebe von Lilli und Will
Produzent ist der Schauspieler und Kabarettist Christoph Ackermann, der das Thema vorschlug, die Fäden in der Hand hält und auf der Bühne agieren wird: als Robert H. Jackson, US-Chefankläger der Prozessen. Durch ihn wird das Musical auch appellierend ausklingen – während das Paar, das sich kriegt in „Nuremberg ‘45“, auf und davon fliegt nach New York: Lilli, ein Nürnberger Trümmer-Mädchen, und Will, ein US-Reporter, haben sich gegen Widerstände gefunden vor dem Hintergrund der Prozesse, die im Tagesgespräch lasten auf der jungen Liebe. Dass 1945 zwölf NS-Jahre und sechs Jahre Krieg vorbei sind, wird unmissverständlich deutlich: Lillis Bruder Georg kam aus dem Krieg mit Beinverletzung zurück, der Vater fiel sowieso und Mutter Irmgard ist als ehemaligem NSDAP-Mitglied der Lebenstraum eines Tausendjährigen Reichs abhanden gekommen. Verhärmt giftet sie wie andere auch über den Prozess der Amerikaner: „Machtdemonstration“, „Siegerjustiz“. Sie wird wohl nichts mehr dazu lernen. Sie gehört zum Dunklen von „Nuremberg ‘45“, Lillis finaler Abflug nach New York mit Will aber zum Hellen. Neue Welt, neues Leben. Goldig.
Nun muss sich freilich der Komponist Philipp Polzin eine polemische Frage gefallen lassen. Die Nürnberger Prozesse und das Musical, millionenfacher Mord und eine Liebesgeschichte: Ist das nicht ein wenig wie rohes Hackfleisch mit Schokoladensauce? Die Frage bringt Polzin nicht aus der Fassung. „Polemisch formuliert ist das so, ja“ antwortet er. Der millionenfache Mord der Nationalsozialisten sei unfassbar, gar nicht adäquat behandelbar. Gleichzeitig gelte aber, dass nach dem Krieg der Alltag der normalen Menschen weiterging. Polzin: „Wir stellen extreme Kontraste gegenüber.“
„Nuremberg ´45“ endet mit einem Blick in die Zukunft
Bleibt offen: Müsste dieses Musical nicht doch in einem Klagegesang enden, weil trotz Nürnbergs heutigem Titel „Stadt der Menschenrechte“ genau diese Menschenrechte vielerorts weiter mit Füßen getreten werden? Auch da konzediert Polzin: „Aus heutiger Sicht ja. Allerdings enden wir 1946, und wir wollen die Wichtigkeit von Nürnberg damals feiern.“ So spricht der Komponist, der dann aber doch in der Produktion weit über 1946 hinausblicken lässt. Kurz vorm Finale soll noch einmal der US-Chefankläger zu Wort kommen, nun sich ans Publikum wendend: „Die Nürnberger Prozesse wurden zum Wendepunkt der Rechtsgeschichte. Zum ersten Mal gab es einen rechtsstaatlichen internationalen Strafprozess. Erst 2002, mehr als 50 Jahre später, nimmt das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag seine Arbeit auf und setzt das Erbe von Nürnberg fort. Vor Gericht stehen die Verantwortlichen für das Massaker von Srebrenica, den Völkermord in Ruanda und in Zukunft die Mörder von Butscha.“
Aufführungen im Nürnberger Heilig-Geist-Saal, Hans-Sachs-Platz 2, zwischen 30. November und 12. Januar 2025.
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