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Han Kang: Erste Südkoreanerin gewinnt Literaturnobelpreis

Nobelpreise

Überraschung! Die Südkoreanerin Han Kang erhält den Literaturnobelpreis

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    Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang. (Archivfoto)
    Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang. (Archivfoto) Foto: Lee Jin-man/AP

    Eine Frau entschließt sich von einem Tag auf den anderen, kein Fleisch mehr zu essen. Sie habe einen Traum gehabt, erklärt sie ihrem Mann und der muss nun mit der kargen Erklärung – und aus seiner Sicht auch mit kargem Mahl leben: Bataviasalat, Sojapaste mit Kimchi und einer Algensuppe zum Beispiel. Besonders ärgerlich daran: „Ihr frittierter Schweinebauch in einer Marinade aus Ingwer und Sirup war ein Gedicht.“ Den gibt es nun nicht mehr und der Mann kommt ins Zweifeln. „War sie etwa doch nicht die durchschnittlichste Frau der Welt, die zu finden ich mir so viel Mühe gegeben hatte?“

    Mit dieser Geschichte, in der eine Frau sich in einem subversiven Akt gegen ihren Mann, ihre Familie und die konformistisch und patriarchalisch strukturierte Gesellschaft richtet, schließlich zur Pflanze mutiert, betrat die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang 2016 die internationale literarische Bühne. „Die Vegetarierin“ ist ein umwerfender Roman, der mit seiner eigentümlichen Schönheit auch fern jeglichen Durchschnitts ist – und im besten Sinne verstört, wie es nur große Literatur vermag. Das Buch, damals bereits neun Jahre alt, erhielt für die englische Übersetzung den Man Booker Internationale Prize, sorgte für Furore und machte die bis dato nur in Südkorea gefeierte Autorin zum weltweit gelesenen Literaturstar – den dann am Donnerstag aber nur die wenigsten auf der Rechnung hatten. Eine große Überraschung also, als kurz nach 13 Uhr die Schwedische Akademie in Stockholm sie als neue Literaturnobelpreisträgerin bekanntgab. Ausgezeichnet werde Han Kang „für ihre intensive poetische Prosa, die sich historischen Traumata stellt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenlegt“, wie der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, bei der Preisbekanntgabe sagte. Han Kang ist die 18. Frau, die den Literaturnobelpreis erhält und die erste Autorin aus Südkorea. „Die Akademie hat eine glückliche Hand bewiesen“, kommentierte kurz danach der deutsche Literaturkritiker Denis Scheck die Nachricht. Sie sei eine absolut nobelpreiswürdige Autorin.

    Han Kang erhielt die feierliche Nachricht am Abendtisch

    Als Han Kang die feierliche Nachricht erhielt, saß sie gerade am Abendtisch mit ihrem Sohn. Die frohe Kunde treffe sie gänzlich unerwartet, schilderte die 53-Jährige dem Akademiesprecher Mats Malm am Telefon. Nicht nur sie. Nach der Bekanntgabe brach die Website des führenden Online-Buchhändlers in Südkorea wegen der immensen Nachfrage zusammen. Mit dem Gewinn des Literaturnobelpreises steigt die Autorin endgültig zur populärsten Autorin ihres Heimatlandes auf. Geboren wurde sie in der südlichen Stadt Gwangju, mit neun Jahren zog die Familie in die Hauptstadt Seoul. Han wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf, ihre Jugend war geprägt von etlichen Umzügen und Schulwechseln. Die einzige Konstante in jener Zeit, das erzählt sie später in Interviews, waren die Bücher. Ihr Vater, der 1939 geborene Han Seung-won, ist ebenfalls Autor. Tagsüber unterrichtete er als Lehrer, abends saß er laut Han bis tief in die Nacht vor seiner Schreibmaschine.

    In Seoul besuchte Han Kang schließlich die renommierte Yonsei Universität, wo sie koreanische Literatur studierte. Erste Gedichtpublikationen folgten Anfang der 90er Jahre, später wandte sie sich der Prosa zu. Zehn Jahre unterrichtete sie Kreatives Schreiben am Seoul Institute of the Arts, seither lebt sie als freie Schriftstellerin in der südkoreanischen Hauptstadt. Ihr Werk behandelt oftmals dunkle Themen. Es geht um Schmerzerfahrungen, Traumata und psychische Grenzerfahrungen. Nicht selten zeichnet Han Kang in ihren Romanen ein kritisches Bild der patriarchal geprägten Gesellschaft ihres Heimatlandes und ihrer turbulenten Geschichte.

    Im Bücherschrank des Vaters entdeckte sie versteckt ein Buch mit Fotos des Massakers

    Eingang in ihr literarisches Werk fand auch das Massaker von Gwangju. Vier Monate, nachdem ihre Familie weggezogen war, wurde dort ein Studentenaufstand gegen das damalige Militärregime gewaltsam niedergeschlagen. Über das Massaker durfte in Südkorea offiziell nicht gesprochen werden, im Bücherschrank fand die junge Han Kang aber ein Buch mit Fotos der Opfer, das ihr Vater dort versteckt hatte. Sie habe damals ein Bild eines jungen Mädchens entdeckt, dessen Gesicht von einem Bajonett aufgeschlitzt war. „In diesem Augenblick zerbrach etwas in mir, etwas Zartes, von dem ich gar nicht wusste, dass es da gewesen war“, sagte sie im Interview mit der Zeit.  Im Jahr 2014 erschien in Südkorea „Sonyeoni onda“ (“Menschenwerk“), darin fasste sie das kollektive Trauma in eine literarische Form.

    Han Kang kämpfte mit einer Schreibblockade, sagt dennoch: „Schreiben ist auch mein Glück“

    In ihrem Heimatland gilt Han Kang seit Jahren bereits als am meisten gelesene Autorin. Etliche heimische Literaturpreise konnte sie gewinnen, darunter 1999 den Korean Novel Award. Ende der Nullerjahre hatte Han mit einer Schreibblockade zu kämpfen, die sie wie aus dem Nichts ereilte, und die sie nur mit meditativer Geduld überwinden konnte. Es wirkt, als ob sie in ihrem Werk oft um Worte ringen muss. Dennoch sagt sie über ihre Existenz als Schriftstellerin: „Schreiben ist auch mein Glück“.

    Glück, das wird sicher auch Deborah Smith aus Cambridge gestern gespürt haben. Dass der Roman „Die Vegetarierin“ international bekannt wurde, ist im Grund ihr als begeisterter Leserin zu verdanken. Sie nämlich übersetzte damals das Werk ins Englische, suchte nach einem Verlag und der reichte es schließlich für den Man Booker Prize ein. In Deutschland erscheinen ihre Werke im Aufbau-Verlag, zuletzt das Langgedicht „Weiß“ und der Roman „Griechischstunden“. Dort wurde am Donnerstag nach der Bekanntgabe gejubelt: Man sei überglücklich. Sie sei „eine der kraftvollsten und eigenständigsten Stimmen der Weltliteratur“, sagte die Leiterin der Literaturabteilung der Aufbau Verlage in Berlin, Friederike Schilbach. „Es gelingt ihr, die gewaltigsten Themen durch ihre poetische Sprache erzählbar zu machen. Das Zärtliche verbindet sie mit dem Revolutionären und schafft so Literatur, die nur sie so schreiben kann.“ (mit dpa)

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