Nun, da sich der Pulverdampf gelegt hat, ist es Zeit, die Sache zwei Spuren nüchterner zu betrachten.
Die Sache? Als vor einigen Wochen in Salzburg das neue Köchel-Verzeichnis vorgestellt wurde, also Mozarts Werkverzeichnis in – erstmals seit 60 Jahren – wissenschaftlich neu bearbeiteter Auflage, da trumpfte die Federführung in Gestalt der Internationalen Stiftung Mozarteum und des Verlags Breitkopf & Härtel mit der Uraufführung einer frühen Mozartkomposition auf, die in den Leipziger Städtischen Bibliotheken entdeckt worden sei. Ein Name für das Werk wurde in Anlehnung an eine berühmte Komposition Mozarts, „Eine kleine Nachtmusik“, schnell gefunden: Sie wird künftig nicht ganz grundlos, aber auch nicht bewiesen, unter dem Titel „Ganz kleine Nachtmusik“ geführt.
Uraufführung – Mozartkomposition – Entdeckung – Ganz kleine Nachtmusik: Damit macht man Staat. Die Vorstellung des neuen Köchel-Verzeichnisses war aufgewertet; die Medien bis hin zur Tagesschau hatten eine Überraschung, wenn nicht eine Sensation: Das Magazin Spiegel schrieb gar von einem „bislang unbekannten Hit“ Mozarts. Und in Leipzig wurde das Stück in Anlehnung an Mozarts „Eine kleine Nachtmusik“ so bearbeitet, dass es klanglich noch ein bisschen mehr hermacht: Aus einem Trio namens „Serenata ex C“ für zwei Violinen und Bass wurde eine Kammerorchesterfassung erstellt, die das Gewandhausorchester unter Herbert Blomstedt aufnahm.
So viel zur Beförderung einer hauptsächlich beschwingten, tänzerischen, zwölfminütigen Musik in sieben Miniatursätzen.
Letzte Zweifel an Mozarts Autorschaft bleiben
Nun zur Nüchternheit: Das Manuskript der „Serenata ex C“ war nicht unbekannt, allenfalls unbeachtet. Es ruhte katalogisiert unter dem Namen Wolfgang Mozart als eine Kopie oder Abschrift aus dem Jahr 1780 in der Sammlung Carl Ferdinand Becker in der Städtischen Bibliothek Leipzig. Keine Entdeckung also wurde gemacht, sondern von unbekannter Hand geschriebene Noten verifiziert und im neuen Köchelverzeichnis aufgenommen – und zwar „sehr wahrscheinlich“ mit der Autorschaft Mozarts, aber immer noch als ein „zweifelhaftes“ (Jugend-)Werk von ihm, für seine Schwester wohl spätestens 1769 geschrieben. Das neue Köchelverzeichnis endet offiziell mit KV 626, dem Requiem; dann kommt der Anhang mit der zweifelhaften Serenata als KV 648.
Und der Rang der „Uraufführung“ und der griffige Titel „Ganz kleine Nachtmusik“? Kein Mensch kann wissen, ob das Trio zu Lebzeiten Mozarts – oder später – (ur)aufgeführt wurde oder nicht. Andersherum gesagt: Da schreibt ein Komponist ein Stück und trachtet nicht danach, es zu hören? Zumal in kleiner Besetzung? Ungewöhnlich. Was nun aber den Namen der Komposition anbelangt, so ist diese abgeleitet worden von einem Brief Nannerls, der Schwester Mozarts, die im Jahr 1800 an Breitkopf & Härtel schrieb: „Auch habe ich eine ganz kleine Nachtmusick bestehend in 2 violin und Basso, da es aber eine sehr simple composition, die er in sehr fruheren Jahren gemacht hat ist, so getrauete ich mir nicht solche zu schicken, da sie mir zu unbedeutend schienen.“
So Nannerl. Keine superlativischen Worte. Aber ob sie wirklich die nun als KV 648 eingereihte Serenata betreffen, weiß die Wissenschaft auch nicht so genau. Sie können ebenso eine andere (verschollene) Nachtmusik Mozarts betreffen oder eine Cassation seiner Hand. Man sieht, wohin man blickt: Fragen, Unschärfen, keine Sensation. Wer die erste Aufführung nach wohl langer Zeit der „Serenata ex C“ hören und sehen möchte, der sei auf Youtube verwiesen: „Weltpremiere KV 648“.
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