Es gibt da diesen elsässischen Flammkuchenbäcker. Man sieht ihn einmal im Jahr bei einem großen Sommerfestwochenende mit Freunden, und exakt genauso häufig, also wirklich immer, erzählt der nicht mehr junge Mann diesen einen Witz. Darin geht es um eine Nonne, eine Katze und ein Schüsselchen mit Milch, im Detail soll das jetzt mal unausgeführt bleiben, und nun ja, der Witz ist einiges, vor allem frauenfeindlich und sexistisch, nur lustig ist er nicht. Und er wird jedes Jahr ein bisschen peinlicher.
Ist Eminem ein schlecht alternder Rapper?
Eminem, bürgerlicher Name Marshall Bruce Mathers III, ist der elsässische Flammkuchenbäcker des Hip-Hops. Der Mann, in kaputten Verhältnissen bei einer drogensüchtigen und nach seinen Angaben gewalttätigen Mutter sehr arm, wurzellos und als Mobbingopfer aufgewachsen, ist der erfolgreichste Rapper der Geschichte. Hat 220 Millionen Tonträger verkauft, fünfzehn Grammys bekommen, 2022 nahm ihn sogar die eher konservative „Rock and Roll Hall of Fame“ in die eigenen Reihen auf. Der Rapper wird vor allem von Menschen geliebt, die sonst gar nicht so gerne Rap hören. Seine größten Hits heißen „Without Me“, „My Name Is“, „Lose Yourself“ und allen voran „Stan“, jene mörderische Stalker-Phantasie, in deren Zentrum er die sanfte Nummer „Thank You“ von Dido stellte.
Alle diese Songs datieren aus den ersten Jahren des aktuellen Jahrtausends, der letzte richtig durchschlagende Erfolg gelang ihm 2010 mit „Love The Way You Lie“, im Verbund mit Rihanna. In späteren Jahren experimentierte er mit einer etwas milderen, gereiften, irgendwie zur Vernunft gekommenen, sogar – auf dem 2017 veröffentlichten Album „Revival“ – gegen Donald Trump tretenden Version seiner selbst. Aber ins Zentrum des zeitgenössischen Pop schaffte er es mit den jüngeren, gesellschaftskompatibleren Veröffentlichungen nicht mehr, auch wenn Eminem ein Weltstar geblieben ist und womöglich überall auf der Welt ein Stadion füllen könnte.
Eminems Album „Death of Slim Shasy“ scheitert
Aber Eminem, mittlerweile 51 Jahre alt, mag sich nicht mit der Rolle des in die Jahre kommenden Schockrappers begnügen, der gut von seinen Tantiemen lebt und der tatsächlich immer noch von Scharen von Jugendlichen entdeckt wird, zuletzt hievten sie seinen zwanzig Jahre alten Song „Mockingbird“ auf die Marke von 1,5 Milliarden Streams. Was also macht Mathers? Er bietet mit „The Death Of Slim Shady (Coup De Grâce)“ nicht etwa ein selbstironisches oder gar lässiges Alterswerk an. Sondern verhaspelt und verrennt sich bei dem Versuch, noch mal so krass, so derbe, so drastisch, so brutal, so blutrünstig, so gehässig, so gegen komplett alles, was neudeutsch als „woke“ bezeichnet wird, auszuteilen.
Das geht natürlich gewaltig in die Hose. 2024 ist einfach nicht mehr 2002, und es hilft auch nicht, dass Eminem noch einmal Slim Shady, das erprobte Alter Ego für die besonders extremistischen Momente in seinem Schaffen, aus der hintersten Schrankecke geholt hat. Eminem kann machen, was er will, er schockt einfach nicht mehr. Als er groß wurde, waren die Leute Grässlichkeiten aller Art noch nicht so gewohnt wie heute, sie wuchsen noch nicht damit auf, sie waren noch nicht so abgestumpft. Sie kannten auch noch kein TikTok. Eminem geht es künstlerisch ähnlich wie den Zeitgenossen Rammstein oder Marilyn Manson, die längst (auch) kreativ vor die Wand gefahren sind.
In seinen Song wütet Eminem gegen Transmenschen
Inhaltlich ist das Album eine Zumutung. Ja klar, das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt, und wer weiß schon, wie der wahre Marshall Mathers so drauf ist, kann ja sein, dass der Vater von drei Kindern im normalen Leben ein Supertyp ist. Nur, ernsthaft, was mag wohl sein 22-jähriges Adoptivkind Stevie, das sich seit einigen Jahren als nichtbinär definiert, davon halten, dass der Devil-Daddy in gefühlt jedem zweiten Song gegen trans Menschen wütet? Ob das Stück nun „Antichrist“, „Road Rage“ oder „Habits“ heißt – die heftigen Tritte gegen so vieles, was man als gesellschaftlichen Fortschritt bezeichnen kann, tun selbst dann weh, wenn man sie als ironisch und natürlich-nicht-so-gemeint auffasst.
Wieder und wieder reibt sich der Rapper an den Pronomen „er/sie/es“, am Wort „gay“, am „woken BS“, kurz für „Bullshit“, an der „Political-Correctness-police“. Ja, Marshall, wir haben den Witz verstanden. Und nein, Marshall, er ist nicht lustig. Geradezu obsessiv reibt sich der Rapper an der Transfrau Caitlyn Jenner und am 2004 verstorbenen Schauspieler Christopher Reeve, der nach einem Unfall querschnittsgelähmt war. Auch Menschen, die nicht den körperlichen Vorstellungen von Slim Shady entsprechen, der Sängerin Lizzo etwa, geht es ans Leder.
Slim Shadys böse Zauber wirkt noch immer ein bisschen
Die trostlose textliche Brachlandschaft wissen Eminem, seine gelegentlichen Gaststars wie die Rapper Bizarre, Big Sean oder BabyTron sowie seine zahlreichen Produzenten, unter ihnen wieder Entdecker und Mentor Dr. Dre, zumindest musikalisch hier und da ein bisschen zu bewässern. „Brand New Dance“ klingt nach Party und, ja tatsächlich, guter Laune und ist schön funky. „Tobey“, eine Art Verneigung vor Spider-Man-Darsteller Tobey Maguire, hat so etwas unterschwellig Bedrohliches, die einzige wirkliche Ballade „Temporary“ (gesungen von Skylar Grey) ist eine weitere Liebeserklärung an Tochter Hailie, inzwischen 28 und erfolgreiche Mode-Influencerin. Bei Hailie hörten die hasserfüllten Clownereien also nach wie vor auf, immerhin.
Und auch, wenn man Qualitäten wie Spielfreude, Einfallsreichtum oder einfach die schiere Lust am eigenen Schaffen auf „The Death Of Slim Shady“ schon mit der Lupe suchen muss (ob Slim Shady wirklich das Zeitliche segnet, bleibt übrigens offen) – für einen Tophit hat es nach langer Zeit mal wieder gereicht. „Houdini“ steht in den globalen Charts auf Platz eins, die Nummer läuft selbst im Radio sehr gut. Warum? Sie klingt wie die alten Sachen und basiert auf dem einfach genialen Refrain von Steve Millers 1982er-Hit „Abracadabra“. Sieht also stark danach aus, als sei der böse Zauber von Slim Shady noch immer nicht ganz wirkungslos.
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