Es ist nicht lange her, da trat Oliviero Toscani noch ein letztes Mal im italienischen Fernsehen auf. Abgemagert, schwach, die Stimme dünn. Die unheilbare Krankheit Amyloidose war da schon weit fortgeschritten, die Angriffslust des Patienten aber ungebrochen. „Es sind die Banalitäten, die die Leute aufregen“, sagte der legendäre Modefotograf. Und: „Wenn Kunst nicht provoziert, hat sie keinen Sinn. Sie muss Diskussionen, Interesse, Neugier provozieren!“ So postulierte Toscani, der im Februar 83 Jahre alt geworden wäre. Am Montag starb er in der Toskana.
Provokation, das war die Quintessenz dieses Fotokünstlers, der beinahe im Handumdrehen die Werbefotografie revolutionierte. Legendär wurden seine Werbekampagnen für die italienische Pulloverfirma United Colors of Benetton. Nicht mehr das zu bewerbende Objekt stand im Fokus, sondern soziale Missstände, Krankheit und Tod. Toscani erreichte zweierlei mit seiner Kunst: Die zu bewerbende Firma kam in die Schlagzeilen und wurde weltbekannt. Gleichzeitig wurden soziale Tabus thematisiert. Die Werbung wurde politisch.
Toscani merkte rasch, es kommt auf das innere Auge an
Toscani, geboren 1942 in Mailand, war Sohn eines Fotoreporters. Sein Vater hatte den aufgehängten Diktator Mussolini für den Corriere della Sera fotografiert. Seinem sechsjährigen Sohn schenkte er die erste Fotokamera. Der junge Oliviero merkte bald: Es kommt mehr auf das innere Auge als auf die Technik an. Mit 14 Jahren publizierte er sein erstes Bild – Mussolinis trauernde Witwe Rachele bei der Umbettung des Duce-Leichnams an seinen Geburtsort Predappio.
Toscani lernte an der Kunstgewerbeschule Zürich Grafik und Fotografie. 1973 machte sein erstes Werbe-Foto Furore. Für die Jeans-Firma Jesus setzte er zum Entsetzen einiger Feministinnen einen knackigen Frauen-Po in Jeans und mit der Aufschrift „Wer mich liebt, möge mir folgen“ in Szene. Das wurde im katholischen Italien als Blasphemie aufgefasst. 1992 begann Toscanis Kooperation mit Benetton, er fotografierte als Erster Naomi Campbell und Claudia Schiffer und gestaltete über 150 Cover für Mode-Magazine. Seine Kampagnen in den 80ern und 90ern wurden weltweit Legende.
Mit Toscanis Fotos wurde Benetton zum Weltkonzern
Da war etwa der verbotene Kuss zwischen einem Priester und einer Nonne (1991), die um einen jesusähnlichen Aids-Kranken trauernde Familie - Aids war damals noch ein Tabu. Toscani fotografierte mit Öl verschmierte Vögel oder die blutgetränkten Kleider eines im Bosnien-Krieg gefallenen Soldaten. 2007 sorgte er mit seinem Foto eines Anorexie-kranken Models für Furore. Das 31 Kilogramm schwere Mädchen starb wenig später. Die Tabu-Fotos für Benetton sollten die Betrachter für soziale Themen sensibilisieren – und förderten gleichzeitig das Image der Firma. Benetton wurde, auch wegen der Toscani-Werbung, zum Weltkonzern.
Manchen waren seine Fotografien zu schrill, brachial oder auch zu banal. Als Toscani im Jahr 2000 in einer Benetton-Kampagne eine Reihe von Todeskandidaten in US-amerikanischen Gefängnissen porträtiert, kam es zum Eklat. Firmengründer Luciano Benetton musste sich entschuldigen, 400 Benetton-Läden in den USA wurden geschlossen, auch die Zusammenarbeit Toscani-Benetton endete. Doch bis kurz vor seinem Tod, so erzählte Toscani, habe er zweimal pro Woche mit Luciano Benetton telefoniert. Seine letzte Provokation war die Konfrontation mit dem eigenen Tod. „Leben bedeutet auch zu sterben“, erklärte er in der Zeitung Corriere della Sera. Und doch, so Toscani, wolle niemand über den Tod sprechen.
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