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Foto: Alejandro Bolivar, dpa
Foto: Alejandro Bolivar, dpa

Wayne Shorter zählte zu den Größten an seinem Instrument, dem Saxofon.

Nachruf
03.03.2023

Er schuf sich sein Imperium: Zum Tod des Jazz-Saxofonisten Wayne Shorter

Von Reinhard Köchl

Seine Gefühle presste Wayne Shorter mit Seele und Kraft in das Saxofon. Nun ist das Jazz-Genie, um das sogar Miles Davis buhlte, mit 89 Jahren gestorben.

Beobachtungen am Rande: Als Wayne Shorter 2003 mit seinem Langzeit-Quartett zu den Audi-Sommerkonzerten ins Donaustädtchen Ingolstadt kam und ein abgefahrenes Programm, weit entfernt von allen Erwartungen des Publikums abwickelte, da standen sie da wie pubertierende Fans einer Boygroup; schüchtern, mit roten Bäckchen und – ja, tatsächlich – ihr Idol um Autogramme bittend. Es waren erfahrene, mittelalte, mit allen Wassern des Genres gewaschene, teils mit dem Echo Jazz dekorierte deutsche Jazzmusiker. Vor ihnen war gerade Gott aufgetaucht, der Mann, der in seinem langen Leben das gesamte Genre Jazz auf den Kopf gestellt hatte und mindestens drei Mal Musikgeschichte schrieb; im Miles Davis Quintet, mit seinen eigenen, bahnbrechenden Alben auf dem Label Blue Note sowie mit Weather Report, über anderthalb Jahrzehnte die einflussreichste Jazz-Rock-Band des Planeten. 

Mit Kraft und Inspiration am Saxofon - so war Wayne Shorter

"Da spielst du 20 Jahre," sinnierte der inzwischen verstorbene Pianist Walter Lang, "denkst, du machst alles richtig. Dann kommt Wayne Shorter, und nichts ist mehr so, wie es war." Keine Ansagen, keine Soli, kein stilistisches Konzept. "Er macht alles, was das Publikum früher abgeschreckt hat. Sogar lupenreinen Free Jazz, zehn, 15 Minuten, und die Leute hier in Ingolstadt flippen förmlich aus. Ich fasse es nicht!" Die umstehende nationale Jazz-Prominenz goutierte Langs Elogen nickend, während der Gottgleiche gerade lächelnd entschwebte. 

Was hätten sie auch sagen sollen über einen, der mehr war als nur ein Vorbild, einen ewig Junggebliebenen, der seine stille Wut, seine Gefühle, mit Kraft und Inspiration ins Horn presste. Einen, der alles erlebt hatte, aber im Gegensatz zu anderen die richtigen Schlüsse daraus zog. Wayne Shorter – und dies war die Quintessenz seines gesamten Lebens – schuf sich sein eigenes Imperium. Eine Welt, in der Vision und Realität verschwammen, deren Geografie nur er selbst kannte. Eine Welt, zu der wir nur schwer Zugang fanden. Nur seine Musik öffnete eine Tür dazu. Es waren Versatzstücke, aber kein hingeworfenes Patchwork. Viele blaue, grüne, lila, schwarze, orange oder silberne Bändchen, die miteinander verknüpft auf einmal den berühmten roten Faden ergaben. 

Wayne Shorter zählt zu den Gründervätern des Jazzrock

Der am 25. August 1933 in Newark geborene Shorter wurde bewundert und begehrt, weil er es wie kein Zweiter verstand, in seinem Spiel und seinen Kompositionen Dekaden und Stile, Tradition und Moderne zu verbinden. Der stolze, herrische Miles Davis musste regelrecht um ihn buhlen, bis er 1964 seinem legendären Quintett beitrat. Denn der ruhige, bescheidene Musiker verkörperte schlechterdings den perfekten Tenorsaxofonisten. Er beherrschte sowohl den Blues, den Hardbop, die Kunst der Ballade wie die Höhenflüge durch taktlose Skalen. Das unsterbliche "Footprints", eine scheinbar einfache, modale Mollharmonie, erwies sich als ideale Spielwiese, die sich wahlweise schnell oder langsam interpretieren ließ und mit der man auf ein offenes Meer aus Möglichkeiten hinaustreiben konnte. Eine Kernschmelze aus reduzierter Harmonik, die das Thema zu keiner Sekunde in Schutt und Asche legte.

Wayne Shorter war an Miles Davis' Jahrhundertwerk "Bitches Brew" beteiligt, veröffentlichte bahnbrechende eigene Alben wie "Speak No Evil", "JuJu" oder "Adam's Apple" und schickte sich ab 1971 an, mit Joe Zawinul eine neue Musiksprache zu deklinieren: den Jazzrock. Der schweigsame Amerikaner und der vorlaute Österreicher trafen mit ihrer Band Weather Report den Zeitgeist voll auf die Zwölf, aber aus dem föhnfühligen Konstrukt sollte sich rasch ein Synonym für eine Fusion von altem und neuem Pop, zwischen swingendem Bop und funkigen synthetischen Sounds entwickeln – kommerzielle Erfolge mit "Black Market" (1976) und "Heavy Weather" (1977) mit dem Gassenhauer "Birdland" inbegriffen. 

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Als bescheiden galt der Jahrhundertmusiker Wayne Shorter

In jenen Jahren zementierte der zurückhaltende Jahrhundertmusiker seinen Ruf als Legende endgültig. Auch weil er sich stets radikal zurückzunehmen wusste, ganz dem Instinkt des Komponisten folgend. Wayne Shorter stellte seine einzigartigen Qualitäten immer und überall in den Dienst der Musik, auch in den späten Kollaborationen mit Joni Mitchell; rastlos auf der Suche nach der DNA der Musik. Er hielt Ausschau nach dem goldenen Weg aus den einengenden Schubladen, aus der Selbstkasteiung ganzer Musikergenerationen. Nach der verlorenen Straße, die Miles Davis einst aufhörte zu bauen. Am Donnerstag hat er diese Suche nach langer Krankheit im Alter von 89 Jahren endgültig beenden müssen.

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