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Nachruf: Ein Philosoph des Lebens, ein Schriftsteller zwischen den Ideologien

Nachruf

Ein Philosoph des Lebens, ein Schriftsteller zwischen den Ideologien

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    Der Schriftsteller Milan Kundera im Mai 1963. Er starb nun im Alter von 94 Jahren.
    Der Schriftsteller Milan Kundera im Mai 1963. Er starb nun im Alter von 94 Jahren. Foto: Nesvadba Frantiöek/CTK/dpa

    Seine Romane waren Welterfolge und gleichzeitig gefühlvoll, intelligent, wahr, spannend. Der tschechisch-französische Schriftsteller Milan Kundera schrieb keinen Kitsch fürs Herz, sondern ergründete in seinen Büchern Erfahrungen seines Lebens. Was er für seine vielen Leserinnen und Leser zutage förderte, konnten Offenbarungen sein, wenn man die Kundera-Bücher in den richtigen Lebensaugenblicken zur Hand nahm. Man verschlang nicht nur Geschichten, sondern auch Lebensweisheit. „Man kann nie wissen, was man wollen soll, weil man nur ein Leben hat, das man weder mit früheren Leben vergleichen noch in späteren korrigieren kann.“

    Dieser Satz ist in Kunderas erfolgreichstem Buch, das gleichzeitig auch sein internationaler Durchbruch war, zu finden, in „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Geschrieben hat das Kundera auf Tschechisch, veröffentlicht wurde der Roman allerdings 1984 als Erstausgabe auf Französisch. Kundera, der 1929 in Brünn (heute Brno, Tschechien) geboren ist, lebte da bereits seit Jahren gemeinsam mit seiner Frau Vera Hrabánková zurückgezogen in Paris, als französischer Staatsbürger. Denn wegen seiner schriftstellerischen, kritischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, 1979/80 erschien „Das Buch vom Lachen und Vergessen“, entzog ihm die Tschechoslowakei die Staatsbürgerschaft.

    Milan Kundera beteiligte sich aktiv am Prager Frühling

    Da war also einer mitten in den Wirren des Kalten Kriegs, einer, der in den 1950er und 1960er Jahren vom Kommunismus erst angetan war und sich später gegen die staatlich praktizierte Ideologie wandte, einer, der als Weltliteratur-Dozent an der Prager Filmakademie Studenten wie Miloš Forman unterrichtete, einer, der am Prager Frühling aktiv teilnahm und nach der Niederschlagung seine berufliche Existenz in der Tschechoslowakei verlor.

    Während Kundera diesen Weg beschritt, entstand sein Werk. Erst Gedichte, später Erzählungen (etwa „Das Buch der lächerlichen Liebe“), dann ein Roman („Der Scherz", 1967/68). Für diese Auseinandersetzung mit dem Stalinismus in der Tschechoslowakei und für die aktive Beteiligung am Prager Frühling schmiss man Kundera ein zweites Mal aus der Partei und belegte ihn mit einem Publikationsverbot. Erst verschwand sein Werk in seiner Heimat aus den Bibliotheken, dann er selbst aus dem Land. Dazwischen erschien „Das Leben ist anderswo“ 1973 in Paris auf Französisch.

    Wunderwerke der Literatur

    Seine wechselvolle Verstrickung in die Zeitgeschichte, dazu das Interesse an Philosophie und dem Nachdenken über den Menschen und diese Klug- und vor allem Tollheit in Liebesdingen, all das verwob Kundera auf unnachahmliche Weise in seinem Weltbestseller „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Ein Wunderwerk der Literatur, tiefgründig und leichtfüßig, philosophisch und voller Leben, romantisch und tragisch zugleich. Die gelungene Verfilmung von Philip Kaufman mit Juliette Binoche und Daniel Day-Lewis trug noch einmal zur Popularität bei, auch wenn Kundera den Film kritisch sah.

    Mit seinem nächsten Roman „Die Unsterblichkeit“ verließ Kundera die Tschechoslowakei als Handlungsort, der komplexe Roman, der einer bloßen Geste Unsterblichkeit verleihen will, spielte in Frankreich. Dort findet sich dann ein Satz, der irgendwie auch prophetisch für Kundera wirkte: „Diese Sorge um das eigene Bild ist eine geradezu schicksalhafte Unreife des Menschen. Es ist sehr schwer, diesem Bild gegenüber gleichgültig zu bleiben. Eine solche Gleichgültigkeit übersteigt die menschlichen Kräfte.“

    Denn 2020 legte der tschechische Schriftsteller Jan Novák eine umfangreiche Kundera-Biografie vor, die einen äußerst kritischen Blick auf Kunderas anfängliche Verstrickung in den Kommunismus legte und dem Autor vorwarf, die eigene Biografie zu schönen. Kundera antwortete darauf nur schriftlich und stritt die Vorwürfe ab, mündliche Interviews gab er schon lange nicht mehr. Nun ist der Schriftsteller im Alter von 94 Jahren nach langer Krankheit in Paris gestorben. 

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