Zum Rammstein-Konzert, oder nicht? Ende der Woche wird man sehen, wie sich die Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem Süden Deutschlands entschieden haben. Vier Konzerte gibt die Band im Münchner Olympiastadion, 240.000 Fans sollen es werden. Noch nie habe es so viele Besucherinnen und Besucher bei einer zusammenhängenden Serie von Auftritten gegeben, schreibt der Austragungsort auf seiner Webseite. Von einem "Meilenstein in der Münchner Musikgeschichte und in der Historie im Olympiapark" ist die Rede. Alle vier Konzerte in München sind – nach den Angaben der Rammstein-Webseite – ausverkauft. Wobei: Wer mag, kann problemlos auch für das erste Konzert am Mittwoch noch über Zweitverkäufer ein Ticket kaufen. Wer mag also?
Vor mehreren Tagen wurden erste Anschuldigungen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann, 60, wegen Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt publik. Am Montagabend stellte die Youtuberin Kayla Shyx ein Video online, in dem sie 36 Minuten lang die Vorwürfe gegen Till Lindemann bekräftigt, von ihren Erfahrungen bei einem Rammstein-Konzert am 4. Juni 2022 berichtet.
Shyx, 21, die ihre Karten über ihr Management erhielt, sei mit einer 18-jährigen Freundin damals von einer Frau namens Alena M. zur Aftershowparty eingeladen worden. Ob man Till nicht treffen wolle, zusammen feiern, ein Riesenspaß? An der Aftershowparty wurden sie nach dem Konzert dann aber vorbei eskortiert – in einen Hinterraum mit schwarzen Sofas und viel Alkohol. Ihr Handy hatte sie wie alle davor auf einen Tisch legen müssen. "Da merkte ich, ich hätte umdrehen sollen. Aber die Security hat mich angestarrt, Alena wie eine Mum beruhigend auf mich eingeredet. Ich war unter miesem Druck." Auf der Toilette hätte sie dann von anderen Frauen erfahren: Hier sei eine Vorauswahl von gecasteten jungen Frauen versammelt, ausgewählt für Lindemann. "Auf einmal checke ich: Ich bin hier als Sexobjekt. Panik. Panik." Die Youtuberin und ihre Freundin verließen den Raum wieder, auch wenn Alena M. versuchte, sie umzustimmen. Ob man nicht erst mal etwas trinken wolle …
Zuvor hatten NDR und Süddeutsche Zeitung über die privaten Partys von Lindemann berichtet. Er soll vor und nach seinen Konzerten, aber auch in kurzen Pausen mit jungen Frauen Sex gehabt haben. Die sexuellen Handlungen sollen allerdings zum Teil nicht einvernehmlich gewesen sein. Zuvor soll er den Frauen Alkohol angeboten haben. Eine der Frauen, die Irin Shelby Lyyn, twitterte über ihren Verdacht, auf einem Treffen mit Lindemann vor dem Auftaktkonzert der Europatour im litauischen Vilnius K.-o.-Tropfen in den Drink gemischt bekommen zu haben. Außerdem soll Lindemann aggressiv reagiert haben, als sie Sex mit ihm abgelehnt habe. Sie brachte die Debatte rund um den Machtmissbrauch des Sängers ins Rollen.
Mehrere Frauen berichteten von einem ausgeklügelten Rekrutierungssystem
Seither berichteten mehrere Frauen gegenüber dem Rechercheverbund von NDR, WDRund Süddeutscher Zeitung – zum Teil unter Eides statt – von einem ausgeklügelten Rekrutierungssystem. Von einem System, das dazu dient, dem Sänger bei seinen Konzerten das zu servieren, was er möchte: Sex mit jungen Frauen, die möglichst nicht älter als Anfang bis Mitte 20 sind. Die jungen Frauen würden auf Instagram angesprochen und mit einer Einladung zur Backstage-Party gelockt. Danach erhielten sie Einladungen zu WhatsApp-Gruppen und sollten Fotos von sich schicken. Der Dresscode für die Partys: gern in Sommerkleid und hohen Schuhen, wie mehrere Frauen gegenüber der Rechercheverbund äußerten. Die Band dementiert bislang alle Vorwürfe. Ihr Anwalt betont immer wieder, es lägen keine Beweise vor. Lindemann hat inzwischen sein Instagram-Profil gelöscht.
"Jetzt kommt gerade sehr viel raus, wovor ich sehr viel Angst hatte, als ich in der Situation war", so die Influencerin Kayla Shyx im Video: "Anderen Mädchen ist es viel schlimmer ergangen als mir. Aber ich möchte meine Reichweite nutzen, darüber zu berichten." Das wollte Shyx, wie sie sagt, eigentlich sofort nach dem Konzert mit einem Video. Ihr altes Management habe ihr abgeraten. Besser schweigen. Sie fühle sich schuldig, dass sie ihre Erfahrungen nicht schon früher öffentlich gesagt habe. Nun hat sie es getan.
Shyx sagt, in der Musikindustrie sei Machtmissbrauch alltäglich
Das Video hatte innerhalb weniger Stunden weit über eine Million Zugriffe, 13.000 Kommentare. Im Video versucht sie, das Vergewaltigungsgedicht "Wenn du schläfst" von Till Lindemann vorzulesen. Sie bricht noch vor der ersten Zeile ab: "Ich find' das echt hart." Stattdessen wird der Text seitlich eingeblendet. "… etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas). Kannst dich gar nicht mehr bewegen. Und du schläfst, es ist ein Segen."
Sie sei müde von Leuten, die jetzt überrascht tun. "Es passiert dauernd in dieser Industrie. Männer, die ihre Machtposition ausnutzen, um Mädchen sexuell zu missbrauchen. Und Till Lindemann ist einer davon." Bei den Münchner Konzerten wird es nun als Konsequenz keine sogenannte "Row Zero" direkt an der Bühne geben. Dort landete einst auch Kayla Shyx.