Der Moment, in dem uns eine Todesnachricht erreicht, kann sich ins Gedächtnis eingravieren. Dieser Morgen vor 40 Jahren zum Beispiel. Der Kollege Rupert Huber sitzt bereits am Redaktionsschreibtisch. Sagt zur Begrüßung, er könne sich heute leider nicht ums Tagesgeschäft kümmern. Er müsse den John Lennon schreiben.
John Lennon? Was sollte über den im Dezember 1980 zu schreiben sein? Er hat „Ja“ gesagt zur Wiederauferstehung der Beatles? Nein, doch nicht Lennon. Er hat „Nein“ gesagt zum Comeback der Fab Four? Langweilig, gab es schon oft. Eine neue Platte? Lennon als Solokünstler ist … okay, schon, irgendwie. Aber da muss der Kollege keine Sonderschicht für eine Besprechung einlegen. Was ist also mit Lennon?
Lennon ist tot. Erschossen.
Rrrrrummms! Das hat gesessen. Das wirkt. Bis heute. Warum den Mann ermorden, der gesungen hat, man möge dem Frieden eine Chance geben? Die Motive des Mörders sind verschwommen geblieben. Mark David Chapman war Beatles-Fan. Seine Verehrung soll in Hass umgeschlagen haben. Weil Lennon 1966 flapsig gesagt hatte, die Beatles seien jetzt bekannter als Jesus.
John Lennons Vater war meist abwesend
John Lennon war der Beatle mit der frechen Klappe. Vielleicht das Ergebnis einer schwierigen, turbulenten Kindheit und Jugend. Der Vater – meist abwesend. Die Mutter – überfordert, vertraut den Sohn ihrer Schwester an; wird von einem betrunkenen Autofahrer getötet, als John 17 ist und die beiden sich wieder angenähert haben.
Lennon verbirgt die Schicksalsschläge unter der harten Schale des „Halbstarken“. In den Anfangstagen der Beatles fällt er mit harmlosen Frotzeleien auf, so wie beim Benefizkonzert der Queen, als er zum Publikum sagt: „Die Leute auf den billigeren Plätzen klatschen bitte. Die anderen mögen mit ihren Juwelen klappern.“
John Lennon hat sich mit Worten verewigt
Von Paul McCartney werden die Melodien bleiben. John Lennon hat sich mit Worten verewigt. Er war offen für Wagnisse, ging den Weg, den Bob Dylan aufgezeigt hatte. Ein Pop-Song kann inhaltlich mehr bieten als „Ich will deine Hand halten“. Lennon wurde zum Meister der absurden Gedanken. Er war das Walross, er sah Lucy am Himmel mit Diamanten, er besang Erdbeerfelder für die Ewigkeit. Er ersann zeitlose Slogans: „All You Need Is Love“.
Später wurden seine Texte politischer, düsterer, radikaler. Er forderte „Power To The People“, er erkannte „Woman Is The Nigger Of The World“. Sein Meisterwerk ist „Imagine“. Stell dir eine Welt ohne Länder, ohne Religionswahn, ohne Besitztum vor. Naiv? Ja, aber: You may say I’m a dreamer/But I’m not the only one/I hope someday you’ll join us/And the world will be as one. Du magst mich einen Träumer nennen. Aber ich bin nicht der einzige. Ich hoffe, eines Tages machst du mit. Und die Welt wird dann eins sein.
Lennon war nie unumstritten. Er war kein Säulenheiliger. Rupert Huber hat an diesem Dezembertag 1980 geschrieben: „Dass Lennon für seine Fans immer weniger greifbar wurde, lag nicht zuletzt an seiner Widersprüchlichkeit. Er fand nichts dabei, im Che-Guevara-Kampfanzug in den Rolls Royce zu steigen. Der Workingclass Hero, der Held der Arbeiterklasse, wie ein Lennon-Lied lautet, wurde so für die Jugend unglaubwürdig.“
Lennon war sich seiner Persönlichkeitsspaltung bewusst: „Ein Teil von mir vermutet, ich sei ein Verlierer. Der andere Teil von mir glaubt, ich sei Gott der Allmächtige.“
Yoko Ono war für die Beatles-Gemeinde die böse Frau
Diese Zerrissenheit überwinden, sichere Beziehungen finden, das bestimmte auch Lennons Privatleben. Der erste Versuch missglückte. Bereits 1962 heiratete er – seine Jugendfreundin war schwanger. Der junge Lennon war kein guter Vater. Er tat seine Familie kaltherzig als Ergebnis einer durchzechten Nacht ab. Die Fans erfuhren von Ehefrau Cynthia und Sohn Julian zunächst nichts. Ein Beatle mit Frau und Kind – schlecht fürs Image.
Akzeptanzprobleme aber hatten die Anhänger mit Lennons zweiter Frau. Yoko Ono war für die Beatles-Gemeinde die böse Frau, die schuld an der Trennung der Gruppe war. Für John Lennon war die Avantgardekünstlerin aus einer japanischen Bankiers-Familie der Halt, nach dem er sich gesehnt hatte. Er sprach die acht Jahre ältere Yoko mit dem Kosenamen „Mother“ an. Diese Mutter erlaubte ihm ein auf 18 Monate verlängertes „Lost Weekend“, eine von Drogen und Alkohol umnebelte Affäre mit ihrer Sekretärin. Lennon kehrte zurück, bald wurde Sohn Sean geboren.
John Lennon ist auch vierzig Jahre nach seinem Tod noch präsent. Das Werk hat den Menschen und dessen Schwächen überdauert. Ein Verdienst von Yoko Ono. Sie bewährte sich nicht nur als Muse, sondern auch als Managerin und Nachlassverwalterin. Eine makabre Liste der toten Stars, die am meisten Geld „eingespielt“ haben, führt John Lennon auf Rang sieben. Ono wacht unerbittlich über den Nachruhm. Einem polnischen Limonadenbrauer ließ sie 2017 den Artikelnamen „John Lemon“ verbieten.
Den Lennon-Nachlass verwaltet jetzt der Sohn Sean
Yoko Ono ist inzwischen 87 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen. Die Verwaltung des Lennon-Nachlasses hat sie kürzlich Sohn Sean übertragen. Der wurde zum 80. Geburtstag seines Vaters am 9. Oktober dieses Jahres als Produzent einer weiteren Größte-Hits-Sammlung („Gimme Some Truth“) aktiv.
Was ist mit anderen Menschen aus dem Lennon-Kosmos? Julian Lennon konnte nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten einen besseren Anteil am Erbe des Vaters herausschlagen. John Lennon hatte seinen Erstgeborenen und seine erste Frau im Testament nur mit einer schmalen Rente bedacht. Julian Lennon blieb kinderlos, auch weil er sich nach den Erfahrungen aus seiner Kindheit einer Vaterschaft nicht gewachsen fühlte.
Cynthia Lennon hat noch dreimal geheiratet und starb 2015.
Mark David Chapman sitzt seit 40 Jahren im Gefängnis. Mehrere Begnadigungsgesuche wurden abgelehnt. Gegen eine Entlassung sprach sich unter anderem Yoko Ono aus. Sie sagte, sie fühle sich bedroht, wenn Chapman in Freiheit sei.
Rupert Huber, der sicher gerne einen Artikel zum 40. Todestag von John Lennon geschrieben hätte, ist leider kürzlich verstorben.
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