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Foto: Christoph Bombart, Ecm
Foto: Christoph Bombart, Ecm

Bloß keinen Schnickschnack produzieren! Als Gitarrist setzt Dominic Miller auf Understatement.

Musik
12.08.2023

Dominic Miller: "Ich würde mich als instrumentalen Songwriter bezeichnen"

Von Reinhard Köchl

Der Gitarrist geht seit Jahrzehnten mit Sting auf Tournee und hat mit seinem Spiel Songs wie "Fragile" und "Shape of My Heart" maßgeblich geprägt.

Gibtʼs das überhaupt noch, ein Gespräch, das rein gar nichts mit den üblichen Frage-Antwort-Regularien der professionellen Promotion-Kunst zu tun hat? Natürlich dreht sich alles um Musik. Aber irgendwie besitzt der Austausch mit Dominic Miller die Tiefgründigkeit eines vertrauten Diskurses. Derartige Dates ordnet der Gitarrist ebenso hoch ein wie ein Konzert oder eine Studiosession. Denn in beiden Fällen geht es um Geschichten, die unbedingt weitererzählt werden müssen. 

Miller kommt aus dem Badezimmer des Hotels und lässt einen per Zoom-Call daran teilhaben, wie er sich seine buschige Lockenpracht mit dem Handtuch trockenrubbelt und seine braune Hornbrille zurechtzupft. Vor gut einer Stunde hat er den Soundcheck mit Sting beendet, das erste von zwei Konzerten soll tags darauf steigen. Seit 1991 begleitet der 62-Jährige den Superstar, und manchmal ertappt man sich immer noch dabei, jemandem erklären zu müssen, wer dieser Dominic Miller denn eigentlich sei („… der Gitarrist von Sting“). Im Prinzip ist das aber längst obsolet. Natürlich kollaboriert er weiter mit dem Police-Gründer, dem er unter anderem diese wunderbar entrückten Gitarrentöne auf „Fragile“ geliefert hat und mit ihm „Shape of My Heart“ komponierte. Aber das ist, wenn überhaupt, allenfalls die halbe Wahrheit und wird Miller nicht einmal im Ansatz gerecht. 

"Er ist meine rechte und meine linke Hand", sagt Sting

Es mag einen Grund geben, warum Sting bis heute nicht müde wird, Millers Qualitäten in schillernden Tönen zu preisen. Plötzlich, in einer eher privaten Phase des Zoom-Gesprächs mit Miller, taucht im Hintergrund tatsächlich der Mann auf, der mit bürgerlichen Namen Gordon Sumner heißt. „Hi“, grinst Sting in die Laptop-kamera. „Ich wollte nur mal betonen, was für ein fantastischer Musiker hier sitzt. Er ist meine rechte und meine linke Hand, die all das umsetzt, was meine klobigen Finger nicht spielen können.“ Dominic Miller wirkt etwas verlegen. Ihn und den Ober-Polizisten verbindet mehr, als nur eine musikalische Dauerbeziehung, weshalb beide schon 32 Jahre miteinander auf Tournee gehen. Und das, obwohl sich der Gitarrist eigentlich nicht als fahrender Künstler bezeichnen lassen will, sondern die Zeit inzwischen viel lieber in seinem Haus in der Provence verbringt. 

Dennoch trägt sein aktuelles Album den Titel „Vagabound“ (ECM). Kein Versehen. „Mein verstorbener Vater liebte ein Gedicht gleichen Namens, das der englische Dichter John Masefield schrieb. Ich kann mich damit durchaus identifizieren, mit diesem Umherreisen, an jede Tür klopfen und um Essen und Trinken bitten. Als Gegenleistung erzählen sie dir etwas. Ich mag die Idee des Nomadentums, der Tramps und Hobos, weil ich das lange selbst erlebt habe. Ich bin in Argentinien als Sohn eines amerikanischen Vaters und einer irischen Mutter geboren, habe in den USA, in England und jetzt in Frankreich gelebt, mich aber nirgendwo richtig heimisch gefühlt. Für mich war das nie der Idealzustand, aber ein Vagabund wählt ganz bewusst solch ein rastloses Dasein, um frei zu sein.“ 

Seine Lieblingsplatte stammt von Neil Young

In Millers eigener Karriere findet man durchaus Ableitungen, auf die das Bild des Herumvagabundierens passen könnte. Auf seinem Album „Silent Light“ (2017) erklingt nur die Gitarre, während er „Absinthe“ (2019), des Alleinseins überdrüssig, im Quintett einspielte. „Vagabound“ wiederum entstand im Quartett mit dem schwedischen Pianisten Jacob Karlzon, dem israelischen Drummer Ziv Ravitz und dem belgischen Bassisten Nicolas Fiszman. Mit ihnen entstand ein Bündel neuer Kurzgeschichten, insgesamt acht an der Zahl, die über eine starke Songstruktur verfügen. Dies verdanke er vor allem den wunderbaren Sängerinnen und Sängern. Neil Young zum Beispiel – „,Harvest´ ist meine absolute Lieblingsplatte, es fühlt sich an, als hätte er sie nur für mich gemacht“ – und natürlich Sting. „Er ist einer, der es meisterhaft versteht, simple Melodien zu kreieren, die sich auf Anhieb beim Zuhörer festsetzen. Deshalb würde ich mich auch als instrumentalen Songwriter bezeichnen, dem es überhaupt nicht darauf ankommt, zu zeigen, wie toll er Gitarre spielen kann. Es war sowieso noch nie meine Absicht, ein Gitarrenalbum herauszubringen.“ 

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Ja was denn dann? „Geschichten erzählen, am besten solche, die das Zeug haben, mal Standards zu werden“, antwortet Dominic Miller wie aus der Pistole geschossen. „Und das gelingt nun mal am allerbesten, wenn man sich mit wirklich tollen Musikern umgibt.“ Auch das sei eines der vielen probaten Rezepte von Sting. Das Geheimnis des kreativen Vagabunden heißt „Sound“, wie beim unlängst verstorbenen Gitarren-Kollegen Jeff Beck („Der Größte aller Zeiten!“): keine halsbrecherische Griffakrobatik, kein affektiertes Speed-Gedudel. Es geht einzig darum, Klangwelten zu erschaffen, die bleiben. Dominic Miller: „Keinen Schnickschnack, einfach nur gute Musik!“ 

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