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Musik: Modular, Rock im Park, Ikarus: Die Festivals kehren zurück

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Modular, Rock im Park, Ikarus: Die Festivals kehren zurück

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    Zwei Sommer lang unvorstellbar: Stimmungsbild beim letzten Mal, als "Rock im Park" stattfand, 2019.
    Zwei Sommer lang unvorstellbar: Stimmungsbild beim letzten Mal, als "Rock im Park" stattfand, 2019. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Die abgedroschenste Werbe-Phrase der Welt, hier kommt sie mal wirklich zu ihrem Recht: Endlich ist es wieder so weit! Denn in der Tat war die Wartezeit ja länger als je zuvor in der Ära der alljährlichen kontrollierten Party-Ausnahmezustände in Deutschland. Jetzt, an diesem Pfingstwochenende, aber kehren nach zwei traurig leeren Corona-Sommern der Abstände und Kontaktbeschränkungen die Festivals zurück. Alles wieder gut also?

    Den Auftakt der Großveranstaltungen macht jedenfalls traditionell der Zwilling aus „Rock am Ring“ in der Eifel und „Rock im Park“ in Nürnberg mit insgesamt weit über 150.000 Fans samt Riesenzeltplätzen vor Ort am Nürburgring und am Zeppelinfeld. Dazu kommen gleich auch kleinere Open Airs wie das gleich viertägige „Ikarus“ in Memmingerberg mit rund 50.000 Elektro-Fans samt Camping und „Modular“ am Augsburger Gaswerk, ohne Zelten, mit bis zu 10.000 Besucherinnen und Besuchern an jedem der drei Tage. Alles wieder ganz normal also?

    Für den Häuptling der "Parkrocker" steigt die Vorfreude jeden Tag

    „Ich habe lange gezweifelt, ob das wirklich was wird, ob es die Pandemielage wirklich zulässt“, gesteht Holger Strichau. „Es fühlt sich auch noch surreal an, sich wieder auf ein Festival mit 70, 75.000 Leuten vorzubereiten – und doch steigt die Vorfreude von Tag zu Tag.“ Sagt Balu. Strichau ist SAP-Projekt-Manager, 54, Anzugträger, hochseriös und lebt in Waiblingen bei Stuttgart. Und Balu ist so etwas wie der Häuptling der sogenannten „Parkrocker“, des Forums zum Nürnberger Großfestival, das nun schon im 20. Jahr für Orientierung, Feedback und Verbindung in der Fan-Gemeinde sorgt. Beide sind ein- und derselbe Mensch – und nach der Corona-Pause und bei noch immer nicht endgültig überwundener Pandemie gab es also nun erstmals eine Art Schwellenproblem beim Übergang von der Alltags- zur jährlich Ausnahme-Identität. Wie in der Gesellschaft womöglich auch?

    Holger Strichau jedenfalls, nennen wir ihn in diesem Zusammenhang einfach Balu, er ist inzwischen doch „sehr positiv eingestellt“, denkt, dass die Menschen womöglich im Alltag bei vielen Begegnungen in geschlossenen Räumen mehr Risiken eingingen als beim noch so massenhaften Open-Air samt Gedränge. Seine eigene Scheu ist er im ausverkauften Fußballstadion losgeworden, Fan des Klubs seiner Ursprungsheimat Köln. Und so freut er sich am allermeisten, weit mehr als über die Vorzeigebands in Nürnberg dieses Jahres mit Volbeat, Green Day und Muse, gleich auf den Auftakt an diesem Donnerstag um 19 Uhr: Wenn die Parkrocker aus einer Onlineforum-Gemeinde endlich wieder zu einer Festgemeinschaft vor Ort werden, am Vorabend des Festivals bereits. Als wäre, außer dass die Bühnen in diesem Jahr nun anders heißen, Utopia, Orbit, Mandora, alles wie zuvor?

    Der Häuptling der Parkrocker: Holger Strichau.
    Der Häuptling der Parkrocker: Holger Strichau. Foto: Parkrocker

    Balu sagt: „Ja, wir werden feiern, als wäre das Festival nie weg gewesen – das ist, glaube ich, auch das Beste, was wir tun können.“ Darum hielten die Parkrocker auch an Traditionen fest wie dem eigenen, klassisch immer gleich gestalteten Faltplaner. Aber so manches habe sich seit dem letzten „Rock im Park“ 2019 schon verändert. Das beginnt bei den Parkrockern selbst: „Natürlich hat die Corona-Pause für uns einen deutlichen Aderlass bedeutet, haben wir deutlich weniger Aktive als vor drei Jahren, auch wenn jetzt langsam doch wieder einige unter den Steinen hervorgekrochen kommen – denn in Internetjahren ist das ja eine sehr lange Zeit“, sagt Balu.

    Der Festivalbranche fehlt eine ganz Generation zwischen 16 und 18

    Aber ebenso sei es auch für die Festivallandschaft. Der Branche fehle eine ganze Generation an jungen Leuten zwischen 16 und 18, die genau in diesen Jahren zum ersten Mal gekommen wären: „Es ist wie ein herausgestanztes Loch in der Altersfolge der Festivalgänger“, sagt Balu, der hier auch als Holger Strichau spricht. Denn vor zwei Jahren wäre seine Tochter zum ersten Mal mit in den Park gekommen – die sei aber inzwischen weg zum Studium, das habe sich quasi erledigt. Aber in diesem Jahr nun erlebe sein 18-jähriger Stiefsohn seine Park-Premiere. Und so erwartet wiederum Balu doch ein nicht ganz normales, „ein spezielles Festival“ 2022: mit einer neuen Mischung aus Leuten, mit mehr „Frischlingen“ – übrigens auch im Personal.

    Denn auch in Gastronomie und Organisation seien ja Kontinuitäten durch die Corona-Pause gekappt worden, sodass, wie in der Gesellschaft in diesen Bereichen, auch bei den Festivals auffällig mehr Stellenangebote bis zuletzt zu sehen waren. Ein Bier von Frischling hinter der Theke zu Frischling vor der Theke – das also scheint heuer deutlich wahrscheinlicher.

    Ein sicherer Hafen also – das war mit Gastro- und Event- auch die Festivalbranche einmal. Vorbei? Auch wenn „Rock im Park“ fast alle Karten losgeworden ist und „Rock am Ring“ ausverkauft meldet, wobei ein gar nicht so geringer Teil der Besucherinnen und Besucher ihre Tickets von der ersten ausgefallenen Ausgabe 2020 bis heute verlängert und behalten haben (trotz des für nicht wenige schmerzlichen Verlust des da noch annoncierten Headliners System of a Down). Nach Jahren der immer größeren Zahl an Veranstaltungen mit immer neuen, auch familienfreundlicheren Format-Versuchen wird dieses Jahr der Rückkehr ein wichtiges Signal im Ringen ums Fortbestehen auf einem enger gewordenen Markt senden.

    Beim "Ikarus" in Memmingerberg drängt sich die DJ-Prominenz

    Beim „Modular“ in Augsburg etwa ist die Spanne zwischen Maximalauslastung und der notwendigen für eine kostendeckende Organisation nicht allzu groß und komfortabel – und ausverkauft bislang nichts. Dabei setzten die Macher vom Stadtjugendring nicht nur auf ein breites Bühnenprogramm von Indiebands wie Bilderbuch und Giant Rooks zu reichlich Rap mit Symba, Haiyti oder BRKN, und erstmals mit Genehmigung bis Mitternacht – sie bieten zudem auf ein ausgedehntes Platzprogramm samt Rollerdisco und Zauberei, Aktivismus- und Kreativangebot. Beim „Ikarus“ in Memmingerberg drängt sich die DJ-Prominenz an den Mischpulten, von Carl Cox bis Monika Kruse, von Steve Aoki bis Sven Väth, von Richie Hawtin bis Fritz Kalkbrenner – dazu gibt’s unter anderem Deluxe-Camping, ausverkauft ist aber auch hier nichts. Freilich, wie bei anderen Festivals in der Region – von „Singoldsand“ über „Wudzdog“, bis „Puls“, die allesamt wiederkehren – muss sich erst zeigen, inwiefern das herausgestanzte Loch im Festivalkontinuum einen Bruch bedeutet. In Werbe-Phrasen gesprochen: Hat sich die Bekanntheit der Marke über die Pause hinweg gehalten? Gelingt die Aktivierung neuer und gewohnter Zielgruppen? Verbunden mit konkreten Sorgen: Macht das Wetter mit, um noch Tagesgäste zu locken? Und bleibt das Programm von schmerzhaften Einschlägen durch Corona-Infektionen verschont? Siehe Grönemeyers Tour-Absage.

    Fritz Kalkbrenner kommt zum Ikarus-Festival.
    Fritz Kalkbrenner kommt zum Ikarus-Festival. Foto: Annette Riedl, dpa (Symbolbild)

    Das wäre vor allem für Branchenriesen wie dem anderen Zwilling „Southside“ und „Hurricane“ bei Stars wie Kings of Leon oder Twenty One Pilots, Seeed oder Deichkind besonders bitter. Bloß ein Kult wie „Wacken“ kann sich sicher wähnen, das Open-Air ist einfach immer, sofort und grundsätzlich ausverkauft. Und kann gerade dieses Jahr der Rückkehr der beste Anlass für einen Neustart, wie ihn das „Superbloom“-Festival im Münchner Olympiapark versucht? Ambitioniert immerhin mit David Guetta und AnnenMayKantereit, LaBrassBanda und Kraftklub, aber auch Macklemore und Megan Thee Stallion – neben reichlich begleitendem „Experience“-Programm freilich …

    Für Balu jedenfalls ist alles gut, wenn allein die Rückkehr des Bewährten wieder gelingt, zu mehr Ausnahme-Identität hat Holger Strichau als Projekt-Manager keine Zeit. Ohnehin hat sich ja auch das Gewohnte durch den Gang der Jahre bereits verändert: „Es ist inzwischen eben eine Ü50-Packliste fürs Festival, da ist jetzt auch die Fußsalbe dabei gegen Schmerzen und Blasen – was man früher halt nicht gebraucht hat oder einem egal war“, sagt der 54-Jährige. Ein Ende des Festivallebens ist für ihn damit aber längst nicht in Sicht. „Solange, es so viel Spaß macht“, sagt Balu. Und man merkt schon, inzwischen ist die Vorfreude doch immens.

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