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Musical: Verblasster amerikanischer Traum: Die "West Side Story" im Deutschen Theater München

Am liebsten möchte man aufstehen und mittanzen – wohl wissend, dass man übel ins Stolpern kommen würde, wollte man da mithalten, was die Akteure auf der Bühne des Deutschen Theaters München vollführen. Erstklassig gesungen, brillant getanzt, überzeugend gespielt – wenn Musical so exzellent aufgeführt wird wie in dieser Neuinszenierung der "West Side Story", dann ist es reinstes Vergnügen, im Publikum zu sitzen und wenigstens ein bisschen mit den Füßen mitzuwippen.

Das war 1961, als am selben Ort die Europa-Premiere der "West Side Story" stattfand, noch anders. Das Publikum des Deutschen Theaters bekam auf einmal ganz andere Rhythmen zu hören, als es in den walzerseligen Operetten, die sonst gespielt wurden, zu hören bekam. Ein originär amerikanisches Kulturgut wollten Choreograf Jerome Robbins und Komponist Leonard Bernstein mit diesem Musical schaffen, allerdings mit einem ur-europäischen Stoff, Shakespeares Drama "Romeo und Julia". Ursprünglich siedelten sie die Geschichte im jüdischen Milieu an, verlegten sie dann aber in die Upper West Side, ein von Arbeitern und Einwanderern geprägtes Viertel in New York, in dem die Liebe von Tony und Maria zwischen die Fronten zweier rivalisierender Straßengangs gerät. Bernstein schrieb dazu eine Musik, in der sich Jazz und lateinamerikanische Rhythmen vereinten, Robbins verwandelte Gesellschaftskritik und offene Gewalt in fulminante Tanzszenen.

"West Side Story" in München: Der Verdacht, das Ganze könnte von gestern sein, kommt keine Sekunde auf

65 Jahre nach der Uraufführung soll nun eine Neu-Inszenierung des Musicals um die Welt gehen. Und wieder fällt am Deutschen Theater München der Starschuss. Wobei an der Neuinszenierung nicht vieles neu ist – und gerade das ist großartig. In den 50er Jahren, im klassischen Setting der New Yorker Hinterhöfe mit Backsteinmauern und Feuertreppen, ist die Geschichte angesiedelt – und da bleibt sie auch in der Inszenierung von Broadway-Altmeister Lonny Price. Auch die Originalchoreografie von Jerome Robbins wurde von Choreograf Julio Monge nicht angetastet. Und wer sich an der Musik Leonard Bernsteins mit Songs wie "America", "Maria" oder "Tonight" vergreifen wollte, wäre selbst schuld. Gerade in dieser historischen Verortung wirkt die bis heute geltende Thematik – Fremdenfeindlichkeit und Einwandererproblematik – eindringlich und erschütternd. So kommt angesichts bunter Petticoats (Kostüme: Alejo Vietti) zwar ein wenig Nostalgie auf, der Verdacht, dass das Ganze von gestern sein könnte, dafür keine Sekunde. Zumal das Orchester unter der Leitung von Grant Sturiale Bernsteins Musik mit großer Frische und Dynamik spielt.

Im wandlungsfähigen Bühnenbild von Anna Louzio mit verschiebbaren Häusermauern, die sich schnell auch zum Brautladen und zu Marias Zimmer öffnen lassen, entfaltet sich die Liebesgeschichte von Tony und Maria, die an bornierten Vorurteilen und der Feindschaft zwischen den American Boys der Jets und den eingewanderten Puertoricanern der Sharks tragisch scheitert. Verblasste Werbeplakate an den Wänden beschwören den schönen Schein des amerikanischen Traums herauf, dem diese Jugendlichen längst nicht mehr anhängen.

Jeder Sprung, jeder Schritt sitzt in der Neuinszenierung der "West Side Story" im Deutschen Theater

In diesem Setting wirbeln, tanzen und singen die Darsteller, allen voran Melanie Sierra (Maria), Jadon Webster (Tony) Kyra Score (Anita), Antonx Sanchez (Bernardo) und Riff (Liam Johnson), dass es einem warm ums Herz wird. Jeder Schritt, jeder Sprung sitzt auf den Punkt und macht Szenen wie "Dance at the Gym" oder "America" zu einem furiosen Spektakel aus Beinen, Armen und bunten Röcken. Erstklassig besetzt ist diese "West Side Story" mit einem Ensemble aus Musicalprofis, die Power in den Beinen und Stimmbändern haben, ohne dabei, wie man es in Musicals oft genug erlebt, unnatürlich überdreht zu wirken. 

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