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München: Gebaute Demokratie: Wie die Olympischen Spiele 1972 München verändert haben

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Gebaute Demokratie: Wie die Olympischen Spiele 1972 München verändert haben

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    Der Olympiapark während der Olympischen Spiele München 1972.
    Der Olympiapark während der Olympischen Spiele München 1972. Foto: Behnisch & Partner, Christian Kandzia

    "Eine leichte Wolke über dem braunen Oberwiesenfeld" hat Frei Otto unter eine auf "67/68" datierte Skizze geschrieben. Mit wenigen Strichen und ein bisschen Wasserfarbe brachte der Architekt und selbst ernannte "Schöpfer von Luftschlössern" seinen größten Wurf auf den Punkt: das Zeltdach des Münchner Olympiastadions und damit eine Realität gewordene Utopie. Man könnte auch von Nicht-Architektur sprechen oder von einem Bauwerk, das in seiner geschwungenen Transparenz jede Schwere verneint und sich am liebsten gleich wieder auflösen will. Eben wie eine Wolke. Das ist der Höhepunkt eines Areals, das vor einem halben Jahrhundert zum Wahrzeichen Münchens geworden ist und nichts von seiner Faszination eingebüßt hat.

    Im Gegenteil. Je intensiver man sich mit den Olympischen Spielen von 1972 und dem damit verbundenen Aufbruch in die gestalterische Moderne beschäftigt, desto erstaunlicher wird dieses Unternehmen. Denn was sich Frei Otto zunächst für einen Pavillon zur Expo 1967 in Montreal ausgedacht hatte, war ja nicht dazu bestimmt, mit der zehnfachen Spannweite von 75.000 Quadratmetern über 80.000 Menschen zu schweben. Die Sache hätte gewaltig schiefgehen können, aber genau diesen Wahnsinn des im Grunde nicht Machbaren hatte sich das von Otto inspirierte Stuttgarter Architektenteam um Günter Behnisch und Fritz Auer in den Kopf gesetzt.

    Olympische Spielen 1972: Deutschland als weltoffene Nation

    Bei der Bewerbung um die Spiele wurde 1966 allerdings noch das Modell eines gewaltigen Stadions vor einer gigantischen Betonplatte vorgeführt. Das ist eine der vergessenen Tatsachen, die in einer formidablen, von Irene Meissner kuratierten Ausstellung im Architekturmuseum der Pinakothek der Moderne aufs Tapet kommen. Mit dieser riesigen Fläche wollten die Architekten Rüdiger Henschker und Wilhelm Deiss Münchens künftige Stadtautobahn, den Mittleren Ring, abdecken. Das war Teil eines 1963 beschlossenen, auf 30 Jahre hin angelegten Entwicklungsplans. Überzeugt hatten das Internationale Olympische Komitee (IOC) dann vielmehr die "menschlichen Spiele im Grünen", die trotzdem kurzen Wege – das Oberwiesenfeld lag nur vier Kilometer vom Zentrum entfernt – und die Einbindung von Kunst und Kultur. Das war der sympathische Gegenentwurf zum nationalistischen Gigantismus der Berliner Spiele von 1936.

    Mit der Entscheidung für München bekam auch die Bundesrepublik die Chance, sich als weltoffene Nation zu präsentieren. Die folgenden Auseinandersetzungen um die Gestaltung des Projekts Olympia muten wie die Selbst(er)findung dieses demokratischen Staats an. Denn gleich nach dem Zuschlag sprach sich der Bund Deutscher Architekten für die Ausschreibung eines Wettbewerbs aus.

    Die Stätte für die Olympischen Spiele punktete als "Architektur der Freiheit"

    Um die 100 Arbeiten gingen ein, und unter dem Jury-Vorsitz des renommierten Egon Eiermann wurden im Oktober 1967 die bekannten Entwürfe von Behnisch & Partner mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Dabei war die Skepsis groß, gerade bei den Fachleuten, die auf die ungeklärte Statik verwiesen. Doch Eiermann plädierte mit Nachdruck für diese "Architektur der Freiheit" mit ihrem "punktgestützten Dach" von "leichter Eleganz und Schmiegsamkeit, fern jeder Monumentalität".

    Durch die Mitarbeit von Frei Otto kam schließlich eine entscheidende Kompetenz in die Planungsgruppe. Er war der Einzige, der eine Ahnung von freien Flächentragwerken hatte. Dennoch wurde über Monate getüftelt und ausprobiert, vom Modellbau mit Nylonstrümpfen und Holzstäbchen erzählt der mittlerweile 89-jährige Fritz Auer bis heute amüsiert.

    Das Dach der Olympiahalle wurde während des Baus ständig teurer

    Natürlich wurde das Dach ständig teurer, jedes Detail war eine Spezialanfertigung, die Acrylbauteile eine diffizile Angelegenheit, sodass sich das Budget am Ende auf rund 200 Millionen Mark verzehnfachen sollte. Überhaupt waren aus den bei der Bewerbung vorgesehenen 500 Millionen am Ende zwei Milliarden D-Mark geworden.

    Doch in den fünf Jahren bis zur Eröffnung der Sommerspiele am 26. August 1972 wurde auch ein städtebauliches Programm durchgezogen, das unter normalen Umständen 15 bis 20 Jahre benötigt hätte. Um die vielen internationalen Besucher zu den Stadien zu bringen, musste die U-Bahn im Eiltempo fertig werden.

    Der Olympiapark wurde auf den Kriegstrümmern Münchens angelegt

    Was man freilich erst im Zug eines ökologischen Bewusstseins richtig zu schätzen weiß, ist der Olympiapark. Angelegt auf den Kriegstrümmern der Stadt wirkt er durch seine Hügel, einen veritablen Aussichtsberg und den lang gezogenen See wie eine oberbayerische Voralpenlandschaft im Miniaturmaßstab. Diese grüne Lunge trägt ganz erheblich zur Lebensqualität im Münchner Norden bei, und was sich Günther Grzimek vor über 50 Jahren ausgedacht hat, wird heute als neue bürgernahe Idee verkauft: Der Landschaftsarchitekt konzipierte einen Park für alle, das Betreten der Rasenflächen war ausdrücklich erwünscht, auch das Picknicken oder Ballspielen und sogar das Pflücken der Blumen. Grzimek wusste um die Bedeutung urbaner Grünflächen – und das in einer Zeit, als quer durch die Republik wild versiegelt wurde, um nur ja autofreundlich daherzukommen.

    Doch wie hält man einen solchen Schatz über die Jahre attraktiv? Der Park wird selbst bei schlechtem Wetter leidenschaftlich besucht. Die alten Wettkampfstätten in Schuss und Betrieb zu halten, ist schwieriger. Seit 1982 dient das Olympiastadion als größte Münchner Bühne für Open-Air-Konzerte. Durch den Umzug des Bundliga-Fußballs 2005 in die Allianz-Arena kam es dagegen zu kuriosen Konzepten, obwohl der Komplex seit 1997 unter Denkmalschutz steht. Selbst Günter Behnisch hätte im Zuge der Bemühungen um die Weltmeisterschaft 2006 einer "fußballtauglicheren" Umgestaltung zugestimmt. Doch der damalige FC-Bayern-Manager Uli Hoeneß wünschte sich einen gewinnbringenden "Hexenkessel", und Präsident Franz Beckenbauer hätte die "Kommunistenschüssel" am liebsten von einem Terroristen sprengen lassen.

    Der 2000 beschlossene Umbau des Olympiastadions wurde verhindert

    Zu diesem Irrsinn kam es bekanntlich nicht, und auch der 2000 beschlossene radikale Umbau des Olympiastadions konnte verhindert werden. Aber nun? Erst wurde der Rasen durch eine Asphaltbahn ersetzt, um etwa Rennsportveranstaltungen unters Zeltdach zu bekommen. Das wollte zur hochwertigen Architektur aber nicht passen, also wurde 2017 wieder Naturrasen ausgerollt – ab 11. August treten hier etwa die Athleten der European Championships an. Und an der Stelle des abgerissenen Radstadions entsteht eine neue Eis- und Basketball-Arena, deren größter Teil in der Tradition von Behnisch unter der Erde liegt.

    Die Hoffnung ist groß, dass das gesamte Areal des Olympiaparks in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen wird. Eine Entscheidung fällt frühestens 2026. Doch die Chancen dürften nicht schlecht sein. Fast alle Olympia- und Weltmeisterschaftsstadien dümpeln nach den Wettkämpfen mindestens in Trostlosigkeit vor sich hin. Nur in München steht ein umfassend genutztes Gesamtkunstwerk, das man nicht hoch genug schätzen kann.

    "Die Olympiastadt München", bis 8. Januar 2023 in der Pinakothek der Moderne.

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