„König der Löwen“ (1994) ist bis heute mit einem Einspielergebnis von 981 Millionen Dollar unangefochten der erfolgreichste, klassische Zeichentrickfilm aller Zeiten und wurde auch in der Bühnenfassung zum Dauerhit. Ganz ohne menschliche Charaktere verband das Raubtier-Musical spektakuläre, expressive Animation, eine herzergreifende Coming-of-Age-Geschichte, Shakespeare‘sche Verwandtschaftskonflikte und einen Ohrwurm-Soundtrack, an dem neben Hans Zimmer auch Elton John beteiligt war.
Das digital animierte Remake von Jon Favreau versetzte das Publikum vor fünf Jahren mit seiner singenden und sprechenden fotorealistischen Tierschar ins Staunen, hielt sich inhaltlich jedoch allzu sklavisch an die Vorlage. Nun nimmt Regisseur Barry Jenkins („Moonlight“) den Stoff noch einmal auf und präsentiert mit „Mufasa - Der König der Löwen“ ein Prequel zum beliebten Klassiker. Im Mittelpunkt steht dabei die Lebensgeschichte eben jenes weisen Löwenkönigs, der als integre Vater- und Herrscherfigur im Original durch die Pranke seines machthungrigen Bruders ums Leben kam.
Löwenwelpe Mufasa wird in ein fernes Land gespült
„Was ist das?“, fragt der putzige Löwenwelpe Mufasa erstaunt, als der erste Regentropfen seines jungen Lebens vom Himmel fällt. Der lang ersehnte Monsun verwandelt die Wasserstelle schnell in einen reißenden Fluss, durch den der kleine Löwe von seinen Eltern getrennt und weit hinweg in ein ihm unbekanntes Land gespült wird. Hier trifft er auf den jungen Löwenkönigssohn Taka, der sich schon lange einen Bruder wünscht. Während seine Mutter Eshe den Waisenjungen unter ihre Fittiche nimmt, ist der Vater dagegen, den Streuner in sein Rudel aufzunehmen.
Und so wächst Mufasa als einziges männliches Tier bei den Löwinnen auf, geht mit ihnen auf die Jagd, lernt von Eshe die Zeichen der Natur zu deuten und eine Antilopenherde auf etliche Kilometer Entfernung zu wittern. Taka hingegen wird von seinem Vater vor allem in die königliche Kunst des Mittagsschlafs eingewiesen. Als ein machtvolles Rudel weißer Löwen das Revier angreift, werden Taka und Mufasa von den Eltern fortgeschickt. Ziel der Reise ist Milele – ein paradiesischer Ort hinter dem Horizont, von dessen realer Existenz Mufasas Eltern fest überzeugt waren.
Die brüderliche Freundschaft der Löwen wird auf eine harte Probe gestellt
Schon bald schließen sich ihnen die Löwin Sarabi und der Shamanen-Affe Rafiki an, dessen retrospektive Erzählung auch die Rahmenhandlung und Verbindung zum Originalfilm gewährleistet. Verfolgt werden die Reisenden vom Rudel des weißen, rachsüchtigen Königs Kiros, dessen Sohn im Kampf gegen Mufasa getötet wurde. Als sich sowohl Taka als auch Mufasa in Sarabi zu verlieben beginnen, wird die brüderliche Freundschaft auf eine harte Probe gestellt.
Wie der Original-Film beschreibt auch „Mufasa“ den charakterlichen Reifungsprozess seiner Titelfigur unter widrigen Bedingungen in einem klassischen Bildungsromanformat. Gleich zweimal verliert der junge Löwe seine elterlichen Bezugsfiguren und gerät in Konkurrenzkonflikte mit seinem geliebten Adoptivbruder. Es ist erstaunlich, wie gut gerade die hochemotionalen Szenen im fotorealistischen Raubtier-Modus funktionieren. Die Computer-Animateure verbinden hier bruchlos Bewegungs- und Verhaltensmuster echter Löwen mit einer nur leicht vermenschlichten Mimik. Dass die Raubkatzen singen, sprechen und fühlen, ist nach wenigen Filmminuten die reinste Selbstverständlichkeit.
Barry Jenkins zählt zu den wichtigsten afroamerikanischen Regisseuren
Trotz seiner visuellen Schauwerte konzentriert sich der Film jedoch auf den dramatischen Kern der Geschichte, den Regisseur Barry Jenkins mit psychologischem Feingefühl in Szene setzt. Jenkins ist eine ungewöhnliche Wahl für einen Disney-Film. Mit seinem Oscar Gewinner „Moonlight“ (2016), der James-Baldwin-Adaption „Beale Street“ (2018) und der TV-Serie „The Underground Railroad“ (2021) hat er sich als einer der wichtigsten afroamerikanischen Regisseure etabliert, der sich auf sehr differenzierte Weise mit den rassistischen Strukturen in der Vergangenheit und Gegenwart der USA auseinandersetzt. Nach eigenem Bekunden hatte er das Angebot von Disney mehrfach abgelehnt, bis er sich schließlich vom Drehbuch überzeugen ließ.
Die emotionale Tiefe, die Jenkins‘ Werk allgemein auszeichnet, findet sich auch in „Mufasa“ wieder, der den tragischen Bruderkonflikt ins Zentrum stellt und gleichzeitig auch einen fiktionalisierten Exkurs in die afrikanische Kolonialgeschichte unternimmt: Mit unnachgiebigem Unterwerfungsdrang erobert das weiße Löwenrudel ein Revier nach dem anderen. Erst im paradiesischen Milele kann diese Dominanz gebrochen werden, indem sich die Tiere über alle Speziesgrenzen gegen die Invasoren verbünden.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden