Irgendwann muss das alles ja mal angefangen haben. Bis zu 430 Euro ausgeben, nur um einmal Adele zu sehen. Bei Taylor Swift in Hamburg, Gelsenkirchen oder München sogar 650 Euro auf den Tisch legen, um sich einen Platz im erlauchten Zirkel der Swifties erkaufen zu können. Wahnsinn!
Für die zehn Adele-Auftritte in München wurde eine eigene Arena beim Münchner Messegeländes aufgestellt, die nach Ende der gigantomanischen Sause wieder zurückgebaut werden soll. Dann haben die britische Sängerin 700.000 Fans erlebt. Allein durch den Kartenverkauf kalkulieren die Veranstalter mit einem Umsatz von 90 Millionen Euro, die Stadt München rechnet ihren Geldsegen durch ÖPNV, Hotels, Gaststätten, Shopping und andere Dienstleistungen inzwischen auf 566 Millionen Euro hoch. Adele selbst geht dabei nicht leer aus: Nach jedem Auftritt darf sie sich um bescheidene 600.000 Euro reicher ins Bett legen.
Im Vergleich zu Taylor Swift ist das aber nur ein Klacks. Dem Wirtschaftsmagazin Business Today zufolge nimmt die Sängerin pro Konzert 13,6 Millionen Dollar (knapp 12,5 Millionen Euro) ein. Nach 22 Gastspielen ihrer „Eras Tour“ soll Taylor bereits 300 Millionen Dollar verdient haben, und 50 Auftritte gab es zudem in den USA. Bis zum Ende könnte ihr Kassenplus also auf sagenhafte 1,3 Milliarden Dollar angewachsen sein.
Pop und Rock haben Olympia inspiriert
Die Schraube lässt sich offenbar jeden Sommer noch ein Stückchen weiterdrehen. Ein Superlativ jagt den nächsten, und selbst völlig abstruse Fantasien wie Madonna bei einem Unterwasser-Event oder Abba mit einem Mond-Konzert scheinen angesichts der jüngsten Entwicklungen gar nicht mehr völlig ausgeschlossen. Pop und Rock haben dabei offenbar den Sport befruchtet, wo die teuerste Karte bei den Olympischen Spielen in Paris für den Abend des 100-Meter-Finals der Männer 980 Euro kostete. Und das Stadion war voll! Woher kommt es, dass Angebot und Nachfrage tatsächlich solche Horrorsummen generieren können? Leben wir inzwischen in einer Welt der Millionäre?
Die Zahlen über Inflation oder Alters- und Kinderarmut sagen etwas anderes. Tatsächlich geht es den Menschen um den Erlebniswert, um die emotionale Bindung zu ihren Stars, um Status und Prestige. Entweder ein Urlaub auf Mallorca oder drei Stunden eintauchen in eine Parallelwelt mit Taylor Swift: Dafür ist man bereit, große Teile des monatlichen Verdienstes aufzuwenden. Und gerade bei der Musik weiß jeder findige Vermarkter längst, dass der Goldesel nur noch mit Live-Events gemolken werden kann, nachdem der Tonträgermarkt so gut wie ausradiert ist.
In Woodstock traten nicht weniger als 32 Bands auf
Natürlich veröffentlichen Taylor und die anderen noch Alben. Aber sie dienen längst nicht mehr als Brandbeschleuniger für Tourneen, wie dies noch in Zeiten üblich war, als sich der Ruhm eines Künstlers oder einer Band millionenfach über Platten verbreitete. Heute erlebt man das Idol auf der Bühne und lädt sich die dazu passenden Klänge aus dem Netz herunter. Als sich Hippies und Flower-Power-Kinder vom 15. bis 18. August 1969 in Woodstock zur Urmutter aller Open Airs trafen, da hatten die allerwenigsten ihre Idole jemals zuvor live gesehen: The Band, Jefferson Airplane, Janis Joplin, Richie Havens, den afroamerikanische Bänkelsänger, Joan Baez, die Jeanne d’Arc des gewerkschaftlich orientierten Protestsongs, oder die virilen englischen Bluesrocker von Ten Years After, die dieser Tage mit einer neu abgemischten, grandiosen Aufnahme ihrer Performance „Woodstock 1969“ (Chrysalis/Bertus) massiv an den überlieferten Hierarchien für die beste Performance dieser legendären Tage kratzen. Insgesamt traten 32 Bands auf.
In Woodstock hielt die rebellische Jugend der 1960er-Jahre ihre Generalversammlung ab, wenn auch von den damaligen Veranstaltern höchst dilettantisch organisiert. Die eigens gegründete Firma Woodstock Ventures Inc. lieferte den nachfolgenden Generationen die beste Blaupause für all jene Fehler, die man bei einem Open Air in Zukunft tunlichst vermeiden sollte. Dass das Festival friedlich blieb, grenzte fast an ein Wunder, vor allem wegen der Zustände auf dem Gelände. Auf höchstens 80.000 Besucher war es ausgelegt gewesen, am Ende kamen 400.000 junge Frauen und Männer, rund 300.000 davon, ohne bezahlt zu haben. Viel zu viele für die hastig geschaffene Infrastruktur, für die sanitären Anlagen, für die vorhandenen Seen, die nicht nur zum Baden und Waschen genutzt wurden, sondern auch als Kloake; viel zu viele, als dass jeder im Regen ein trockenes Plätzchen zum Schlafen gefunden hätte.
Für Jimi Hendrix gab es in Woodstock die höchste Gage
Selbst der ursprüngliche Ticketpreis von 18 Dollar war für damalige Verhältnisse viel zu niedrig kalkuliert. Irgendwann mussten die Zäune niedergerissen werden, um ein Chaos zu verhindern. Und die Kosten für Sicherheit, Versorgung und Infrastruktur liefen völlig aus dem Ruder. Die Musiker trugen kaum Schuld daran, standen sie doch für eher überschaubare Gagen auf der Bühne. Spitzenverdiener war Jimi Hendrix mit 18.000 Dollar, Creedence Clearwater Revival sollten 10.000 Dollar bekommen, The Who nur schlanke 6250 Dollar, während der damals noch völlig unbekannte Joe Cocker mit 1375 Dollar und Santana angeblich sogar nur mit 750 Dollar abgespeist wurden. Weil etwa die Hälfte der Bands ohne Vertrag auftrat, mussten sie teilweise jahrelang auf ihr Geld warten.
Erst mit Verzögerung erwies sich auch Woodstock als profitabel und entwickelte sich zu einer global funktionierenden Umsatzmaschine. Eine 100-köpfige Filmcrew hatte das Ereignis dokumentiert, von der Völkerwanderung aus allen Teilen der USA nach Bethel über die Aufbauarbeiten bis zum Festival selbst. Mehr als 200 Kilometer Filmstreifen oder 100 Stunden Bildmaterial kamen so zusammen. 1971 erhielt der Film einen Oscar und spielte allein in den USA 50 Millionen Dollar ein.
Aber selbst darüber würde Taylor Swift heute nur milde lächeln.
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