Bei Cecilia Ahern regiert die Liebe noch züchtig. In der x-ten Gefühlsfolge nach ihrer Welterfolgsromanze „P.S. Ich liebe dich“ mit „Alle Farben meines Lebens“ (Piper) geht es zwar schon mal zur Sache, aber dann eben so: „Ich lasse mich langsam auf das Bett sinken, die Laken sind warm von der durchs Fenster hereinscheinenden Sonne. Seine Lippen küssen meinen Nacken, er nimmt meine Hände und legt seine Finger über meine.“ Dann folgt als Beschreibung nur noch: „Ich öffne die Augen, was ich bisher vermieden habe, und sehe ihn. Ich spüre ihn.“ Da folgt schon gleich ein Absatz, der Schnitt. „‚Und?‘, fragt er später, als wir uns unter der Decke aneinander kuscheln. Er liegt in Löffelchenstellung hinter mir und küsst meine Schulter. Ich spüre den Herzschlag an meinem Rücken, die Sonne geht gerade auf.“
Man kann vielleicht allein schon an Ton und Bildern hier konstatieren, dass es sich beim Werk der 41-jährigen Irin nicht gerade um große Literatur handelt, wenn diese doch wesentlich im Versuch besteht, in Sprache wie Welt abseits der Klischees die Wirklichkeit zu erschaffen. Ganz sicher aber fällt bei Ahern gerade das weg, was Kolleginnen phänomenale Erfolge beschert hat. In Deutschland eroberte Charlotte Roche mit „Feuchtgebiete“ vor 15 Jahren die Bestsellerlisten, vor zehn Jahren begann die Britin Erika Leonard unter dem Pseudonym E. L. James mit ihrer „Fifty Shades“-Reihe die Welt zu erobern, von der inzwischen 150 Millionen Exemplare verkauft sind: explizite Körperlichkeit, Sex-Beschreibungen, in hoher Frequenz und aller Freizügigkeit.
Besonders an Roche und James ist der Bestseller-Erfolg
Nicht, dass es das bis dahin nicht gegeben hätte. Die hinreißende Feldstudie von Rainer Moritz über Literatur und Sex mit dem Titel „Matratzendesaster“ (Reclam) bietet Textstellen von Martin Walser bis Else Buschheuer, von Elfriede Jelinek bis Adalbert Stifter, von Philip Roth bis Gerhard Roth, von Henry Miller bis Michel Houellebecq untersuchend, von „Madame Bovary“ über „Josefine Mutzenbacher“ bis zur „Geschichte der O“ aufreihend. Aber auch bei aller (sehr unterhaltsam geschilderten) unterschiedlichen Qualität der Beschreibungen dort (James Salter: „Er kam wie ein trinkendes Pferd“?). Besonders ist an Charlotte Roche und E. L. James der maximale Bestseller-Erfolg, dass hier je eine Frau in Zeiten aufkommender „Sex Positivity“ zumeist von Frauen gelesen wird – und dass das alles in signifikanter Beschreibungsnähe zum Erotikroman geschieht. Damit wurde ein Feld eröffnet, das seitdem fleißig beackert wird.
Nur zum Beispiel Ali Hazelwood: Die US-Amerikanerin ist eine der neuesten Weltbestseller-Autorinnen im Bereich Liebesroman und hat ihrem Debüt „Die theoretische Unwahrscheinlichkeit der Liebe“ nun flott „Das irrationale Vorkommnis der Liebe“ (Rütten & Loening) folgen lassen. Demnächst geht es mit „Die Unannehmlichkeit der Liebe“ weiter. Frappierend ist nicht nur, wie sehr sich die romantischen Geschichten der ersten beiden Werke ähneln: Hochtalentierte, aber als Frau unterschätze und gemobbte Wissenschaftlerin mit sehr wenig und sehr schlechter Beziehungsvergangenheit gerät an genialen, aber unnahbar bis feindlich wirkenden Alphamann. Weit über alles etwa bei Cecilia Ahern Vorstellbare hinaus geht es dabei schließlich auch, freudig wiederholt, wirklich und richtig zur Sache – wobei die Männer dabei wirklich überall immer betont groß, ja riesig sein müssen und das Erlebnis in der Beschreibung der natürlich stets maximalen Ekstase allzu schnell allzu redundant wird.
Sophie Andresky ist die erfolgreichste deutsche Erotikroman-Autorin
Das ist nun mal, siehe die fortwährende „Explosion“, „Explosion“, „Explosion“ in „Fifty Shades“ und Moritz Arnolds Untersuchung, die Gefahr beim beschriebenen (!) Sex: Die Handlung wiederholt sich halt, und die Vermeidung der reinen Redundanz führt entweder zu Kapriolen in den Umschreibungen oder zu mehr Drastik im Repertoire.
Im Grunde ähneln sich die Autorinnen Ali Hazelwood und Sophie Andresky jedenfalls erstaunlich. Zweitere ist die erfolgreichste Deutsche auf dem Markt der Erotikromane, der Name ein an den Grafen Andrássy aus dem Sissi-Film angelehntes Pseudonym. Bereits der 2009 erschienene Debütroman ist ein Bestseller: „Vögelfrei“ (Heyne). Wie die Liebes-Amerikanerin vermag die Erotik-Deutsche humor- und schwungvoll zu schreiben. Beide sind auf sehr ähnliche Art explizit, bloß dass Andresky das eben sehr viel häufiger zu sein hat und darum auf Swinger- und Fetisch-Pfaden schweift. Die eine Liebe, die die Autorin im wirklichen Leben fast Hazelwood-mäßig immer nur ihrem immer gleichen Marcus schwört, die gehört hier nicht hin. „Dass Frauen nicht zwischen Liebe und Sex trennen können, ist Bullshit. Da kann ich nur lachen: erotisch angesiedelt zwischen Efeu und Emily Erdbeer.“ Frauen wollten und sollten nur zu gern in Freiheit ihrer Lust nachgehen – bloß sei das eben allzu leicht gefährlich, weil man selten sicher sein könne, dass sich Männernicht als Psychopaten entpuppten.
Die Wirklichkeit des Charakters und der Körpers in ihrer Radikalität
Literatur ist aber weder Hazelwood noch Andresky. Auf der Suche danach landet man bei eigenwilligen Autorinnen wie Corinna T. Sievers, einer ehemaligen Zahnärztin, die schon mal über eine nymphomane, traurige Zahnärztin geschrieben hat, und bei der die Bücher eher „Die Halbwertszeit der Liebe“ heißen. Im neuen, nach einem Narkosemittel „Propofol“ (Frankfurter Verlagsanstalt) betitelt, kontrastieren die expliziten, aber eben nicht einfach zuverlässig erfüllenden Sexszenen mit dem Niedergang eines alternden Mannes, ehemals so brillanter wie umschwärmter Chirurg, einem Arschloch.
Wenn Sievers die Wirklichkeit des Charakters wie des Körpers in ihrer Radikalität beschreibt, ist Sex auch nur ein Teil des Lebens, der genauso unverstellt zu betrachten ist wie alles andere. Das ist stark, dem gebührt eigentlich ein Lob bei Rainer Moritz, aber daraus wird eben niemals ein Bestseller. Die spielen im immer größer werdenden Graubereich zwischen Liebes- und Erotikroman.