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Literatur: Wie Franz Kafka zu erzählen beginnt

Literatur

Wie Franz Kafka zu erzählen beginnt

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    Franz Kafka starb vor 100 Jahren - am 3. Juni 1924.
    Franz Kafka starb vor 100 Jahren - am 3. Juni 1924. Foto: picture-alliance/ dpa

    „In mir kann ganz gut eine Koncentration auf das Schreiben hin erkannt werden“, notierte Franz Kafka am 3. Januar 1912 in sein Tagebuch. Es ist eine von zahlreichen Aussagen, wonach das Schreiben ihm wichtiger war als das Publizieren. Viele Werkmanuskripte und Tagebuchhefte sind erhalten, doch nur wenige machte Kafka zu Lebzeiten öffentlich zugänglich. Als sein Freund Max Brod ihm 1912 das Gespräch mit dem Verleger Ernst Rowohlt über ein mögliches Buch vermittelte – es erschien 1912 mit dem Titel „Betrachtung“ – bestritt Kafka sogar, dass ein Interesse am Druck seiner Texte existiere. Er verabschiedete sich mit einem Satz, den der ebenfalls anwesende Kurt Wolff, der später Kafkas zweiter Verleger war, so ungewöhnlich fand, dass er ihn aufschrieb: „Ich werde Ihnen immer viel dankbarer sein für die Rücksendung meiner Manuskripte als für deren Veröffentlichung.“ Kafka verfügte 1924 testamentarisch, sein Freund Max Brod solle seine Manuskripte verbrennen, was dieser glücklicherweise nicht tat.

    Max Brod musste Anfang 1907 zu einer List greifen, damit Kafka überhaupt einmal etwas veröffentlichte. Er brachte in seiner Rezension eines Dramentexts von Franz Blei ein Lob auf den Freund unter. Darin liest man, ein Beweis für das hohe Niveau der aktuellen Literatur liege darin, dass einige Autoren „die verschiedensten Seiten des Daseins mit ihrer Kunst und Grausamkeit schmücken“. Aus dieser Gruppe nennt Brod „Heinrich Mann, Wedekind, Meyrink, Franz Kafka und noch einige“. Nur: Kafka hatte noch keine einzige Zeile veröffentlicht; er hielt seine Namensnennung für einen Faschingsscherz. Franz Blei aber wurde neugierig und fragte nach. So kam es, dass Kafkas erste Publikation „Betrachtung“ mit acht kurzen Texten 1908 im Eröffnungsheft des neuen Luxusjournals „Hyperion“ gedruckt wurde, das Blei gemeinsam mit Carl Sternheim in München herausgab. Wie Brod geschrieben hatte, war Kafka neben anerkannten Autoren zu finden; in diesem Heft waren das Hofmannsthal, Rilke und Heinrich Mann.

    Max Brod: Der Schlüssel zu Kafkas ersten Veröffentlichungen

    In jenen Jahren lebte er mit den Eltern und den drei jüngeren Schwestern Elli, Valli und Ottla in Prag im dritten Stock des prächtigen Hauses „Zum Schiff“. Es lag an der neuen Czechbrücke über die Moldau, und am anderen Ufer gab es die „Zivilschwimmschule“, in der Franz sich als begeisterter Schwimmer und Ruderer mehrere Jahre betätigte. Sein Vater war viele Jahre früher vom Land in die Hauptstadt gezogen und hatte dort ein Geschäft für Galanteriewaren (Hüte, Tücher, Bänder) eröffnet, in dem er und die Mutter Julie arbeiteten. Der allererste publizierte Text Kafkas von 1908 bekam später den Titel „Der Kaufmann“ und weist Bezüge zum väterlichen Geschäft auf, wenn es heißt: „Für Stunden im voraus muß ich Bestimmungen treffen, das Gedächtnis des Hausdieners wachhalten, vor befürchteten Fehlern warnen und in einer Jahreszeit die Moden der folgenden berechnen, nicht wie sie unter Leuten meines Kreises herrschen werden, sondern bei unzugänglichen Bevölkerungen auf dem Lande.“ Kafka reißt diesen Vielbeschäftigten aus dem sorgenvollen Alltag heraus. In einer traumähnlichen Szene während einer Aufzugfahrt erlebt er den Verlust seiner Selbstkontrolle.

    Als Versicherungsjurist war Kafka in der „Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt des Königsreichs Böhmen in Prag“ tätig. Ein Vorteil seiner Stelle war, dass sein Dienst schon um 14 Uhr endete. Anschließend traf er Max Brod am Pulverturm und sie liefen zum Altstädter Ring, dem Hauptplatz der Stadt.

    Kafkas Doppelrolle als Versicherungsjurist und Schriftsteller

    Ein frühes Manuskript von 1904/1905, das Max Brod später als „Beschreibung eines Kampfes“ drucken ließ, erzählt von einem Spaziergang mit einem Gegenspieler durch die nächtliche Stadt. Es ist reich an absurden und fantastischen Episoden. Ein Abschnitt, den Kafka 1909 als „Gespräch mit dem Betrunkenen“ drucken ließ, setzt auf dem riesigen Ringplatz mit dem Prager Rathaus, der Teynkirche und der Mariensäule ein: „Ich ging ruhig aus dem Schatten des Mondes, knöpfte den Überzieher auf und wärmte mich; dann ließ ich durch Erheben der Hände das Sausen der Nacht schweigen und fing zu überlegen an: ‚Was ist es doch, daß Ihr tut, als wenn Ihr wirklich wäret. Wollt Ihr mich glauben machen, daß ich unwirklich bin, komisch auf dem grünen Pflaster stehend?‘“ Der Monolog ist auch eine Reflexion über die Macht der Literatur und der Fantasie. In der „Beschreibung“ greift Kafka zudem Themen wie die Ausdrucksfunktion der Sprache und die Vorprägung von Wahrnehmungen auf, die auch Zeitgenossen wie Hugo von Hofmannsthal und Edmund Husserl intensiv beschäftigten.

    Literatur schrieb Kafka vor allem in den Nachmittagsstunden. Ende 1910 stellte er seinen Tagesablauf aber um und schrieb nun konsequent abends zwischen 20 und 23 Uhr.

    Die frühen Drucke weisen öfter schon den typischen ‚Kafka-Sound‘ auf. In der frühen Prosa, die er 1912 für das erste Buch sammelte, verkehrt Kafka einmal auch eine harmlose Alltagssituation ins Absurde. Ein Beispiel ist „Der Fahrgast“ über eine Straßenbahnfahrt; der Autor bedient sich der juristischen Rhetorik: „Ich stehe auf der Plattform des elektrischen Wagens und bin vollständig unsicher in Rücksicht meiner Stellung in dieser Welt, in dieser Stadt, in meiner Familie. Auch nicht beiläufig könnte ich aussprechen, welche Ansprüche ich in irgend einer Richtung vorbringen könnte. Ich kann es gar nicht verteidigen, daß ich auf dieser Plattform stehe.“

    Kafkas frühe Schreibphase endete 1912. In diesem Herbst stellte er sein erstes Buch zusammen, lernte die Verlobte Felice Bauer kennen und erlebte gleichzeitig einen kreativen Schub. Dadurch entstanden drei neue Manuskripte. Die Erzählungen „Der Heizer“, „Die Verwandlung“ und „Das Urteil“ sind länger als die frühen Publikationen. Sie machten den jungen Dichter aus Prag berühmt.

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    Ulrich Hohoff ist Germanist und Bibliothekar, von 2001 bis 2022 war er Direktor der Universitätsbibliothek Augsburg. Er hat nun das Buch „Franz Kafka. Die frühen Publikationen (1908-1912)“ nach den Erstdrucken herausgegeben (248 Seiten, Verlag Buch & Media, 22 Euro)

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