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Literatur: Nach der Absage der Messe: Leipzig liest dennoch

Literatur

Nach der Absage der Messe: Leipzig liest dennoch

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    Leerstand: Zum dritten Mal in Folge bleiben die Hallen der Leipziger Messe im März dicht.
    Leerstand: Zum dritten Mal in Folge bleiben die Hallen der Leipziger Messe im März dicht. Foto: Sebastian Willnow, dpa

    Die Zugmetapher wird oft verwendet, weil sie so wunderbar vielseitig ist. Was sich damit nicht alles erklären und beschreiben lässt. Auch eine Messeabsage. Er und seine Mitarbeiter würden sich gerade fühlen wie Passagiere in einem Zug, der mit 200 Stundenkilometer durch die Landschaft fahre und dann vom Lokführer zum Bremsen gebracht werde, sagte Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse, nachdem er das Aus für dieses Jahr verkündet hatte: „Da gibt es dann Flugbewegungen und in den Flugbewegungen befinden wir uns gerade.“ Während die Branche nun seit etwas mehr als einer Woche über die Gründe für den abrupten Stopp noch diskutiert, scheint es aber zumindest so: Der Zug beschleunigt schon wieder, nur weiß noch keiner so genau, wohin die Fahrt geht. In die Bahn nach Leipzig werden sich Mitte März jedenfalls etliche Schriftsteller setzten, um das zu tun, was sie dort vorhatten: Also lesen. Und damit hier mal weg von der Metapher.

    Musste das sein? Das ist die Frage, die diskutiert wird seit der nun dritten Absage der Leipziger Buchmesse in Folge. Weil doch anderswo sich die Büchermenschen im März ja herauswagen werden, zum Beispiel bei der Lit.Cologne. Und: Steckt da noch mehr dahinter als beispielsweise nur die Sorge vor Corona-Sorgen wie möglicherweise die Ansteckungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Nämlich eine bewusste Aktion der Großkonzerne, die sich die Kosten für eine der beiden großen Literaturmessen in Deutschland sparen wollen? Auch, weil sie ja in den Pandemie-Jahren nun feststellen konnten, dass sich die Bücher ohne aufwendige Messeauftritte dennoch wunderbar verkaufen ließen. Und drittens, wie manche mutmaßen: Geht es nicht nur um eine Absage an die Literatur, sondern auch an den Osten? Weil sich nämlich da weniger Geld verdienen lasse mit dem Büchergeschäft als im Westen.

    Die Umstände der Absage der Leipziger Buchmesse werfen Fragen auf

    Eine wilde Gemengelage von Vorwürfen und Verdachtsfällen also, auf die nun in großer Runde demnächst geblickt werden soll. Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wollen die Branche zum „Zukunftsgespräch“ einladen. Man habe die Absage „zur Kenntnis genommen“, hieß es in der gemeinsamen Erklärung der beiden. Aber: Die Umstände der Absage würfen viele Fragen auf …

    Antworten gibt es mittlerweile viele. Und Treueschwüre. Man wolle auf jeden Fall 2023 wieder Teil der Messe sein, kündigten große Verlagsgruppen wie Holtzbrinck und Penguin Random House an. „Wir bekennen uns ausdrücklich dazu, dass wir an der Leipziger Buchmesse auch in Zukunft festhalten werden“, so das Statement von Penguin Random House CEO Thomas Rathnow. Felicitas von Lovenberg, Verlegerin des Piper Verlags, der sich unter dem Dach der Bonnier-Gruppe befindet, wehrte sich gegen die Vorwürfe, man habe nur Geld sparen wollen. „Ausgemachter Humbug.“

    Groß gegen klein – aber die Erzählung ist nicht ganz so stimmig

    Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, und Hauptgeschäftsführer Peter Kraus vom Cleff wandten sich in einem offenen Brief an Messechef Zille – und die Branche. Man solle doch Trauer nicht in Wut umschlagen lassen. Diejenigen, die ihre Teilnahme abgesagt hätten, „sie haben aus Verantwortungsgefühl gehandelt und keineswegs aus Messemüdigkeit, im Gegenteil“.

    Groß gegen klein – dass die Erzählung so nicht ganz stimmig ist, hat auch Oliver Zille seit der Absage mehrfach klargestellt. Den Verschwörungsmythos, wonach die großen Verlage Leipzig den Stecker gezogen haben, könne er nicht bestätigen, erklärte er im Börsenblatt, dem Branchenmagazin der Buchbranche. Nicht nur die großen Verlage hätten ihren Messeauftritt storniert. „Das ging querbeet und betraf alle Verlagsgrößen. Auch eine Reihe kleinerer Verlage haben mir gesagt, es sei ihnen mulmig bei der Vorstellung, dass im März hier 25.000 Leute pro Tag durch die Hallen marschieren.“

    Im Münchner Hanser Verlag wurde beispielsweise auch noch diskutiert – bis die Absage kam. „Eine Messe ist ja doch etwas ganz anderes als eine Lesung auf dem Podium, bei der das Publikum ruhig sitzend lauscht“, sagt Pressesprecherin Christina Knecht. Die Messe aber, die lebe von den persönlichen Begegnungen, dem Trubel. „In Leipzig ziehen normalerweise ganze Schulklassen durch die Gänge, dass es eine schiere Freude ist.“ Nun aber sei es doch etwas schwierig, sich das in der momentanen Lage vorzustellen. Auch bei

    Neben der Messe wurde auch das Lesefestival "Leipzig liest" abgesagt

    Womit man wieder bei der Zugmetapher wäre. Warum gleich zwei Vollbremsungen? Neben der Messe wurde auch das Lesefestival „Leipzig liest“ abgesagt. „Der geschäftliche Ansatz der Messe, eine überfüllte Messehalle, ist das eine“, sagt Schriftstellerin Marion Brasch: „Dass aber Menschen zu einer Lesung gehen, um Autoren und Autorinnen zu hören, ist etwas anderes, denn öffentliche Veranstaltungen dürfen ja stattfinden. Mir ist nicht klar, was die Absage soll.“

    Nicht nur ihr – auch deswegen nimmt der Zug wieder Fahrt auf. Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Gregor Sander, Isabel Bogdan, Peter Wawerzinek, Julia Schoch, Maxim Leo und Bov Bjerg haben unter dem Hashtag „Wir wollen lesen“ eine Petition auf change.org gestartet, mit der sie sich gegen die schulterzuckende Hinnahme der Absage wehren wollen. Man sei „wütend, traurig, fassungslos“, heißt es in dem offenen Brief an die großen Verlage. Keine Messe, aber gleichzeitig könnten Fußballspiele mit tausenden Besucherinnen und auch die Berlinale stattfinden. Sei denn die Literatur nichts wert? „Wir haben jahrelang an diesen Büchern gearbeitet. Jetzt wollen wir uns treffen, einander vorlesen und miteinander reden und streiten“, schreiben die Autorinnen und Autoren. Unterzeichnet haben die Petition – Stand Freitag – bislang weit über 2000 Büchermenschen.

    Bei der Leipziger Zeitung versucht man sich derweil einen Überblick zu verschaffen, was nun Mitte März doch alles stattfindet – mit Ausnahme der Messe. „Da ist Bewegung drin“, sagt Geschäftsführer Robert Dobschütz, und macht einen „widerständigen Geist bis hin ins Rathaus“ aus. Die Stadtverwaltung versuche gerade bis nächste Woche einen Sonderetat loszueisen, um verschiede Initiativen zu unterstützen.

    50 unabhängige Verlage kommen zu einem "Buchmesse Pop Up"

    Dobschütz selbst ist Mitinitiator des Alternativprogramms „weiter:lesen 2022“. An zwei Tagen plant die Initiative mindestens 40 Veranstaltungen. Und nach einigen Tagen des Sortierens steht nun auch fest: Rund 50 unabhängige Verlage, darunter Hanser, Klett-Cotta und Wagenbach zum Beispiel, kommen mit Büchern, Autorinnen und Autoren nun doch nach Leipzig – zu einem „Buchmesse Pop Up“, eine einmalige Lösung für dieses Jahr.

    Das Gastland Portugal will sich ebenfalls präsentieren: Eine zehnköpfige Schriftsteller-Delegation reist für Lesungen an. „Wir machen unser ,Leipzig liest‘ selbst“, sagt Dobschütz, „da kommt gerade sehr viel Spaß hoch.“ Fest steht: Das Programm, das die Leipziger Zeitung veröffentlichen will, wird umfangreich: Nicht 2000 Veranstaltungen wie vor der Pandemie, aber doch Hunderte. Noch weiß das ja niemand genau.

    In der etwas außerhalb der Stadt gelegenen Leipziger Messe aber wird Leerstand herrschen, ist nur an einem Tag etwas los. Am 17. März wird, ohne Publikum, in der Glashalle der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen. Überall sonst, in der ganzen Stadt, auch rund um den Hauptbahnhof, aber tobt wohl in den Tagen darauf das Leseleben.

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